Menschenrechte:Weniger Geld für Taliban-Verfolgte

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Am Flughafen von Taschkent in Usbekistan kommen im August 2021 von der Bundeswehr aus Kabul in Sicherheit gebrachte Menschen an. (Foto: Bundeswehr /Getty)

Innenministerin Faeser will das Bundesaufnahmeprogramm für bedrohte afghanische Zivilisten 2025 auslaufen lassen – zum Ärger von Außenministerin Baerbock.

Von Constanze von Bullion, Paul-Anton Krüger, Berlin

Das Vorhaben war ambitioniert, und es wurde mit großer Geste angekündigt. Jeder Tag zähle jetzt, sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, nachdem die radikalislamischen Taliban 2021 die afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen und wenig später ihre Terrorherrschaft errichtet hatten. Ehemalige Helfer der Bundeswehr und ihre Familien, aber auch Feministinnen, Menschenrechtsaktivisten, Richterinnen und Richter müssten jetzt um ihr Leben fürchten, hieß es beschwörend in der Bundesregierung. Deutschland werde ihnen helfen, so lautete das Versprechen.

Aber nun will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sich aus einem wichtigen Teil des Hilfsprogramms für die verfolgte afghanische Zivilgesellschaft zurückziehen. Das sorgt für Ärger, vor allem mit Kollegin Annalena Baerbock.

Wie aus Regierungskreisen bekannt wurde, hat Faeser im Etat ihres Hauses für 2025 keinerlei finanzielle Mittel mehr eingeplant für das „Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan“. Eine offizielle Begründung gab es in ihrem Haus zunächst nicht – wohl aber die Bestätigung, dass eine Fortsetzung der Zahlungen nicht mehr vorgesehen sei und im Haushalt 2025 daher „nicht abgebildet“.

Priorität im Haushalt hat die innere Sicherheit

Die Bundesinnenministerin hat sich im Verein mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dafür entschieden, im Streit um knappe Haushaltsmittel Prioritäten zu setzen – zugunsten der Sicherheit. Denn anders als zunächst angenommen bekommt Faeser ab 2025 nicht weniger Geld als bisher, sondern 400 Millionen Euro mehr. Ein Großteil der Mittel soll nach ihrem Willen Deutschlands Sicherheitsbehörden zugutekommen. Außerdem sind Faeser nach derzeitiger Planung 1000 zusätzliche Stellen für die Bundespolizei zugesagt. Auch für die Digitalisierung will die Ministerin weitere Mittel erkämpfen, im parlamentarischen Verfahren. Für verzichtbar hält die Sozialdemokratin dagegen das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan, jedenfalls ab 2025.

Betroffen sind davon Menschen, die unter den Taliban als besonders verwundbar gelten. Anders als bei Deutschlands Hilfsprogramm für sogenannte Ortskräfte, die staatliche Stellen wie die Bundeswehr beim Militäreinsatz in Afghanistan unterstützt haben, bietet das „Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan“ Personen Schutz, die von zivilgesellschaftlichen Organisationen benannt wurden, weil sie als persönlich gefährdet eingestuft werden.

Es sei für Menschen gedacht, die sich durch ihren Einsatz für Frauen- und Menschenrechte oder durch Tätigkeit in Justiz, Politik, Medien, Bildung oder Wissenschaft besonders exponiert hätten und „deshalb individuell gefährdet“ seien, hieß es am Donnerstag im Bundesinnenministerium. Auch wer wegen seiner Religion, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung in Afghanistan verfolgt wird, kann über das Bundesaufnahmeprogramm eine Einreise nach Deutschland beantragen, zumindest theoretisch.

Wer eine Aufnahmezusage hat, soll seinen Anspruch behalten

Denn in der Praxis stellen sich auf der Reiseroute, meist über Pakistan, oft erhebliche Hürden. Zunächst fehlte es an deutschem Botschaftspersonal, dann geriet das gesamte Hilfsprogramm unter Verdacht, Extremisten und Scharia-Richtern die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen. Die Sicherheitsüberprüfungen wurde verschärft, das Programm nach einer Unterbrechung fortgesetzt. Zählt man heute das Ortskräfteverfahren und das „Bundesaufnahmeprogramm“ zusammen, hat die Bundesregierung nach Angaben des Innenministeriums mehr als 48 300 gefährdeten Afghaninnen und Afghanen die Aufnahme nach Deutschland „in Aussicht“ gestellt. 34 100 Personen sind tatsächlich eingereist, 533 davon über das Bundesaufnahmeprogramm.

Die Einreisezahlen im zivilgesellschaftlichen Bereich seien vergleichsweise niedrig, hieß es aus Regierungskreisen. In Faesers Umfeld wiederum will man sich nicht nachsagen lassen, auf ein paar hundert gerettete Afghanen mehr oder weniger komme es der Ministerin nicht an. Wer bereits eine Aufnahmezusage habe und es in ein Nachbarland Afghanistans geschafft habe, soll seinen Anspruch auf Einreise nicht verlieren. Mit Neuanträgen allerdings soll nach Faesers Plänen Schluss sein, das Programm auslaufen.

Nur dass die Innenministerin diese Rechnung offenbar ohne die Außenministerin gemacht hat. Das Auswärtige Amt zeigte sich am Donnerstag nicht nur überrascht, es widersprach Faesers Plänen auch offen. „Es gibt derzeit keine Pläne, das Bundesaufnahmeprogramm einzustellen“, hieß es im Hause Baerbock. Das von der Koalition beschlossene Programm sei „auf die Legislaturperiode angelegt“, die erst im Herbst 2025 endet. Aktuell werde das Bundesaufnahmeprogramm „evaluiert“, parallel zu den laufenden Ausreisen von Personen, die „individuell und konkret gefährdet“ seien. Der Disput, so wie es aussieht, wird fortgesetzt.

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