Ukraine:Wie Russland im Informationskrieg aufrüstet

Ukraine: Berichte von Zeugen und Fotos von Reportern - hier ein Bild der Zerstörung in Butscha - werden gezielt als Inszenierung verleumdet.

Berichte von Zeugen und Fotos von Reportern - hier ein Bild der Zerstörung in Butscha - werden gezielt als Inszenierung verleumdet.

(Foto: Genya Savilov/AFP)

Vom staatlichen Medium bis zum Botschaftsaccount: Russische Kampagnen manipulieren gezielt mit Falschnachrichten über den Krieg in der Ukraine. Das belegen neue Analysen.

Von Matthias Kolb und Berit Kruse

Als der Kreml wenige Tage nach den Gräueltaten in Butscha die Aufnahmen aus dem Kiewer Vorort als "Inszenierung" bezeichnet, sind die Soldaten des Informationskriegs schon an der Arbeit: Fast zeitgleich mit den offiziellen Stellungnahmen beginnen Putin-Propagandisten, auf sozialen Medien Falschinformationen zu streuen. WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung haben analysiert, wie sich die russische Propaganda trotz aller Gegenbeweise auf Facebook verbreitet - und wie die Plattform dabei scheitert, die Verschwörungsmaschinerie zu stoppen.

Mit der deutschsprachigen Stellungnahme des russischen Verteidigungsministeriums zu den Gräueltaten von Butscha wurde tausendfach interagiert, mit der englischsprachigen Version hunderttausendfach. "Der Westen ist der wahre Aggressor", heißt es kremlkonform in dem Video eines deutschsprachigen Nutzers, es wird eine halbe Million Mal angesehen. "Russland führt keinen Krieg" behauptet ein weiteres Video, es erzielt 200 000 Views. Die Erzählung eines "inszenierten Blutbads von Butscha" wird in unzähligen Posts reproduziert. Meta, der Mutterkonzern von Facebook, hat strenge Maßnahmen zum Krieg in der Ukraine angekündigt. Trotz der hohen Abrufzahlen war nur ein Bruchteil der Posts, die WDR, NDR und SZ auf Basis einer Analyse der Initiative Hate Aid überprüft haben, als Falschmeldung gekennzeichnet.

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Facebook versichert auf Rückfrage, am Umgang mit Fehlinformationen kontinuierlich zu arbeiten. Aber die Mechanismen, die in Russland seit Langem aufgebaut werden, entfalten jetzt ihre Wirkung. "Einen Desinformationsapparat, der in den letzten fünf Jahren gewachsen ist, kann man nicht in fünf Wochen abschalten", sagt die Whistleblowerin Frances Haugen, die früher bei Facebook in der Abteilung "Counter Intelligence" gearbeitet hat. Ihrer Einschätzung nach existiert ein koordiniertes Verstärkungsnetzwerk aus Zehntausenden Gruppen und Seiten, die derzeit aus Russland gesteuert werden.

WDR, NDR und SZ stoßen bei der Recherche auf prorussische Accounts, die nach Kriegsbeginn plötzlich ein starkes Wachstum erfahren. Eine Seite wurde vier Tage nach Kriegsbeginn gegründet, einen Monat und 250 Pro-Kreml-Postings später folgen ihr zehntausend Menschen. Die Videos dieser Seite werden insgesamt über zwei Millionen Mal angesehen. Kein Einzelfall. Aber wie das Wachstum entsteht, ist unklar.

Nutzer sollen glauben, dass alles unwahr ist

Die Narrative der Falschnachrichten wurden eindeutig widerlegt, dennoch erfüllen sie ihren Zweck: "Bei Nutzern soll hängen bleiben, dass sie gar nichts mehr glauben können und es so etwas wie eine objektive Wahrheit gar nicht gibt", erklärt Philip Kreißel, der bei Hate Aid Desinformation untersucht. Der russischen Armee kommen die gesäten Zweifel zugute: "Wenn niemand irgendetwas glaubt, muss sie keine Konsequenzen für ihre Kriegsverbrechen fürchten."

Facebook rüstet im Informationskrieg mit Faktenchecks auf: Posts, die unabhängige Prüfer als "falsch" bewerten, werden in ihrer Reichweite eingeschränkt. In der EU sind die Facebook-Seiten der staatlichen russischen Medien Russia Today und Sputnik nicht erreichbar. Kreißel hält das für sinnvoll, aber "das Problem ist, dass viele Richtlinien nicht konsequent umgesetzt werden". Von privaten Accounts neu hochgeladene Videos von Russia Today etwa werden teilweise hunderttausendfach abgerufen - ohne jede Warnung vor Falschinformationen. Facebook möchte richtliniengemäß "auch Inhalte entfernen, die wahrscheinlich direkt zur Beeinträchtigung des Funktionierens politischer Prozesse beitragen". Auf der Seite der russischen Botschaft in Deutschland jedoch erscheinen keine Content-Warnungen.

"Facebook setzt vor allem auf Algorithmen, um seine Plattform frei von Desinformationen zu halten. Oft sind diese Algorithmen nicht ausgereift genug", sagt Kreißel. Menschen könnten das besser, findet auch Frances Haugen: "Facebook hat gelogen, dass künstliche Intelligenz uns beschützen kann." Weniger als ein Prozent der Gewaltaufrufe würden automatisiert erkannt. Facebook fehle es an Personal, hat Haugen schon 2021 vor dem US-Senat kritisiert. Jetzt ist sich die Whistleblowerin sicher: "China kann in Taiwan gerade machen, was es will - alle verfügbaren Kräfte arbeiten momentan am Thema Krieg in der Ukraine."

Offizielle Accounts des russischen Staats sind beteiligt

In Brüssel und Washington beobachtet man einen weiteren Trend. Seit dem Überfall auf die Ukraine verbreiten viele offizielle Accounts des Moskauer Außenministeriums und von russischen Botschaften in EU-Staaten und benachbarten Ländern mit hoher Intensität Narrative des Kremls und versuchen, Zweifel an den Berichten aus Kiew, Butscha oder Mariupol zu säen. "Die Accounts von russischen diplomatischen Vertretungen zeigen manipulatives Verhalten", heißt es in einer internen EU-Analyse, die der SZ vorliegt. So verbreiten die russischen Botschaften in Spanien und Frankreich auf Twitter und Youtube Inhalte von Russia Today und Sputnik - also jener Medien, denen die EU "Verbreitung von Kriegspropaganda" vorwirft und deren Programme deswegen nicht mehr ausgestrahlt werden dürfen.

Experten weisen darauf hin, dass offizielle russische Social-Media-Kanäle im Ausland lange Zeit versuchten, ein positives Bild ihres Landes zu zeichnen - auch dabei übernahmen es Sputnik und Russia Today, Desinformation in vielen Sprachen zu verbreiten. Seit Ende Januar 2022 hat sich nach EU-Recherchen die Aktivität der Accounts russischer Botschaften und diplomatischer Vertretungen massiv erhöht: Die Erwähnung der Ukraine liegt um 375 Prozent höher als zwischen Oktober und Dezember 2021.

Über Russlands Ziele machen sich die Beobachter in Brüssel keine Illusionen: In den Gesellschaften der EU-Länder soll die Polarisierung verstärkt werden, Russland will "konkurrierende Narrative" möglichst so gezielt aufbauen, dass sie von etablierten Medien aufgegriffen werden.

Dazu nutzt man Hashtags wie "DonbassTragedy" oder "stophatingrussians" und hat Websites wie WaronFakes.com gestartet, die angeblich "unvoreingenommene Informationen" in fünf Sprachen anbieten. Populär ist auch der russischsprachige Kanal "Warfakes" auf Telegram, er hat mehr als 700 000 Follower. Offiziell hat die Website nichts mit dem Außenministerium zu tun, aber Wissenschaftler der Uni Amsterdam haben festgestellt, dass Ministeriumssprecherin Maria Sacharowa deren Inhalte geteilt hat. Dasselbe gilt für einige russische Kultureinrichtungen und die Botschaften in Frankreich, Italien, Griechenland, der Türkei und Slowenien.

Was dabei entsteht, ist ein gewaltiges Netzwerk, das Desinformationen in alle möglichen Sphären sickern lässt. Ein Großteil der Accounts, die solche Inhalte verbreiten und retweeten, sind der internen EU-Analyse zufolge vor "weniger als einem Jahr" angelegt worden. Viele davon erst im Februar.

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