Innere Sicherheit:Faeser Sicherheitspaket in der Kritik

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Verfassungswidrig, europarechtswidrig, technisch nicht umsetzbar - das sind nur einige Einwände gegen die Pläne von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). (Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Nach der Messertat von Solingen hat die Bundesinnenministerin neue Befugnisse für die Polizei und härtere Maßnahmen gegen Asylbewerber angekündigt. Nun gibt es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken – und Widerspruch aus den Regierungsparteien.

Von Constanze von Bullion

Die Bundesinnenministerin wollte ein Zeichen setzen. In aller Eile hat Nancy Faeser (SPD) nach dem tödlichen Messerangriff in Solingen ein Sicherheitspaket auf den Weg gebracht. Vorgelegt wurden zwei Gesetzentwürfe, die Messerverbote und neuen Befugnisse für die Polizei vorsehen. Ermittlungsbehörden sollen künftig auf der Suche nach Straftätern Gesichtserkennungsprogramme nutzen dürfen. Asylbewerbern, die nicht binnen zwei Wochen nach einem Ausreisebescheid in das für sie zuständige EU-Land ausreisen, sollen die Sozialleistungen gestrichen werden. Nun aber ist Faeser in schwere See geraten. Es gibt erhebliche Einwände von Staatsrechtlern und Datenschutzexpertinnen, aber auch aus allen drei Regierungsfraktionen.

Verfassungswidrig, europarechtswidrig, technisch nicht umsetzbar – das sind nur einige der Bedenken, die im Bundestag laut wurden. Faesers parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter, der in Fachkreisen ohnehin keine überschießende Sachkenntnis nachgesagt wird, geriet nach Angaben aus Teilnehmerkreisen im Digitalausschuss des Bundestags in Erklärungsnot. Denn es sind vor allem die Vertreter der Ampelfraktionen, die die Gesetzentwürfe zur inneren Sicherheit für gefährlich schwammig oder rechtswidrig halten.

Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz warnt vor klaren Grundrechtsverstößen

Ein Streitpunkt ist die geplante Befugnis für die Polizei, zur Verbrechensbekämpfung auch biometrische Daten und Gesichtserkennungsprogramme zu nutzen. Daten von Tatverdächtigen sollen künftig mit Stimmen, Fotos oder Videos in sozialen Netzwerken abgeglichen werden können. Auch Zeugen von Straftaten sollen so ermittelt und Daten von Unbeteiligten erfasst werden. Wie? Darüber steht nichts in Faesers Gesetzentwurf. „Bisher ist nicht klar, wie der Abgleich biometrischer Daten technisch umsetzbar sein soll. Es gibt dafür kein Verfahren“, sagte die SPD-Digitalexpertin Anna Kassautzki der Süddeutschen Zeitung. „Da sehen wir fraktionsübergreifend ganz große Probleme.“ Sie hoffe auf Korrekturen.

Denn ohne Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Abgleich großer Datenmengen – etwa nach einer Straftat auf einem Volksfest – nicht möglich. Die KI-Verordnung aber verbietet das „Inverkehrbringen“ und die ziellose Verwendung und Speicherung biometrischer Daten. Die Anlage einer Datenbank, mit der die Polizei biometrische Informationen abgleichen könnte, ist untersagt. Alternativ das gesamte Internet nach verdächtigen Personen zu durchsuchen, hielten IT-Experten im Innenausschuss für technisch nicht machbar. Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Louisa Specht-Riemenschneider, warnte vor klaren Grundrechtsverstößen.

Wie Faeser dieses Verbot umschiffen will, blieb unklar. „Biometrische Daten zu erfassen, stellt eine erhebliche Eingriffstiefe bei Ermittlungen dar“, wandte auch die Digitalexpertin der Linken, Anke Domscheidt-Berg, ein. Unbeteiligte und Zeugen von Straftaten solchen Maßnahmen zu unterziehen, sei hochproblematisch. Auch müsse die Nutzung biometrischer Daten auf schwere Straftaten beschränkt werden, das sei nicht der Fall. Faesers Entwurf zielt auch auf Tatbestände wie Wohnungseinbruchdiebstahl, Sportwettbetrug, oder Urkundenfälschung, also weniger schwerwiegende Delikte.

Das Innenministerium will die Einwände prüfen

Aber auch die Streichung von Sozialleistungen für Asylbewerber, die in einem anderen EU-Land zuerst registriert wurden, stieß auf scharfe Widerworte. Im Innenausschuss war man sich zwar einig, dass sogenannte Dublin-Fällen schneller als bisher in die zuständigen EU-Staaten überstellt werden sollen. Wer zwei Wochen nach dem Ausreisebeschluss Deutschland noch nicht verlassen hat, dem sollen nach Faesers Entwurf aber alle Sozialleistungen gestrichen – bis auf Brot, Bett und Seife.

Philipp Wittmann, Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, beurteilte dieses Vorhaben im Innenausschuss kritisch. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müsse für Asylbewerber das Existenzminimum gesichert bleiben, egal welchen Status sie haben. Auch zur Steuerung der Migration dürften Sozialleistungen nicht gestrichen werden. Verzögere sich die Ausreise wegen eines Rechtsstreits, drohe ein Leistungsentzug über Monate. „Dies genügt den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen evident nicht“, so Wittmann.

Scharfe Kritik kam im Innenausschuss auch von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Würden ausreisepflichtige Asylbewerber nach zwei Wochen aus der Unterkunft geworfen, und streiche man Kranken Hilfsmittel wie Rollstühle oder medizinische Versorgung, drohten „Obdachlosigkeit und Verelendung“, warnte die Hamburger Richterin Sarah Lincoln. Ein weiterer Rechtsverstoß sei es, wenn Geflüchtete keine Rechtsmittel mehr einlegen könnten, weil ihnen die Existenzgrundlage entzogen sei. „Das Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz wird hier verletzt.“

Die Grünen trugen weitere Bedenken vor: Asylbewerber, die in andere Staaten abgeschoben oder überstellt würden, dürften auch dort nicht in existenzielle Not gebracht werden. „Wir können nicht Leuten die Leistungen unter das Existenzminimum kürzen, wenn nicht tatsächlich sichergestellt ist, dass sie in einem anderen EU-Land ausreichende Sozialleistungen und ein geordnetes Verfahren bekommen. Das wäre grundgesetzwidrig“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Helge Limburg. Im Hause Faeser will man die Einwände jetzt prüfen.

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