Stimmungsmache im Netz:Die Macht der Lügen

Stimmungsmache im Netz: Auf Facebook verbreiten dubiose Akteure vor der Europawahl gezielt Desinformationen.

Auf Facebook verbreiten dubiose Akteure vor der Europawahl gezielt Desinformationen.

  • Dubiose oder unseriöse Akteure nutzen Twitter, Facebook und andere Netzwerke, um die politische Stimmung zu beeinflussen.
  • Für die Europawahl am 26. Mai erwarten Experten und Politiker massive Einflussversuche - durch Internetseiten wie Russia Today.
  • Auch Geldgeber aus den USA hätten in der Vergangenheit versucht, das Meinungsklima in Deutschland zu manipulieren.

Von Anna Reuß

Zum Regieren, sagte Gerhard Schröder einmal, brauche er nur "Bild, BamS und Glotze". Wäre Schröder heute noch Kanzler, hätte er mit dieser Strategie wohl deutlich weniger Erfolg. Vor gut zehn Jahren begann die Erfolgsgeschichte der sozialen Medien. Seitdem senden Politiker ihre Botschaften dem Wähler direkt auf sein Smartphone. Der CDU-Politiker und heutige Gesundheitsminister Jens Spahn etwa nutzte vor der Bundestagswahl 2017 die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke besonders findig. Er richtete sich mit einer Anzeige bei Facebook ausschließlich an Fans der AfD-Seite. "Sichere Außengrenzen für ein sicheres Europa. Seht ihr das genauso?", hieß es dort. Menschen in Großstädten hingegen bekamen von ihm andere Werbung angezeigt - eine, die weltoffener wirkte.

Die Möglichkeiten von Twitter, Facebook und anderen Netzwerken nutzen allerdings längst auch dubiose oder unseriöse Akteure, um die politische Stimmung zu beeinflussen. Besonderes Gewicht erhält dies derzeit durch die bevorstehende Europawahl am 26. Mai, für die Experten und Politiker massive Einflussversuche erwarten - von außen durch Internetseiten wie Russia Today oder auch von heimischen Hetzern wie dem deutschen Islamhasser-Blog "Politically Incorrect". Der Unionsfraktionsvorsitzende im Bundestag, Ralph Brinkhaus, beklagte schon vor Monaten eine "Welle von Unwahrheiten" in den sozialen Medien. Andrus Ansip, der für den digitalen Binnenmarkt zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, sagte, es gebe starke Belege dafür, dass Russland die "Hauptquelle für Desinformationen in Europa" sei. Dies sei "Teil der russischen Militärdoktrin". Das Problem verschärfen könnte die womöglich geringe Wahlbeteiligung. 2014 gingen nur 43 Prozent der Berechtigten zur Abstimmung. Je geringer die Beteiligung, desto stärker kann gezielte Manipulation von Wählern wirken.

Nach Brand in Notre-Dame wurden rasant Falschnachrichten verbreitet

Das Problem wird seit Jahren diskutiert, doch trotz aller Beteuerungen der sozialen Netzwerke, mehr einzugreifen, besteht es fort. Das zeigen auch Beispiele aus Europa: Eine Analyse der amerikanischen George-Washington-Universität etwa kommt zu dem Schluss, dass vor dem katalanischen Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017 die kremlnahen Medien Russia Today und Sputnik soziale Netzwerke nutzten, um eine europafeindliche Stimmung zu erzeugen. Auch nach dem Brand der Kathedrale Notre-Dame wurden rasant Falschnachrichten verbreitet. Bei Twitter zirkulierte etwa die Behauptung, es handele sich um einen islamistischen Anschlag, angereichert mit der erfundenen Aussage der US-Kongress-Abgeordneten Ilhan Omar, einer Muslima, dass "sie ernten, was sie säen". Omar hat dies nie gesagt - die Falschnachricht wurde von Accounts verbreitet, die sich als TV-Sender Fox News und CNN ausgaben.

Als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg 2018 vor dem US-Senat aussagte, erklärte er mit Blick auf die Rolle seines Unternehmens bei der Einmischung in Wahlen aus dem Ausland, dass "wir eine aktivere Rolle spielen und unsere Verantwortung umfassender wahrnehmen müssen". Auch Twitter geht konsequenter gegen Falschnachrichten vor. Zwar ist umstritten, ob und in welchem Ausmaß Falschnachrichten die US-Präsidentschaftswahl beeinflusst und Donald Trump zum Sieg verholfen haben. Allerdings legt eine Studie der Universitäten Princeton, Dartmouth und Exeter einen Zusammenhang nahe. Anhänger Trumps besuchten am intensivsten Websites mit Falschnachrichten, die wiederum positiv über ihn schrieben. Facebook ist demnach wichtiger Multiplikator für die Verbreitung solcher Inhalte.

Systematische Desinformation auch vor der Bundestagswahl 2017

Welche Dimension die gezielt gestreuten Falschnachrichten in Deutschland haben, zeigt eine Studie der Universität Oxford. Demnach waren etwa 20 Prozent der politischen Informationen, die vor der Bundestagswahl 2017 in sozialen Netzwerken geteilt wurden, systematische Desinformation. Es sei schwer nachvollziehbar, wer hinter solchen Kampagnen stecke, sagt Simon Hegelich, Professor an der TU München. Er forscht zur Manipulation in sozialen Netzwerken. So gebe es Indizien dafür, dass dieselben Akteure sowohl bei Twitter als auch Facebook aktiv waren und zudem mit AfD-nahen Accounts in Verbindung standen. "Gerade bei kulturellen Themen gibt es Priming-Effekte", sagt Hegelich. Dieser Effekt beschreibt etwa, dass die AfD davon profitiert, wenn sie in den Medien genannt wird, egal ob positiv oder negativ. Bei anderen Parteien gebe es diesen Effekt nicht, weil er nur durch negative Äußerungen zu kulturellen Themen wie Migration oder Political Correctness entstehe.

"Die Erwartung der frühen Jahre an soziale Netzwerke wurde enttäuscht", sagt Ulrike Klinger. Sie leitet an der Freien Universität Berlin die Forschungsgruppe "Nachrichten, Kampagnen und die Rationalität öffentlicher Diskurse". Die Debatte über soziale Medien sei heute pessimistischer als noch vor fünf Jahren. "Heute geht es überwiegend um Desinformation und ob soziale Medien unsere Demokratie schädigen." In bestimmten Situationen seien nur wenige sogenannte Social Bots nötig, also automatisierte Nutzerprofile, die in sozialen Medien Botschaften verbreiten, um im Netz das Meinungsklima in einer politischen Debatte zu ändern. Deshalb müssten die Plattformen ihrer Verantwortung besser nachkommen, meint Klinger. Bislang reagierten diese lediglich auf politischen Druck. "Zwar verdienen sie viel Geld mit den Daten, geben der Gesellschaft aber wenig zurück." Wenn Facebook oder Twitter behaupteten, dass sie jeden Tag eine Million Fake-Accounts löschten, dann könne das zudem niemand überprüfen.

Im September vergangenen Jahres unterzeichneten die Unternehmen einen freiwilligen Verhaltenskodex zur Selbstregulierung. In Brüssel ist man mit der Umsetzung jedoch nicht zufrieden. Bislang habe die EU-Kommission nicht den Eindruck, dass die Plattformen rechtzeitig und mit Nachdruck gegen das Problem vorgehen, hieß es Ende Februar. Im jüngsten Zwischenbericht vom vergangenen Dienstag werden immerhin die Bemühungen der Plattformen als erfreulich bezeichnet, so schuf Facebook auch für Europa ein Verzeichnis der Wahlwerbung. Allerdings sei es nach wie vor "bedauerlich", dass kaum Fortschritte bei der Transparenz von themenbezogener Werbung gemeldet wurden. Es sei notwendig, dass die Plattformen externen Forschern Datensätze zur Verfügung stellten, heißt es im Bericht. Die Plattformen geben sich indes geläutert. Facebook habe etwa die "Bedrohungslage" und den Einfluss ausländischer Akteure auf den US-Wahlkampf 2016 zu lange nicht erkannt, sagte ein Vertreter von Facebook bei einer Veranstaltung der Unionsfraktion im März.

"Die Russen sehen sich in der Defensive"

Gesteuerte Kampagnen seien kostengünstig, und ihr Nutzen - nämlich Streit anzufachen - sei groß, sagt Sandro Gaycken, IT-Sicherheitsexperte am Digital Society Institute in Berlin. Dahinter stehe das Prinzip "Teile und herrsche", sagt er. "Russland ist dabei ein bekannter Akteur, weil man sich dort vom Paradigma der propagandistischen Beeinflussung nie richtig verabschiedet hat." Um dem zu begegnen, sei es nötig, mit ausländischen Akteuren in den Dialog zu treten. Allerdings herrsche in Russland umgekehrt der Eindruck vor, dass gegen das Land ein Informationskrieg geführt werde, meint Gaycken. "Die Russen sehen sich in der Defensive."

Auch Geldgeber aus den USA hätten in der Vergangenheit versucht, das Meinungsklima in Deutschland zu manipulieren, sagt David Schraven, Gründer der Rechercheplattform Correctiv. Seit 2017 kooperiert die Plattform mit Facebook, um Beiträge als Falschmeldungen zu kennzeichnen. Schraven hatte schon vor der Landtagswahl in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen 2017 beobachtet, dass rechte Akteure den Erfolg Donald Trumps im Rust Belt, der ehemals dominanten Industrieregion der USA, auf das Ruhrgebiet zu übertragen versuchten. So wurde etwa über den britischen Ableger der Breitbart-Webseite eine angebliche Nachricht über einen "Mob" in Dortmund verbreitet, wo mehr als 1000 Männer "Allahu Akhbar" rufend eine Kirche in Brand gesteckt haben sollen. Diese Falschmeldung auf Englisch wurde in Facebook-Gruppen in Deutschland rasant verbreitet; viele glaubten offenbar die erfundene Geschichte. Schraven zufolge standen dahinter rechte Gruppen in Deutschland, die so Stimmung gegen Flüchtlinge machen wollten.

Ein weiteres Beispiel, das er nennt: In Facebook-Gruppen, die auf Publikum im Ruhrgebiet zielen, wurden Meldungen über eine angebliche Vergewaltigung durch einen Flüchtling geteilt. Als Quelle wurde ein "Freund bei der Polizei" genannt. So wurde begründet, dass andere Medien nicht über diese Vergewaltigung - die in Wahrheit nie stattgefunden hat - berichtet haben. Schraven sieht einen Zusammenhang zwischen den Falschnachrichten und dem hohen Stimmenanteil der AfD in manchen Bezirken von Essen oder Dortmund.

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