Fahndung im Internet:Wie Chinas User korrupte Politiker jagen

Sie graben das letzte Foto, das kleinste Fitzelchen Information aus: Chinas Internetnutzer jagen zu Tausenden korrupte Kader. Ihr letztes Opfer: ein leitender Beamter der Stadt Guangzhou, der bei 1200 Euro Monatsgehalt 22 Immobilien besaß. Selbst Parteiblätter stehen auf ihrer Seite.

Kai Strittmatter, Peking

China User Korruption Internet

Die grassierende Korruption ist einer der Hauptgründe, warum immer mehr Chinesen das Vertrauen in die KP verlieren. Die Online-Jagd auf korrupte Kader ist ein Ventil für Bürgerwut

(Foto: Reuters)

Diese Woche hat es Cai Bin erwischt, leitender Beamter der Stadt Guangzhou, zuständig für die "chengguan", die mächtige städtische Hilfspolizei. Monatsgehalt 10.000 Yuan, 1200 Euro. Eigentümer von mehr als 20 Immobilien. Wie bitte? Das fragten sich die Internetnutzer auch, die vor zwei Wochen online die ersten Fotos von Cai Bins Häusern sahen: Von der dreistöckigen Villa bis zum Fabrikgebäude war alles dabei.

Ein Schwarm empörter Nutzer setzte sich im Netz auf Cais Fährte, verbreitete die Fotos zehntausendfach und fand noch andere Dinge heraus, zum Beispiel dass Cais Sohn längst die australische Staatsbürgerschaft hatte. Am Ende brachten sie Cai zu Fall: Die Disziplinarkommission der KP verkündete die Suspendierung des Beamten. Er habe sogar 22 Häuser besessen, berichtet die Nachrichtenagentur Xinhua, eines mehr, als die Internetrechercheure aufgespürt hatten.

"Renrou sousuo", Menschenfleischsuche. Kein schönes Wort. In China werden Leute gejagt, im Netz, von oft Tausenden Nutzern, die noch das letzte inkriminierende Foto, das letzte Fitzelchen Information ausgraben. Ziel ist, das Opfer zur Strecke zu bringen - in der wirklichen Welt.

Zigarettenpackungen für 170 Euro

In letzter Zeit bekommen die Menschenfleischjäger viel Applaus, denn es geht gegen korrupte Kader. Cai Bin ist nur der Letzte in einer Reihe, die sie zur Strecke brachten. Es begann 2009, mit Zhou Jiugeng, einem Beamten vom Bauamt, der auf einem Foto rauchend zu sehen war - mit Zigaretten zu 1500 Yuan (170 Euro) die Packung.

Später gruben die Hobbyjäger die Tagebücher jenes Tabakkaders aus der Provinz Yunnan aus, der fleißig seine Einkünfte aus krummen Geschäften notiert und dabei das Vergnügen nicht vergessen hatte ("Was meine Liebschaften angeht, so habe ich endlich (A) herumgekriegt und auch (B) noch einmal gehabt. (C) steht schon bereit . . . Bei so vielen Frauen muss ich langsam auf meine Gesundheit aufpassen.") Cai Bin nannten sie im Netz "Häuser-Onkel", ihm vorangegangen war "Uhren-Onkel" Yang Dacai, der Chef der Arbeitssicherheit der Provinz Shaanxi.

Überwachung durch die Öffentlichkeit

Yang hatte das Pech, dass man ihn grinsend auf einem Foto von einer Unfallstelle sah, wo soeben 36 Menschen ums Leben gekommen waren. Auf dem Foto trug er eine Luxusuhr. Scharfäugige Nutzer gruben noch andere Fotos aus, auf denen Onkel Yang mit einem Dutzend Luxusuhren zu sehen war, manche mehr als 12.000 Euro wert. Auch Yang verlor seinen Job. "Schwere disziplinarische Vergehen", urteilte die Partei. Xinhua resümierte: "Im Zeitalter des Internets ist es immer schwerer, der öffentlichen Überwachung zu entgehen."

Überwachung durch die Öffentlichkeit - das gab es in der Volksrepublik bis vor Kurzem nicht. Internet und Weibo (Chinas Version des Kurznachrichtendienstes Twitter) haben China zwar nicht die Freiheit gebracht, aber sie öffnen den Bürgern Freiräume, die diese früher nicht kannten. Und für die geheimniskrämerische KP stellen sie eine Herausforderung dar.

Ventil für Bürgerwut

Peking beschäftigt mehrere Zehntausend Internetpolizisten, Zensoren und Selbstzensoren löschen täglich unzählige Nachrichten und Fotos, blockieren Begriffe und sperren Webseiten. Aber 534 Millionen Internetnutzer lassen sich nicht mehr so einfach kontrollieren. Auch hat die Partei sich entschlossen, das Netz für sich zu nutzen.

Die grassierende Korruption ist einer der Hauptgründe, warum immer mehr Chinesen das Vertrauen in die KP verlieren. Die Online-Jagd auf korrupte Kader ist ein Ventil für Bürgerwut, sie ist eine neue Form politischer Partizipation, die die Partei im Moment duldet - solange die Debatte nicht in Systemkritik umkippt, solange sie die Bösewichte weiter als bedauerliche Einzelfälle darstellen kann.

Die Agentur Xinhua begrüßte die Korruptionsjäger: "All die Behörden, die Hinweise über Weibo erhalten, sollen bitte Untersuchungen einleiten." Ein reformbegeisterter Kommentator des Parteisprachrohrs Volkszeitung ging sogar noch weiter: "Nur wenn öffentliche Macht ans Licht gezerrt wird, kann sie effektiv beschränkt werden; nur wenn jeder ein Überwacher der Regierung werden kann, findet die Korruption kein Versteck mehr."

In weiten Teilen der KP hält sich die Begeisterung jedoch in Grenzen, und einzelne Jagderfolge ersetzen noch lange nicht die Reform eines Systems, das zu Korruption und Machtmissbrauch geradezu einlädt. So scheinen die spektakulären Erfolge der Netzdetektive bislang auch nicht zu größerer Transparenz zu führen, sondern vielerorts zum Gegenteil: Die Kader werden vorsichtiger. Ein Fernsehteam aus Shaanxi, der Heimat des Uhrenonkels Yang Dacai, berichtete, wie eine Gruppe von Funktionären erst einmal gemeinsam die Uhren abstreifte, bevor sie zum Interview vor die Kamera traten.

Selbst Parteiblätter sind auf der Seite der User

Ein Kollege Yangs in der Provinzverwaltung warnte gar davor, gegen Yang vorzugehen. Die Partei müsse sich gegen den "giftigen Einfluss des Internets" zur Wehr setzen, und zwar gerade vor dem anstehenden 18. Parteitag, bei dem eine neue Führergeneration antreten wird. Und als vor zwei Wochen die Metropolenzeitung in der Provinz Yunnan einen Artikel über den Transportchef der Provinz Fujian, Li Dejin, ankündigte, den Internetnutzer beim Tragen einer diamantbesetzten Rado-Uhr für 6000 Euro und eines Gürtels für 1800 Euro ertappt hatten, da reichte der Arm des Beschuldigten über Provinzgrenzen hinweg: Noch in der Nacht vor der Auslieferung wurden Hunderttausende Exemplare der Zeitung auf Befehl von oben vernichtet.

"Chinas Presse ist seit vielen Jahren kastriert", schrieb der Journalist Deng Fei vom Wochenblatt Phönix hernach auf Weibo, "aber was heute passierte, ist eine besondere Schande."

Auch Parteiblätter wie die Chinesische Jugendzeitung weisen darauf hin, dass einzelne Internetrecherchen nie die Wurzel des Problems werden angehen können: "Die Kader hätten den Schüssel selbst in der Hand - indem sie endlich ihre Besitztümer offenlegen." Das ist eine Forderung, die immer wieder laut wird, gerade von Reformern innerhalb der Partei.

Selbst das Politbüro habe einst mit dem Gedanken finanzieller Transparenz gespielt, verriet einmal Wu Guangzheng, selbst Politbüromitglied von 2002 bis 2007, nach seiner Pensionierung - der Widerstand der betroffenen Funktionäre sei damals aber zu groß gewesen.

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