Süddeutsche Zeitung

Tech-Konzern:Facebook-Whistleblowerin sagt vor dem US-Kongress aus

Ihr Auftritt ist sehr gut vorbereitet: Die 37-Jährige argumentiert sachlich und drückt sich präzise, gewählt und sehr verständlich aus. Die Abgeordneten scheinen sich dankbar auf die Machenschaften Facebooks zu stürzen.

Von Fabian Fellmann, Washington

Der Sonntag hat alles verändert. Bis dahin war Frances Haugen nur ein paar handverlesenen Eingeweihten bekannt. Keine drei Tage später saß sie am Dienstag vor einem Ausschuss des US-Senats und packt in aller Öffentlichkeit die dunklen Geheimnisse von Facebook aus: die schädlichen Folgen der Algorithmen für Individuen, für Gruppen, für die Demokratie, für die Gesellschaft als Ganzes.

Dass der Konzern mehr wisse als er zugebe, wie einst "Big Tobacco". Dass Facebook zu wenig gegensteuere. Dass der Profit vor Sicherheit gekommen sei. "Das Resultat war mehr Trennendes, mehr Schaden, mehr Lügen, mehr Drohungen, mehr Kampf", sagte Haugen im Kapitol.

Die 37-jährige Spezialistin für Algorithmen hat bis Mai für Facebook gearbeitet und zuvor für Google und Pinterest. Sie gelangte zur Auffassung, dass Facebook im Vergleich zu wenig unternimmt, um negative Folgen der Geschäfte zu verhindern. Darauf stellte sie Medien, Börsenaufsicht und nun dem US-Kongress eine Unmenge interner Daten zur Verfügung. Zunächst blieb die Whistleblowerin anonym, am Sonntag trat sie in einem Fernsehinterview mit vollem Namen auf.

Breites Lob für Whistleblowerin

Für andere Whistleblower wie Julian Assange oder Chelsea Manning führte der Schritt an die Öffentlichkeit auf direktem Weg in die Isolation. Dieses Schicksal dürfte Frances Haugen zumindest vorerst erspart bleiben. Das Vorgehen der 37-Jährigen stößt kaum auf Kritik. Vor dem Senat erntete sie vielmehr Lob. Ihr Auftritt war sehr gut vorbereitet: Haugen argumentierte sachlich und drückte sich präzise, gewählt und sehr verständlich aus.

Die Abgeordneten schienen sich dankbar auf die Machenschaften Facebooks zu stürzen. Die Kluft zwischen Demokraten und Republikanern wurde in den Trump-Jahren tiefer und tiefer. Alles hat eine parteipolitische Bedeutung erhalten, selbst Alltagsthemen spalten die Menschen.

Umso willkommener heißt der Kongress deshalb eine Angelegenheit, die alle einen könnte, weil das Böse so klar zu benennen ist: Facebook. Nicht einmal drei Jahre ist es her, dass Mark Zuckerberg sich erstmals vor dem Kongress verteidigen musste. Die Videos sind ikonisch geworden, und die Abgeordneten sind auf den Geschmack gekommen.

Ritualisiert knöpfen sie sich seither die Aushängeschilder der Tech-Giganten vor, allen voran Facebook. In Hearings machen sie ihrem Ärger über die Multimilliardäre von der Westküste Luft: Demokraten prangern an, die Giganten unternähmen zu wenig gegen Hassrede und für den Minderheitenschutz, Republikaner schimpfen über zu strenge Richtlinien, Zensur, linke Propaganda oder Pornografie. Für beide Seiten passt das zum Selbstbild von Kämpfern gegen mächtige Kartelle.

Der Profilierungssucht der Politiker allein entspringen die Hearings aber keineswegs. Vielmehr tauchen bei den Internetriesen stets neue Probleme auf. Frances Haugens Aussagen weisen weniger auf bisher unbekannte Aspekte hin als dass sie das immense Ausmaß deutlich machen. Für Haugen ist die Grundlage des Geschäftsmodells falsch. Das Netzwerk sei darauf ausgelegt, die Nutzer an sich zu binden, damit diese mehr Zeit damit verbringen. Problematische Inhalte fördern erwiesenermaßen dieses Wachstum - ihre Verbreitung zu hindern hingegen bremst das Interesse der Nutzer. In diesem Zielkonflikt wähle Facebook stets Profit vor Sicherheit, kritisiert Haugen. Sie sei überzeugt, dass ein besseres soziales Netzwerk möglich sei.

Facebook will selbst neue Gesetze - warum wohl?

Im Senat traf sie auf offene Ohren. Der Vorsitzende des Ausschusses, Richard Blumenthal, zog historische Vergleiche. "Facebook orientiert sich am Vorbild der großen Tabakkonzerne", sagte er. Der Konzern habe - wie einst die Tabak-Lobby - interne Studien vertuscht, die giftige Folgen der Produkte bestätigten. Ed Markey beschrieb Instagram, eines der Facebook-Netze, als "erste Zigarette in der Kindheit, um die Teenager rasch süchtig zu machen". Die beiden Demokraten wollen den sozialen Netzen darum Fesseln anlegen und zum Beispiel verbieten, dass Minderjährige Push-Nachrichten erhalten, die sie zum übermäßigen Gebrauch von Handys verleiten.

Der Druck auf Facebook wächst damit erneut, und das Sündenregister des Konzerns ist bereits umfangreich, von der Einmischung Russlands in die Präsidentschaftswahlen 2016 über das Ausspionieren von Nutzern bis zur unrühmlichen Rolle bei der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar. Haugen wünscht sich ein öffentliches Aufsichtsorgan.

Allerdings hat der Konzern neben der Schelte wohl nicht allzu viel zu befürchten von der Politik. Seit Jahren versuchen sich Abgeordnete daran, die sozialen Netze zu regulieren. Eine mehrheitsfähige Vorlage ist nie zustande gekommen, obwohl es an Ansätzen nicht mangeln würde: im Kartellrecht, im Haftungsrecht, im Datenschutzrecht. Facebook arbeitet inzwischen selbst auf eine nationale Regulierung hin - mit dem Hintergedanken, die eigenen Regeln auf Gesetzesstufe zu heben, um einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten zu erlangen. Zudem will der Konzern verhindern, dass weitere Bundesstaaten eigene Gesetze erlassen, wie das mehrere getan haben.

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