Fake News und Politik:Putins Trolle und die Weltordnung

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Er ist überall: Ein Mann betrachtet sich im Spiegel - in einem Café in Russland, das Präsident Putin gewidmet ist. (Foto: REUTERS)
  • Die britische Premierministerin May warnt in einer Rede vor Russlands Einfluss auf die europäische Politik. Auch beim Brexit soll er eine Rolle gespielt haben.
  • Sicherheitsexperten aus 22 Ländern beklagen gezielte Meinungsmache, die darauf abziele, "den Westen und das demokratische System" zu schwächen.
  • Spanische Medien berichten über Hacker-Aktivitäten, die von Russland aus das Referendum in Katalonien beeinflusst haben sollen.

Von Daniel Brössler, Brüssel, Cathrin Kahlweit, London, und Thomas Urban, London/Brüssel

Theresa May hat am Montagabend zwischen Kronleuchtern, Amtsketten und altmodischen Rüschenhemden eine bemerkenswerte Rede gehalten. Bei einem Bankett des Bürgermeisters der City of London erklärte sie den staunenden Honoratioren nicht nur, dass Russland sich illegitimerweise in Wahlen einmische und "fake news" in aller Welt zur Manipulation von Meinung und Medien nutze, sondern auch, dass Moskau damit die Weltordnung bedrohe.

Erst kürzlich, so die britische Premierministerin, habe Wladimir Putin erklärt, dass kein Land strategische Vorteile auf Kosten anderer Staaten suchen dürfe - dabei habe Russland doch genau das mit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine getan. Moskau benutze Information als Waffen, so May, und fälsche News, Fotos, ja die Geschichte. Sie habe,verkündete die Premierministerin, eine Nachricht für Putin und Moskau: "Wir wissen, was Sie tun. Und Sie werden nicht gewinnen."

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May ist sonst nicht für klare Worte bekannt, aber am Montagabend hatten ihre Redenschreiber offenbar befunden, es gehe letztlich um die nationale Sicherheit; da müsse Klarheit sein. Denn seit Wochen wird in London darüber geredet und geschrieben, dass Moskau nicht nur, wie wohl fast überall in der westlichen Welt, mit "fake news" im gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess mitmischt, sondern womöglich ganz dreist - mit Geld und struktureller Unterstützung - Einfluss auf das Brexit-Referendum genommen hat. Die staatliche Wahlkommission ermittelt. Und auch wenn der Sprecher von Außenminister Boris Johnson bei einem Briefing auf die Frage der SZ nach einer Manipulation des Votums lapidar geantwortet hatte, man habe "volles Vertrauen in die Demokratie und den Wahlprozess"; auch wenn Johnson im Unterhaus mitteilte, er habe "nichts gesehen, njet" - so kann die Regierung doch nicht umhin, genau das derzeit zu prüfen.

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Mit im Spiel waren nach bisherigen Erkenntnissen offenbar die Londoner Firma Cambridge Analytica, die auch in den US-amerikanischen Ermittlungen zur Beeinflussung der Wahlkampagne von Donald Trump durch Russland eine Rolle spielt, WikiLeaks und ihr Gründer Julian Assange, der Hillary Clintons Wahlkampagne mit den geleakten E-Mails torpedierte, sowie der ehemalige Chef der Brexit-Partei Nigel Farage, der wiederum gute Beziehungen nach Washington, zu Russia Today und zum russischen Botschafter in London hat. Allem Anschein nach hat Cambridge Analytica Spenden in die Leave-Kampagne gesteckt, ebenso wie der Milliardär Arron Banks, ein wichtiger Geldgeber der Brexit-Mission. Beide sind, über dubiose Kanäle, wiederum mit Trump, Steven Bannon und dem Bannon-Financier Robert Mercer verbunden. Banks sagt zwar, es sei kompletter Unsinn, dass die Russen hinter all dem steckten, aber die Indizienlage ist eine andere.

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Noch ist das Bild verschwommen, aber es wird jeden Tag klarer. Ein Forscher des Oxford Internet Institute hat für die Times ausgerechnet, dass 54 Internetadressen mit insgesamt 2752 Links über eine Petersburger Trollfabrik gefüttert worden seien. Der frühere Sicherheitsberater von Theresa May hat schon mal wissen lassen, dass es ein Muster hinter den russischen Aktivitäten gebe, das Großbritannien als Einmischung in die inneren Angelegenheiten betrachte. Und das sei "inakzeptabel".

Ähnliche Klagen kommen auch aus anderen Teilen Europas. In einer "Prager Erklärung" haben Sicherheitsexperten aus 22 Ländern Fälle aufgezählt, in denen sie russische Einmischung sehen: neben dem Brexit-Referendum die niederländische Abstimmung über das Ukraine-Abkommen, das Verfassungsreferendum in Italien und als jüngste Beispiele die Bundestagswahl und das Katalonien-Referendum. "In allen diesen Fällen zielt die Einmischung darauf ab, den Westen und das demokratische System zu schwächen, mehr Chaos zu stiften und Spaltungen in unseren Gesellschaften zu vertiefen", beklagen die Unterzeichner der von der Prager Denkfabrik "Europäische Werte" initiierten Erklärung.

Überzeugt sind die Experten, dass es bislang an Gegenwehr fehle. EU und Nato seien Hauptzielscheiben, reagierten aber bisher verhalten. "Das zeigt eindeutig, dass ein großer Teil des westlichen politischen Establishments die Gefahr noch nicht erkannt hat, der wir uns gegenüber sehen", lautet ihre - vor Mays scharfen Äußerungen verfasste - Warnung. Besonders enttäuscht sind sie von der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. Die Italienerin habe die vergangenen zwei Jahre mit der Weigerung verbracht, "Russland als die Hauptquelle feindseliger Desinformation" zu benennen.

Seit 2015 gibt es in Mogherinis Auswärtigem Dienst zwar eine "East StratCom Task Force", die etwa wöchentlich Beispiele russischer Desinformation auflistet. Die Kritiker werfen Mogherini vor, das Team zu knapp zu halten. Derzeit arbeiten 14 Experten für die Gruppe - nötig sei mindestens eine Verdreifachung. Beim Treffen der Außenminister am Montag hat Mogherini tatsächlich mehr Geld verlangt, vor allem aber um die Arbeit in den Balkanstaaten und im arabischen Raum zu verstärken. Die Ost-Taskforce sei hingegen "gut etabliert und eingearbeitet", beschwichtigte sie nach dem Ministertreffen. Konsequent blieb sie auch bei ihrer Weigerung, Russland an den Pranger zu stellen. Damit sind mittlerweile allerdings nicht nur die Staaten im Osten der EU unzufrieden. Seit dem Katalonien-Referendum ist auch die spanische Regierung aufgeschreckt.

Seit Wochen berichteten spanische Medien über Versuche russischer Hacker und Trolle, die Konflikte um die katalanische Unabhängigkeitsbewegung zu verschärfen. Auch wurden von IT-Experten der Guardia Civil, der nationalen Polizeitruppe, Aktivitäten aus Venezuela nachgewiesen. Das autoritäre Regime in Cáracas wird traditionell vom Kreml unterstützt und sieht in den spanischen Konservativen unter Premierminister Mariano Rajoy einen Hauptgegner.

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Nach Angaben der spanischen Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal liegen der Regierung in Madrid eindeutige Beweise für die Versuche vor, auf das Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien am 1. Oktober Einfluss zu nehmen. "Nun wissen wir, dass viel davon von russischem Territorium ausging", sagte die Ministerin. Außenminister Alfonso Dastis legte dar, dass in sozialen Netzwerken Tausende von gefälschten Nutzerkonten angelegt worden seien. Etwa die Hälfte lasse sich nach Russland zurückverfolgen, weitere 30 Prozent nach Venezuela. Die spanische Regierung gehe davon aus, dass es sich um koordinierte Aktionen gehandelt habe.

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Das Referendum war zwar vom Verfassungsgericht in Madrid für illegal erklärt worden, dennoch ließ es die Regionalregierung in Barcelona durchführen. Bilder von Polizisten, die auf Wähler einprügelten und die Scheiben von Wahllokalen einschlugen, gingen am 1. Oktober um die Welt. Spanische Medien konnten nachweisen, dass brutale Polizeieinsätze nicht der Regelfall, sondern die Ausnahme waren. Doch von den offenkundig aus Moskau und Cáracas gesteuerten Trollen wurden Bilder davon automatisiert über viele Netze verbreitet, sodass sie etwa 75 Prozent der auf diese Weise geteilten Nachrichten ausmachten. Ebenso überwogen Kommentare für die Unabhängigkeitsbewegung, deren linksradikaler Teil traditionell über Verbindungen nach Moskau verfügt.

Für die spanischen Ermittler steht außer Zweifel, dass der Kreml zwei Motive habe: Zum einen möchte er Spanien als eines der großen EU-Länder destabilisieren, zumal Rajoy unter den EU-Regierungschefs als treuer Verbündeter der in Moskau ungeliebten Bundeskanzlerin Angela Merkel gilt. Zum anderen könnte eine Sezession innerhalb eines EU-Staats als Rechtfertigung für die gewaltsame Abspaltung der Krim von der Ukraine angeführt werden.

Beim Außenminister-Treffen in Brüssel warnte der Spanier Dastis, Russland nutze die Katalonien-Krise, um die EU zu destabilisieren. Ob sie sich dieser Einschätzung anschließe, wurde die Außenbeauftragte Mogherini dann während der Pressekonferenz gefragt. Mogherini, sonst für ausführliche Antworten bekannt, fasste sich kurz: "Das werde ich nicht kommentieren."

© SZ vom 15.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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