Süddeutsche Zeitung

Facebook:Die Richter des Internets

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs wird in die Geschichte eingehen. Die Richter kuschen nicht vor den digitalen US-Giganten. Sie urteilen spektakulär, mutig, gar sensationell.

Von Heribert Prantl

Dieses Urteil wird in die europäische Geschichte eingehen als das Urteil, das nicht kuschte vor der US-amerikanischen Marktmacht und das nicht zauderte vor den Giganten des Internets. Dieses Urteil ist spektakulär. Es ist mutig. Es ist wichtig. Es ist grundstürzend. Es ist eine Sensation.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist zwar sperrig zu lesen; aber es reißt, hoffentlich, eine nationale und eine europäische Politik aus der Agonie; diese Politik hat bisher so getan, als sei die juristische Wehrlosigkeit der EU-Bürger gegenüber Facebook, Google, Amazon, Ebay und Co. ein Prinzip der digitalen Moderne. Das Urteil der EU-Richter macht nun klar, dass die europäischen Grundrechte keine papierenen Grundrechte sein sollen. Das Urteil gibt dem Datenschutz den Rang, der ihm in den Zeiten des Internets gebührt. Es stellt klar: Die digitale Revolution darf nicht zur digitalen Inquisition werden.

Dieser Tag des Urteils ist ein guter, großer Tag für Europa

Das Gericht beendet das europäische Laisser-faire; das Europäische Parlament hatte das schon ein paar Mal vergeblich versucht. Das Gericht akzeptiert den Datentransfer von Europa in die USA nicht mehr so ohne Weiteres. Es akzeptiert ihn nicht, solange der Datenschutz für die Daten der EU-Bürger in den USA nicht gewährleistet ist. Das Urteil gestattet es nicht länger, dass die Daten der EU-Bürger, die an die Server in den USA geliefert werden, dem beliebigen Zugriff etwa von US-Überwachungsprogrammen ausgeliefert werden. Das Urteil ist ein Urteil gegen Facebook und die Praktiken, die dort gelten. Weil diese Praktiken aber Usus sind in mehr als viertausend anderen US-Firmen, ist es ein Urteil, das die gesamte Branche betrifft. Das Urteil wird die globale Datenwirtschaft verändern. Es wird wohl dazu führen, dass Facebook und Co. Server in Europa installieren müssen.

Ist das Urteil eine Kampfansage? Es ist eine Rechtsansage: Es macht den nationalen Regierungen und den Institutionen der EU deutlich, dass das europäische Recht sich im transatlantischen Verkehr nicht in den Staub werfen darf. Mit diesem Urteil wird der Grundrechtsschutz in der Europäischen Union zu einem Gemeinschaftsprojekt. Deshalb ist der Tag dieses Urteils ein guter, ein großer Tag für Europa. Er besagt: Europas Stärke ist die Stärke des Rechts. Das ist eine Botschaft und eine Gewissheit, die in den Monaten der Turbulenzen um den Euro und um den richtigen Umgang mit den Flüchtlingen fast verloren gegangen ist.

Das Urteil nimmt den Artikel 8 der EU-Grundrechtecharta nicht für ein bloßes Sprüchlein: "Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten." Das Gericht folgert daraus seine Pflicht einzugreifen, wenn die EU-Kommission dieses Recht aufgibt. Dem EU-Gericht reicht es nicht mehr, dass die Daten der Bürger Europas durch das "Safe-Harbor-Abkommen" aus dem Jahr 2000 einfach für sicher erklärt worden sind. Seitdem ist einiges passiert: Es gibt seit 2009 die europäische Grundrechte-Charta mit dem Grundrecht auf Datenschutz. Und es gibt seit 2013 die Enthüllungen des Edward Snowden. Diese haben gezeigt, dass europäische Daten in den USA potenziell den US-Geheimdiensten zur Verfügung stehen. Das Gericht zieht daraus seine Lehre: Ein Hafen ist nicht schon deshalb sicher, weil er als sicher definiert wird. Die EU-Kommission hat versucht, diese Fiktion aufrechtzuerhalten. Das Gericht erlaubt das nicht länger. Die ganze Geschichte erinnert an Hans Christian Andersens Märchen über "Des Kaisers neue Kleider". Im Märchen ist es ein Kind, das endlich die Wahrheit sagt: Der Kaiser hat nichts an. In Europa macht das der Europäische Gerichtshof.

Aller guten Dinge sind drei, aller guten Urteile auch. Das Urteil in Sachen Facebook ist das dritte Urteil des EU-Gerichtshofs zum europäischen Datenschutz. Das erste Urteil war das vom April 2014 gegen die Vorratsdatenspeicherung. Das zweite war das vom Mai 2014 zum Recht auf Vergessen und gegen Google. Das dritte Urteil, das gegen Facebook, versucht nun, das Gerede vom Internet als rechtsfreien Raum endgültig zu beenden. Das Gericht erklärt mit aller Deutlichkeit, dass künftige Vereinbarungen über den Datenverkehr der richterlichen Kontrolle unterliegen. Das ist nun freilich noch keine Garantie, dass diese Kontrolle gelingt - aber es ist eine Ankündigung, die die staatlichen und die wirtschaftlichen Akteure nicht unbeeindruckt lassen wird.

Der EU-Gerichtshof in Luxemburg ist dabei, sich als Europäischer Verfassungsgerichtshof zu etablieren. Wenn es gut geht, steuert er die Entwicklung der Europäischen Union so klug, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland gesteuert hat.

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SZ vom 07.10.2015
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