Facebook:Der nächste Fortschritt

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Neue Technologien erzwingen ein neues Verständnis für den Umgang in der Gesellschaft. Die Kommunikations-Giganten sollten sich lieber um dieses Problem kümmern als um die Übertragung von Gedanken ins Internet.

Von Detlef Esslinger

Es wäre übertrieben zu sagen, die Menschheit bekomme ihre Erfindung "soziale Medien" in den Griff. Selbst die Vermutung, sie hätte wenigstens das Problem erkannt, wird von der Realität nicht ganz gedeckt. Vor wenigen Tagen verriet der Konzern Facebook, woran er gerade arbeitet: Menschen sollen Wörter direkt aus dem Gehirn in Computer schreiben können, per Gedankenübertragung, ohne Smartphone. 100 Wörter pro Minute sind das Ziel. Als ob das Problem mit den "sozialen Medien" darin bestünde, dass sie zu langsam wären.

Das Internet im Allgemeinen und Facebook im Besonderen ermöglichen nicht nur das jederzeitige Gespräch aller mit allen. Sie organisieren nicht nur die sofortige Verbreitung jeder Nachricht aus jedem Winkel der Welt in jeden anderen. Darüber hinaus ist das Internet "die größte Kloake der Menschheitsgeschichte", wie der britische Zeithistoriker Timothy Garton Ash mit Recht schreibt. Auf Facebook gibt es jeden Tag und jede Minute alles: seriöse Nachrichten, harmlose Unterhaltung, inspirierende Diskussionen, Verschwörungstheorien, Gewaltpornos, Beleidigungen, Drohungen (und gerade sogar erst wieder das Prahlen mit Mord und Selbstmord, in Ohio und in Baden-Württemberg).

Dergleichen gab es zwar schon immer. Aber früher blieb jeder beschränkt auf den Winkel, in dem er sich gerade aufhielt. Heute lässt sich die ganze Welt mit Ungeist bewerfen. Wo führt das hin, wenn niedere Instinkte die Chance haben, zu prägenden Elementen des öffentlichen Diskurses aufzusteigen?

100 Wörter pro Minute live aus dem Hirn? Es gäbe Dringenderes

Es ist wie so oft in der Menschheitsgeschichte. Erst kommen die Fortschritte in der Technik, dann wird darüber gestaunt, was diese Technik eben auch mit sich bringt. Weil neue Techniken indes nicht rückgängig zu machen sind, setzt sodann das Bemühen ein, sie irgendwie beherrschbar zu machen. Im Fall von Facebook gibt es drei Ansätze: juristische, politische und zivilgesellschaftliche. In Deutschland hat sich die Justiz soeben zweimal der Instrumente des Strafrechts bedient. Zwei Amtsgerichte verurteilten Männer zu Geldstrafen, wegen Beleidigung, Volksverhetzung und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten. Sie waren über die Grünen-Politikerin Claudia Roth sowie die ZDF-Journalistin Dunya Hayali hergezogen. Vielen Politikern reicht das nicht; ihre Überlegungen befassen sich daher weniger mit den Anwendern der Technologie als mit den Konzernen, die sie zur Verfügung stellen. Justizminister Heiko Maas plant ein Gesetz, das Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro vorsieht, falls die Konzerne Strafbares nicht löschen.

Natürlich wirft solch ein Gesetz Fragen auf. Manche sagen, um einen gepflegten Diskurs durchzusetzen, würde Facebook mehr Zensoren brauchen als die chinesische KP. Aber das ist kein überzeugendes Gegenargument. Der Sinn dieses Gesetzesplans besteht darin, sowohl Facebook als auch die Zivilgesellschaft zu aktivieren. Je weniger staatliche Vorschriften man haben will, umso mehr muss man selber tun. Die einen User werden lernen müssen, dass nicht jedes dahingeschriebene Wort gleich ein Gedanke ist. Die anderen könnten ausprobieren, dass man nicht jeden Wicht mit der Weiterverbreitung seiner Lügen oder der Debatte seiner Vorurteile beehren muss; Ignorieren kann ein Mittel gegen die Verbreitung von Ignoranz sein.

Ein Facebook-Manager wiederum gestand vergangene Woche: "Wir wissen, wir müssen besser werden." Zuvor war das Tat-Video eines Mörders aus Ohio zwei Stunden lang auf der Plattform zu sehen gewesen. Der Konzern hat derart viel technischen Fortschritt angerichtet, dass er sich nun dringend auf dessen Bewältigung konzentrieren sollte; dringender jedenfalls als auf eine Technik, die pro Minute 100 Wörter live aus dem Gehirn zu senden vermag.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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