Süddeutsche Zeitung

Rückendeckung vom Kanzler:Faeser geht mit Doppelrolle ins Risiko

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Bundesinnenministerin in Berlin und gleichzeitig SPD-Wahlkampf in Hessen: Trotz großer Krisen und Herausforderungen wagt Nancy Faeser den Spagat. Parallelen zum Fall Röttgen sieht sie nicht.

Von Constanze von Bullion und Georg Ismar, Berlin

Es ist ein in der Ampelkoalition umstrittener Schritt, aber Nancy Faeser verspricht, dass das Amt als Bundesinnenministerin nicht darunter leiden werde: Die 52-Jährige will Spitzenkandidatin der SPD für die hessische Landtagswahl am 8. Oktober werden, aber zugleich Ministerin in Berlin bleiben. Das Ziel sei es, die CDU nach knapp 25 Jahren an der Macht ablösen. Sie will aber nur als Ministerpräsidentin nach Wiesbaden wechseln - nicht als Oppositionsführerin, wie sie am Donnerstagabend im Willy-Brandt-Haus in Berlin bei der Vorstellung ihrer Pläne deutlich machte.

"Ich mache ein klares Angebot, von der ersten Minute an. Ich bewerbe mich bei den Hessinnen und Hessen um das Amt der Ministerpräsidentin", sagte Faeser. Sie hat sich für ihr Vorgehen, über das die Süddeutsche Zeitung bereits am Montag berichtet hatte, die Rückendeckung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) geholt. Faeser betont, Oppositionsführerin sei sie in Hessen schon gewesen. "Ich trete an, um zu gewinnen."

Faeser zeigte sich überzeugt, dass die Doppelrolle möglich ist. "Ich werde aus Verantwortung für unser Land Bundesinnenministerin bleiben." Die SPD plant nur relativ wenige Wahlkampftermine mit Faeser. Die Zeiten seien ernst. "Es ist jetzt nicht die Zeit, um Wahlkampf zu machen", sagte Faeser mit Blick auf den russischen Krieg in der Ukraine und seine Folgen.

Aus der Ampelkoalition kommt Kritik

An diesem Freitag soll sie von der hessischen SPD in Friedewald offiziell zur Spitzenkandidatin gekürt werden. "Wir wollen gute Arbeitsbedingungen und gerechte Löhne", sagte sie mit Blick auf inhaltliche Schwerpunkte. "Und wir wollen die besten Startchancen für alle Kinder, ein bezahlbares Leben von den Mieten bis zum ÖPNV, konsequenten Klimaschutz und Respekt und Sicherheit für alle Menschen, ganz gleich wo sie herkommen oder wie viel sie verdienen."

Doch selbst von den Koalitionspartnern im Ampelbündnis bekommt Faeser nun Kritik: "Die Führung des Bundesinnenministeriums ist kein Teilzeitjob. Gerade nicht in diesen Zeiten", sagte Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz. Bundeskanzler Olaf Scholz jedoch erwartet nicht, dass Faesers Kandidatur ihre Arbeit als Ministerin beeinträchtigt. "Von Nancy Faeser, von der ich weiß, dass es eine sehr, sehr pflichtbewusste Frau ist, kann ich sagen: Die wird jeden Tag alles tun für die Aufgabe, die sie hat", sagte Scholz am Donnerstag in einer Fragerunde mit Bürgern im hessischen Marburg.

Nach der bisher letzten Umfrage in Hessen lag die CDU mit 27 Prozent vor SPD und Grünen mit je 22 Prozent - allerdings stammt sie aus dem Oktober. Der letzte SPD-Ministerpräsident in Hessen war Hans Eichel, bevor Roland Koch im Jahr 1999 Ministerpräsident wurde. Seither regiert die CDU, seit 2014 mit den Grünen.

Auf Faeser kommen erhebliche Aufgaben zu - die Kritik an der Doppelrolle lässt sie vorerst abperlen. Die Sozialdemokratin, die von Olaf Scholz 2021 nach Berlin geholt wurde und einen guten Draht zum Kanzler haben soll, führt mit dem Bundesinnenministerium und seinen 19 nachgeordneten Behörden eines der größten Ressorts der Regierung. Ihre Zuständigkeit reicht von Terrorbekämpfung und Verfassungsschutz über Bevölkerungsschutz und Asylfragen bis hin zum Beamtenrecht. Viele Kommunen warnen zudem vor einer Überforderung mit der steigenden Zahl an Geflüchteten. Dazu kommt nun die Spitzenkandidatur in einem Wahlkampf.

Röttgen probierte die Doppelrolle 2012 - und scheiterte

Parallelen zum Fall Norbert Röttgen weist Faeser zurück. Der CDU-Politiker war 2012 Bundesumweltminister und kandidierte als Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen - war aber zuvor nicht in der Landespolitik beheimatet. Im Landtagswahlkampf ließ er im Vagen, ob er bei einer Niederlage Oppositionsführer in Düsseldorf werden wollte oder nicht. Röttgen verlor die Wahl - und auch seinen Ministerposten in Berlin. Die damalige Kanzlerin Angela Merkel entließ ihn.

Faeser sagte nun, die Fälle seien nicht vergleichbar: "Ich bin in Hessen tief verwurzelt, ich habe weit mehr als mein halbes Leben lang Kommunal- und Landespolitik gemacht." Die Sozialdemokraten verweisen angesichts der Kritik, gerade aus der CDU, auf den früheren Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU), der 1995 ebenfalls als Spitzenkandidat bei einer Landtagswahl in Hessen angetreten war und im Amt blieb, nachdem er keine Regierung in Wiesbaden bilden konnte.

Faeser verweist darauf, dass eine Kandidatur aus einem Regierungsamt heraus nicht ungewöhnlich sei. "Ich handhabe das genauso wie Olaf Scholz und Armin Laschet im Bundestagswahlkampf, wie Angela Merkel in vielen Wahlkämpfen zuvor." Wie aber das Bekenntnis, nur als Regierungschefin zurück in die Heimat zu gehen, aber bei den Bürgern vor Ort ankommt, werden die nächsten Umfragen zeigen.

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