Süddeutsche Zeitung

Facebook:Die Präsidenten-Macher

Die millionenfache Verbreitung von Falschnachrichten und Lügen hat Trump befeuert. Die sozialen Medien haben inzwischen die Macht, Präsidenten zu machen. Verbote und Zensur helfen dagegen jedoch nicht, helfen muss sich jeder Nutzer selbst.

Von Johannes Boie

Zur Wahrheit über den Wahlsieg von Donald Trump gehört, dass er in einer Prä-Facebook-Welt vermutlich nicht stattgefunden hätte. Die Wirkung, die das soziale Netzwerk bei seinen Nutzern zeitigt, hat den Sieg Trumps entscheidend beeinflusst. Auch weil die Effekte der sozialen Medien verhältnismäßig neu und unbekannt sind, wurde sein Wahlsieg von vielen professionellen Beobachtern und Journalisten nicht vorausgesehen.

Wie sich das Spannungsfeld zwischen Nutzern, die man in der alten Welt Leser nannte, zwischen Politik, Wirtschaft und Medien verändert, werden Wissenschaftler untersuchen müssen. Zwei Phänomene aber sind bekannt. Sie verändern vieles.

Erstens ist da die Filter Bubble zu nennen, in der sich die meisten Nutzer bewegen. Weil Facebook möchte, dass sie glücklich sind, setzt der Konzern ihnen vor allem solche Meldungen vor, die sie in ihrer Meinung bestärken. So werden Rechte immer rechter, Linke immer linker, Verschwörungstheoretiker sehen sich laufend bestätigt. Es sind weniger radikale Politiker als Algorithmen, die die Gesellschaft spalten.

Zweitens werden auf den Portalen Nachrichten verbreitet, die falsch sind. Nicht ab und zu, sondern rund um die Uhr und millionenfach. Das Portal Buzzfeed hat nachgezählt und Geschichten gefunden wie jene, dass Hillary Clinton unter HIV leide oder dass Trump mit seinem Privatflugzeug 200 Elitesoldaten gerettet habe. Die 20 am häufigsten verbreiteten Lügengeschichten wurden auf Facebook öfter geteilt als - im selben Zeitraum - die 20 am häufigsten verbreiteten echten Nachrichten aus professionellen Redaktionen.

Trump hätte die Wahl ohne die sozialen Medien nicht gewonnen

Die Frage ist, was man dagegen tun kann. Die Antwort ist nicht einfach. Das Phänomen falscher Nachrichten beginnt bei der versehentlich produzierten Ente in einer ansonsten sauber arbeitenden Redaktion. Dazu kommt Satire, sie wird im Netz häufig missverstanden. Dann gibt es Lügen, die Menschen nur deshalb verbreiten, weil sie wissen, dass sich Lügen weit verbreiten. Hängt man Werbung an die Lügen, verdient man Geld. Obendrauf kommen professionelle Lügen, von Menschen, die alles dafür tun, um eine Sache oder einen Kandidaten zu fördern. Staaten wie Russland bezahlen für solche Propaganda.

Sollten nun also Plattformen wie Facebook in die Pflicht genommen werden, damit falsche Nachrichten nicht mehr verbreitet werden können? Das würde bedeuten, dass Facebook darüber entscheidet, ob eine Nachricht als wahr oder als erfunden eingestuft wird. Die Firma ist jedoch schon mit weit einfacheren Aufgaben, wie dem Löschen strafbarer Hetze, so überfordert, dass in Deutschland die Staatsanwaltschaft gegen Facebook ermittelt.

Jene dubiosen Medien in den Griff zu bekommen, die die Lügen und Märchen verbreiten, muss ebenfalls eine Wunschvorstellung bleiben. Satire würde unter die Räder geraten und viele Übeltäter sitzen ohnehin im Ausland. Außerdem: Wer würde entscheiden, welche Redaktion ordentlich arbeitet, welche nicht? Etwa der Gesetzgeber, also jene Gewalt, die die Medien eigentlich kontrollieren sollen?

So bleibt am Ende, etwas unbefriedigend, nur die Hoffnung auf das, was im Bildungsplan als "Medienkompetenz" bezeichnet wird. Seit Computer Alltagsgegenstände geworden sind, hat die Menschheit viel dazu gelernt. Dass Killerspiele aus Jugendlichen keine Mörder machen. Dass Pornografie im Netz nicht das Ende von Beziehungen ist. Vieles muss sie noch lernen: Dass Daten Geld wert sind. Dass jeder im Netz Opfer von Hackern und Überwachung werden kann. Und eben auch: Dass sehr, sehr vieles, was im Netz geschrieben und verbreitet wird, schlicht nicht stimmt, auch dann nicht, wenn es professionell anmutet. Bleibt zu hoffen, dass die Nutzer diese Lektion besonders schnell lernen.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2016
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