Die Bundesregierung verschärft ihren Migrationskurs erneut. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte am Montag vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen an. Sie sollen am 16. September beginnen und zunächst ein halbes Jahr dauern. Die Gründe hierfür seien neben der Begrenzung der irregulären Migration, die eine andauernd hohe Belastung für Deutschland bedeute, auch der Schutz der inneren Sicherheit vor aktuellen Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und grenzüberschreitende Kriminalität, sagte Faeser in Berlin.
Nach dem Migrationsgipfel vergangene Woche hat die Regierung zudem ein aus ihrer Sicht europarechtskonformes Modell entwickelt, um Geflüchtete verstärkt an den Grenzen zurückweisen zu können. Dies soll über schon praktizierte Zurückweisungen hinausgehen, die etwa vorgenommen werden, wenn Geflüchtete kein Asyl beantragen oder keine gültigen Papiere bei sich haben. Bereits am Dienstag wolle die Regierung nun mit der Union über einen gemeinsamen Kurs in der Migrationspolitik sprechen.
Die von Merz geforderte Notlage soll es nicht geben
In einem anderen Punkt bleibt die Ampelkoalition dagegen offenbar hart. Das von CDU-Chef Friedrich Merz geforderte Ausrufen einer Notlage ist offenbar vom Tisch. Dafür fehlten die Voraussetzungen, verlautete am Montag aus Verhandlungskreisen. Zuletzt war die Zahl der nach Deutschland geflüchteten Menschen stark gesunken. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) haben von Januar bis August 160 140 Menschen erstmals in Deutschland Asyl beantragt – 22 Prozent weniger als im gleichen Vorjahreszeitraum. Merz hatte das Ausrufen der Notlage gefordert, um Menschen direkt an der Grenze zurückweisen zu können.
Die Grünen warnen allerdings bereits eindringlich vor einem Auseinanderbrechen des gerade mühsam reformierten Gemeinsamen europäischen Asylsystems (Geas) durch nationale Alleingänge. „Das wäre das Ende offener Grenzen in Europa“, sagte Fraktionschefin Katharina Dröge und machte deutlich, dass der Koalition bei einem verschärften Migrationskurs ein neuer Stresstest droht. Forderungen von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), die Zahl der Asylanträge auf unter 100 000 zu begrenzen, wiesen die Grünen brüsk zurück. „So arbeitet man als Demokrat nicht. Ich warte auf ernsthafte Vorschläge“, sagte Dröge. Eine Obergrenze für das im Grundgesetz verbriefte Asylrecht sei gar nicht zulässig.
Die FDP warb dagegen für schnelle Entscheidungen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) forderte am Montag, die Demokratie müsse bei diesem von Menschen als „besonders drängend empfundenen“ Problem liefern – sonst würden Menschen Alternativen suchen. Es sei von einem „überragenden Interesse“, dass bei der Steuerung der Migration eine parteiübergreifende Lösung gefunden werde. In den Ampelparteien wächst vor der nächsten Landtagswahl am 22. September in Brandenburg die Nervosität. In der jüngsten Umfrage liegt die AfD als stärkste Kraft vor SPD und Union. Auch den Grünen drohen herbe Verluste. Der FDP droht mit Umfragewerten unter einem Prozent der Absturz in die Bedeutungslosigkeit.
Auch Deutschlands Städte forderten am Montag „ernsthafte Lösungen in der Flüchtlings- und Asylpolitik“. „Es muss besser gelingen, Asylsuchende in die EU-Länder zu überstellen, die eigentlich für sie zuständig sind“, sagt Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister der Stadt Münster. Der Städtetag erwarte zügig Ergebnisse.
Nichtregierungsorganisationen sehen in Zurückweisungen einen Rechtsverstoß
Sozial- und Menschenrechtsverbände appellierten dagegen in einem offenen Brief eindringlich an die Bundesregierung, das Asylrecht nicht weiter zu beschneiden. „Das Recht, in Deutschland und Europa Schutz vor Menschenrechtsverletzungen zu suchen, gehört nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs zur DNA unserer Demokratie“, heißt es in dem von rund 20 Organisationen wie dem Paritätischen Gesamtverband, dem Deutschen Kinderhilfswerk, Save the Children und Terre des Hommes unterzeichneten Schreiben. Vorschläge wie die Zurückweisung von Schutzsuchenden verstießen eindeutig gegen europäisches Recht.
Verschärft hat sich die Debatte um irreguläre Migration und Abschiebungen nach mehreren Gewalttaten. In Solingen waren bei einem mutmaßlich islamistischen Messerattentat auf einem Stadtfest im August drei Menschen getötet und acht weitere verletzt worden. Ein 26-jähriger Syrer, der eigentlich abgeschoben werden sollte, sitzt wegen der Tat in Untersuchungshaft. Die Ampelkoalition kündigte am Montag an, Maßnahmen für mehr Sicherheit wie schärfere Waffengesetze und mehr Kompetenzen für Ermittler in dieser Woche im Bundestag zu beschließen.