EZB:Gerüstet für den Ernstfall

Europas Notenbank reagiert erleichtert, weil ihr Handlungsspielraum erhalten bleibt.

Von Markus Zydra

Ihre schlimmsten Befürchtungen tragen die Führungsfiguren der Europäischen Zentralbank unter keinen Umständen an die Öffentlichkeit. Je ernster die Lage, desto kontrollierter die Kommunikation, so lautete die ungeschrieben Regel. Da kann es kaum überraschen, dass man aus der EZB zu den gefährlichen Folgen eines drohenden EU-Austritts Großbritanniens, abgesehen von ein paar knappen Beschwichtigungen, so gut wie nichts hört.

Man darf aber sicher davon ausgehen, dass die EZB gedanklich auch das Worst-Case-Szenario durchgespielt hat. Das geht in etwa so: Der Brexit wühlt die Finanzmärkte so sehr auf, dass internationale Spekulanten erneut anfangen, gegen die Euro-Zone zu wetten. Im schlimmsten Fall müsste die EZB darüber diskutieren, ob sie das OMT-Programm aktiviert. Seit Dienstag wissen die Notenbanker nun, dass sie das auch wirklich tun dürften.

Die EZB-Granden sind erleichtert über die Entscheidung aus Karlsruhe. Die erfolgreichste Abschreckungswaffe der Notenbank behält so ihre Glaubwürdigkeit. Damit ist eine riskante Variante des aktuellen Worst-Case-Szenarios für die EZB vom Tisch. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt der Notenbank genug Spielraum, um im Ernstfall die Schulden von Euro-Staaten zu kaufen, deren Anleihen zum Spielball der Börsen geworden sind.

Bisher ließen sich die Börsen in Schach halten

Das Urteil beendet eine Geschichte, die am 26. Juli 2012 im feudalen Londoner Lancaster House ihren Anfang nahm. In dem Gebäude wurde die Schlussszene zum Film "The King's Speech" gedreht. Es ist eine Geschichte über den britischen König George VI., der sein Stottern überwand und zur Symbolfigur für den Durchhaltewillen des Landes im Krieg gegen Nazi-Deutschland wurde. Auch Draghi wollte an diesem Sommertag Durchhaltewillen signalisieren. Die Regierungen von Italien und Spanien mussten damals an den Börsen immer höhere Zinsen für ihre Kredite bezahlen. Die Euro-Zone stand vor dem Kollaps. Draghi gab deshalb ein Versprechen: "Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten", sagte er den Gästen aus der Hochfinanz. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Und glauben Sie mir, das wird ausreichen."

Diese wenigen Worte waren der Grundstein für das OMT-Programm. Die drei Buchstaben stehen für Outright Monetary Transactions, was man mit "direkte Käufe" übersetzen kann. Die EZB versprach, im Ernstfall die Anleihen solcher Staaten aus der Euro-Zone zu kaufen, die an den Finanzmärkten aufgrund enthemmter Spekulationsgeschäfte zu hohe Kreditzinsen bezahlen müssen.

Das OMT-Programm kam bisher nie zum Einsatz. Allein die Ankündigung Draghis reichte, um die Finanzmärkte bis zum heutigen Tag in die Schranken zu weisen. Dabei hat die EZB hohe Hürden gesetzt. Das OMT-Programm wird erst dann umgesetzt, wenn betroffene Staaten einen Hilfsantrag beim Euro-Rettungsfonds ESM gestellt haben. An dieses Programm wären wirtschaftspolitische Auflagen geknüpft. Draghi hat gedroht, die Notenbank werde die Stützungskäufe sofort beenden, wenn das betreffende Land die eingegangenen Verpflichtungen nicht erfülle. Aufgrund dieser Fessel gilt es als sicher, dass die Regierungen der Euro-Zone nur im äußersten Notfall das OMT-Programm in Anspruch nehmen würden.

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