Dieser Satz könnte derzeit wieder in den Zeitungen stehen: Die "kräftige Aufstockung" des Bestandes an "möglichst gut ausgebildeten Gastarbeitern" werde für die deutsche Wirtschaft "sehr nützlich sein". So sagte der Ökonom und Türkei-Experte Fritz Baade. Hätte er von Fachkräften statt Gastarbeitern gesprochen - niemand würde bemerken, dass die Zeilen schon 42 Jahre alt sind. Sie stammen aus dem Jahr 1968.
Baade hatte damals die Stimmung gut getroffen. In den folgenden Jahren, bis 1973, stieg die Zahl der Zuwanderer von einer Million auf fast 2,6 Millionen. Der Wunsch nach deren guter Ausbildung war freilich ähnlich schnell vergessen wie die Tatsache, dass die meisten Zuwanderer blieben, ihre Familien nachholten und ihre Eingliederung nicht von selbst passieren würde.
Über die Folgen wird noch heute diskutiert. Nun, da Wirtschaftsminister Rainer Brüderle einerseits und CSU-Chef Horst Seehofer andererseits wieder die Zuwanderungsdebatte entfacht haben, lautet die Frage: Was lässt sich aus den Erfahrungen von damals lernen? Wie soll Zuwanderung heute aussehen?
Entscheidend wird sein, erst einmal den Bedarf an Zuwanderern festzulegen. Die Dimensionen aus den Gastarbeiter-Zeiten sind dabei illusorisch, die heimischen Unternehmen benötigen heute jährlich einige zehntausend IT-Experten, Ingenieure und ähnliche Fachleute von außerhalb der EU; insgesamt geht es höchstens um eine niedrige sechsstellige Zahl. Dieser Mangel ist vielfach belegt und kostet Wirtschaft und Staat jährlich Milliarden Euro.
Seehofer allerdings sperrt sich in alter CSU-Tradition gegen mehr Zuzügler. Schließlich gebe es noch mehr als drei Millionen Arbeitslose - ein Potential, das genutzt werden müsse, sagt er. Der Applaus vieler Arbeitsloser und Arbeitnehmer hierfür ist ihm sicher. Doch das Spiel "Arbeitsloser gegen Einwanderer" ist ein falsches Spiel. Natürlich gebietet es die Solidarität mit den Erwerbslosen, ihnen zu einem neuen Job zu verhelfen. Sie brauchen Unterstützung, durch Kita-Plätze für Alleinerziehende, durch Aus- und Weiterbildung, durch eine andere Unternehmenskultur, die Mütter und ältere Kollegen nicht als nur bedingt leistungsfähig abstempelt.
Doch ein Blick in die Arbeitslosenstatistiken zeigt schnell: So lässt sich der Fachkräftemangel nicht vollständig beheben. Mehr als ein Fünftel der Langzeitarbeitslosen hat die Schule abgebrochen, mehr als die Hälfte bringt keinen Ausbildungsabschluss mit, während die Akademiker eine kleine Minderheit von 3,3 Prozent bilden. Das Potential an geeigneten Fachleuten ist seit Jahren zu klein, denn es hat sich als aussichtslos erwiesen, Schulabbrecher im Nachhinein zu gefragten Netzwerk-Spezialisten zu machen.
Die Chance für viele Arbeitslose liegt vielmehr in einer intelligenten Zuwanderung. Denn mit den nötigen Fachkräften kann ein Unternehmen insgesamt wachsen - und beispielsweise neue Abteilungen gründen, in denen auch bislang arbeitslose Einheimische unterkommen. Selbst in der Wirtschaftskrise hat dieser Fachkräftemangel angehalten; das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass die bisherigen Gesetze trotz mehrerer Erleichterungen für Zuwanderer in den vergangenen Jahren nicht ausreichten.
Die Fehler der Integrationspolitik nicht wiederholen
Diese Knappheit wird sich im jetzigen Aufschwung verstärken, doch sie sollte nicht Anlass dazu sein, den heimischen Arbeitsmarkt nun ganz schnell zu öffnen. Denn es gibt durchaus Risiken. Auch hier hilft ein Blick in die Vergangenheit. Jahrzehntelang waren die Berufs- und Hochschulabschlüsse der Zuwanderer weitgehend ignoriert worden. Das Ergebnis war, dass Ingenieure an Tankstellenkassen standen oder Ärzte arbeitslos blieben. Ein Hochqualifizierter aber wird nur dann Erfolg haben, wenn seine Qualifikation in Deutschland anerkannt ist; sonst ist er der Hartz-IV-Empfänger von morgen.
Auch den Unternehmen darf es die Politik nicht zu einfach machen. Denn dort gibt es durchaus das Bestreben, über Zuwanderung billiger an Spezialisten zu kommen als auf dem heimischen Arbeitsmarkt. Der russische IT-Spezialist arbeitet notfalls gerne unter Tarif, denn er erhält in Deutschland immer noch sehr viel mehr als in Smolensk. Das kann ausgenutzt werden. Der Gesetzgeber muss bei weiteren Erleichterungen also sicherstellen, dass es dem Arbeitgeber nicht um die Lohnkosten geht, sondern dass er selbst bei guter Bezahlung niemanden für den freien Posten findet. Ansonsten droht ein Wettbewerb nach unten, wie er in Einwanderungsländern wie Kanada bereits zu beobachten war.
Schließlich dürfen sich die Fehler in der Integrationspolitik der Gastarbeiterzeit nicht wiederholen. Die neuen Fachkräfte und ihre Familien müssen von Anfang an die Perspektive erhalten, dauerhaft im Land zu bleiben - und müssen auch so behandelt werden. Es ist zwar einfacher, einen indischen Biowissenschaftler und seine Kinder zu integrieren als einst einen Gastarbeiter aus Bosnien, der nicht schreiben konnte. Doch auch bei Akademikern passiert dies nicht von alleine.
Die Kunst wird sein, dies in Gesetze zu gießen, die weniger undurchsichtig sind als die jetzigen Regeln. Denn die, so klagen Zuwanderer immer wieder, sind abschreckend kompliziert.