Extremisten:"Eine Auftragsarbeit für Erdoğan"

Extremisten: Mitglieder der TKP/ML demonstrieren in Berlin. Die Bundesregierung stuft die Partei als linksextremistische terroristische Vereinigung ein.

Mitglieder der TKP/ML demonstrieren in Berlin. Die Bundesregierung stuft die Partei als linksextremistische terroristische Vereinigung ein.

(Foto: imago stock&people)
  • Die Bundesregierung hat sich entschlossen, die "Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML)" als Terrororganisation einzustufen.
  • Damit ermächtigt sie die Bundesanwaltschaft gegen Anhänger der Gruppe zu ermitteln. Von ihnen geht aber in Europa kaum eine Gefahr aus.
  • Die Anwälte der Angeklagten sehen in dem Prozess eine "Auftragsarbeit für Erdoğan".

Von Annette Ramelsberger

Es gibt den Leuchtenden Pfad in Peru und die Tamil Tigers auf Sri Lanka, die Volksfront zur Befreiung Palästinas und die Kommunistische Partei der Philippinen - egal, in welche Weltgegend man schaut: Fast überall versuchen Menschen, ihre Regierung mit Gewalt zu bekämpfen. Ob man diese Menschen nun Freiheitskämpfer nennt oder Terroristen - das kommt fast immer auf den eigenen Standpunkt an.

Die Bundesregierung hat sich entschlossen, eine kleine Organisation namens "Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML)" als Terrororganisation einzustufen und damit der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermächtigung erteilt, gegen die Anhänger in Deutschland zu ermitteln. 1300 Mitglieder umfasst die Partei in Deutschland.

Damit steht schon wieder ein Mammutprozess an, der die Kräfte der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe bindet - die eigentlich mit den Ermittlungen gegen Rechtsradikale, den NSU, IS-Terroristen und Spione gut ausgelastet ist.

Eigentlich hat die Bundesanwaltschaft genug anderes zu tun

Am Freitag beginnt vor dem Oberlandesgericht München ein Prozess gegen zehn Angeklagte, denen vorgeworfen wird, die Mutterorganisation in der Türkei mit Spendengeld unterstützt zu haben. Zu recht viel mehr waren die zehn Angeklagten auch nicht fähig, sie brauchten allein mehrere Jahre, um eine in den Partei-Statuten vorgesehene Versammlung zu organisieren und verschoben das Treffen immer wieder. Auch Gewalttaten begingen sie nie. Das wirft ihnen die Anklage auch nicht vor. Der Bundesverfassungsschutz hat festgestellt, dass von der Gruppe seit den Neunzigerjahren in Europa keine Gefahr mehr ausgeht.

In der Türkei tut sich die kommunistische Gruppe dagegen in ihrem Kampf gegen den Staat regelmäßig damit hervor, Sprengsätze auf Toiletten zu legen oder Geldautomaten hochzujagen. Sie propagiert den Guerillakampf, vor allem in der Region am Schwarzen Meer. Dort hat sie immer wieder Händler als Geiseln genommen, die die türkische Armee belieferten, und die Guerilleros haben mehrmals Menschen erschossen. Einmal versteckten sie eine Bombe in der Garage eines lokalen Bürgermeister - ihn trafen sie nicht, aber vier Kinder, die in der Garage spielten. Alle vier wurden getötet.

Die TKP/ML ist eine Gruppe, die in ihrer Brutalität sicher nicht zu unterschätzen ist. Doch mit der Sicherheit Deutschlands hat sie nichts zu tun. Auch laut Anklage haben die Mitglieder in Europa lediglich Geld gesammelt und einmal im Jahr ein Sommercamp für den Nachwuchs organisiert. Und sie schickten Abgesandte zum jährlichen Parteikongress. Selten war eine Anklageschrift in Sachen Terror dünner.

Die Anwälte sehen in dem Prozess eine "Auftragsarbeit für Erdoğan"

Nach der frustrierenden Erfahrung der deutschen Justiz mit Ermittlungen nach den Schuldigen im Bürgerkrieg von Ruanda wundern sich viele Juristen, warum die Bundesregierung ausgerechnet jetzt den Weg freimacht zu solch einem Großverfahren gegen eine eher unwichtige Gruppe. "Es handelt sich um ein Pilotverfahren, in dem das Gericht die Frage klären muss, ob es sich bei der TKP/ML um eine terroristische Vereinigung handelt", sagt eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft.

Dafür allerdings ist die Bundesanwaltschaft richtig groß eingestiegen. Sie hat nicht nur die in Deutschland lebenden Unterstützer der TKP/ML angeklagt, sondern auch noch drei, die in der Schweiz, Frankreich und in Österreich leben. Einen vierten wollte Deutschland für den Prozess aus Griechenland ausliefern lassen, aber die Griechen versagten die Auslieferung.

Für die Anwälte Antonia von der Behrens und Peer Stolle, die zwei der Angeklagten vertreten, ist der Prozess ein Politikum. "Das sieht aus wie eine Auftragsarbeit für Erdoğan", sagt Stolle. "Man könnte den Eindruck bekommen, dass die aktuelle Türkeipolitik auf Justizebene fortgeführt wird", sagt von der Behrens.

Die meisten Ermittlungshinweise kommen aus der Türkei

Die beiden verweisen auf die schwierige Ermittlungslage: Denn viele belastende Hinweise kommen über Rechtshilfeersuchen aus der Türkei, sie beruhen auf Vermerken von Beamten, die nach der neuesten Säuberungswelle der türkischen Justiz jetzt selbst in Haft sitzen.

Unklar ist, ob sich ein deutsches Gericht auf solche Quellen stützen will, wenn es um die Definition von Terror geht. Die türkische Regierung bezeichnet ja sogar deutsche Bundestagsabgeordnete mit türkischen Wurzeln als verlängerten Arm des Terrors, nur weil sie für die Armenien-Resolution stimmten.

"Die Justiz in der Türkei ist nicht unabhängig", sagt Verteidigerin von der Behrens, die den angeblichen Rädelsführer der Kommunisten-Gruppe verteidigt. Aber das Oberlandesgericht München hat die Anklage zugelassen. Das allerdings war, bevor sich der türkische Präsident Erdoğan zu seinen Angriffen verstieg.

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