Süddeutsche Zeitung

Social Media:Versprechen gebrochen

Facebook hat zugesagt, keine politische Gruppen mehr zu empfehlen. Die Praxis sieht anders aus.

Von Berit Kruse

In privaten Gruppen loten Facebook-User immer wieder die Grenzen des guten Geschmacks und der Meinungsfreiheit aus. So schreibt in einer Gruppe namens "Gegen Annalena Baerbock" jemand, er bekäme Brechreiz, wenn er die Außenministerin sehe. Jemand anderes zählt sie zu den "großen Marionetten in Deutschland" und fordert, "dass sich gute Leute gegen diese Tyrannei stellen". Facebook löscht diese Beiträge nicht. Im Gegenteil: Die Plattform schlägt Usern die Mitgliedschaft in dieser Gruppe aktiv vor, obwohl Mark Zuckerberg vor etwa einem Jahr versprochen hatte, Empfehlungen politischer Gruppen weltweit abzuschaffen. Dass das nicht umfassend gelingt, geht aus Datenrecherchen der Süddeutschen Zeitung und des US-amerikanischen Recherchekollektivs The Markup hervor.

Algorithmische Empfehlungen von politischen Inhalten können problematische Folgen haben. "Wenn Gruppen empfohlen werden, die sich gezielt gegen politische Akteure organisieren, kann dies zum Vorteil ihrer politischen Gegner sein", sagt Wenzel Michalski, Deutschland-Chef von Human Rights Watch. Natürlich würde niemand radikalisiert, nur weil ihm oder ihr eine einzelne Gruppe auf Facebook empfohlen wird. Aber auch Ermittlungen von Facebook selbst, über die unter anderem das Wall Street Journal berichtete, haben ergeben, dass politische Gruppenvorschläge Nutzer zu weiteren spaltenden Inhalten lenken können.

Facebook erklärt nicht, wie es politische Gruppen definiert. Bei der Recherche stieß die SZ auf Fälle, in denen Usern radikale und verschwörungsideologische Gruppen empfohlen wurden, zum Beispiel von "Flat Earthern", Kriegsverherrlichern und Patrioten. Postings in diesen Gruppen sind nicht verboten. "Aber es ist etwas anderes, ob Facebook diese Äußerungen erlaubt, oder ob es diese Nachrichten auch noch amplifiziert", kritisiert Michalski. Der SZ liegen außerdem Hunderte Fälle vor, in denen explizit politische Gruppen empfohlen wurden, darunter auch die von Ortsvereinen der im Bundestag vertretenen Parteien. Das ist vergleichsweise harmlos, doch politische Werbung kann den Wettbewerb verzerren, deswegen ist sie in Deutschland streng limitiert. "Aber Regeln, auf die wir uns in anderen Kontexten geeinigt haben, gelten online nicht immer", sagt Wenzel Michalski. Teils erreichten die Facebook-Vorschläge User noch am Tag der Bundestagswahl.

Eine Sprecherin des Facebook-Mutterkonzerns Meta bestätigt der SZ die Vorfälle: "In diesem Fall ist beim Filtern nach der Kennzeichnung der Gruppen ein Problem aufgetreten, sodass einige Gruppen im Empfehlungstool verblieben sind." Schon in den USA ist es Facebook nicht konsequent gelungen, politische Gruppen von den Empfehlungen auszuschließen. Facebook begründete diese Fälle mit technischen Hindernissen.

Eine Meta-Sprecherin sagt dazu, Facebook arbeite laufend daran, das Filtern der Gruppen zu verbessern. Aktivisten fordern von Facebook aber vor allem mehr Transparenz: Gerade wegen der Radikalisierungsgefahr muss es für zivilgesellschaftliche Akteure möglich sein, Tech-Firmen wie Facebook zu kontrollieren.

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