JahresberichtVerfassungsschutz: Bedrohung durch Extremisten wächst

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Nicht nur die Zahl der Rechtsextremisten – hier ein Aufmarsch in Berlin im März – nimmt zu.
Nicht nur die Zahl der Rechtsextremisten – hier ein Aufmarsch in Berlin im März – nimmt zu. (Foto: Hami Roshan/IMAGO)

Rechtsextremisten, linke Anschläge, Islamismus und Sabotage: Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt verschärft vor Gefahren für die Demokratie – immer häufiger auch durch junge Menschen, die sich radikalisiert haben.

Von Markus Balser, Berlin

Was sich da im Land zusammenbraut? Da sind etwa jene „Sächsischen Separatisten“, die Deutschlands Sicherheitsbehörden Ende 2024 mit einer Razzia zerschlugen. Die rechte Terrorgruppe soll sich darauf vorbereitet haben, in einem Teil Sachsens Gebiete zu besetzen, diese mit rechtsextremen Milizen abzuriegeln und dort auch ethnische Säuberungen an Migranten und Mitgliedern der staatlichen Ordnung zu begehen. Die Rede soll dabei sogar von einem „Holocaust“ gewesen sein. Der Gruppe wird daher vorgeworfen, einen gewaltsamen Systemumsturz zum „Tag X“ geplant zu haben und dabei auch Mord oder Totschlag im Sinn gehabt zu haben.

Zwar ist nach mehreren Festnahmen diese Gefahr gebannt. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht für das vergangene Jahr, den Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Dienstag zusammen mit Sinan Selen, dem Vizepräsidenten des Verfassungsschutzes, in Berlin vorstellte, macht jedoch klar: Die Demokratie gerät von rechts, aber auch von vielen anderen Seiten immer stärker unter Druck. Allein das Personenpotenzial der Rechtsextremisten wuchs dem 410-seitigen Papier zufolge in Deutschland zuletzt stark an. Insgesamt kommt der Verfassungsschutz bundesweit auf ein Personenpotenzial von 50 250 Rechtsextremisten. Im Vorjahr waren es noch 40 600. Mehr als 15 000 dieser Menschen hält die Behörde für „gewaltorientiert“. Dobrindt sprach am Dienstag von einer „erschreckenden Zahl“. Seit 2015 habe sich die Zahl der Rechtsextremisten sogar mehr als verdoppelt.

Die Zahl der Rechtsextremisten in der AfD wächst schnell

Laut Inlandsgeheimdienst wächst die Zahl der Rechtsextremen auch in der AfD. Aus ihren Reihen rechnet das Bundesamt inzwischen 20 000 Mitglieder dem rechtsextremistischen Personenpotenzial zu; 2023 waren es noch 11 300. Der Verfassungsschutz sieht die Partei „mit Blick auf ihre politi­schen und gesellschaftlichen Wirkungen und die Mitgliederzahlen“ als maßgebenden Akteur innerhalb des „rechtsextremistischen beziehungsweise rechtsextremismusverdächtigen Parteienspekt­rums“. Vor allem wegen der hohen Stimmenanteile bei den Landtagswahlen in Sachsen (30,6 Prozent), Thüringen (32,8 Prozent) und Brandenburg (29,2 Prozent) 2024. Der Bericht bezieht sich auf das vergangene Jahr. Anfang Mai stufte der Inlandsgeheimdienst die Partei dann als gesichert rechtsextrem ein, setzte die Bewertung aber nach einer Klage der Partei vorerst aus. Dobrindt bezeichnete die AfD am Donnerstag dennoch als „rechtsextreme Partei“, sprach sich aber gegen ein Verbot aus. „Unsere Aufgabe ist es, die AfD aus der politischen Mitte wegzuregieren“, sagte er.

Klar wurde am Dienstag auch, dass es für Fahnder immer schwieriger wird, Rechtsextremisten früh zu erkennen. Der Verfassungsschutz warnt ausdrücklich vor selbstradikalisierten Tätern, „die ohne erkennbare Anbindung an bereits bekannte rechtsextremistische Strukturen agieren“. Die Täter agierten im Verborgenen. Daraus könne eine Basis für rechtsextremistische Gewalttaten entstehen. Als Beispiele nennt der Bericht Übergriffe auf Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber und Körperverletzungsdelikte „gegen als fremd wahrgenommene Personen“.

Eine wachsende Rolle spielt dabei den Behörden zufolge die Online-Propaganda über soziale Medien wie Instagram und Tiktok. Zum Problem werde aber auch eine stärkere internationale Vernetzung mit Gleichgesinnten in Online-Messengern, -kanälen und -foren wie Telegram oder Discord. Einschlägige Chatgruppen dienen dabei als „Katalysatoren“, in denen extreme Gewaltfantasien bis hin zu Mordaufrufen geteilt werden. „Wir sehen immer jüngere Menschen, die sich radikalisieren“, warnt auch Selen. Das geschehe nicht über einen langen Zeitraum, „sondern sehr schnell“.

Gefahren nicht nur von rechts

Die Gefahren für die Sicherheit im Land kommen aber nicht nur von rechts. Ein ganzes Kapitel des gut 400 Seiten starken Berichts trägt den Titel „Auswirkungen des Nahostkonflikts und Antisemitismus“. Die Eskalation im Nahen Osten nach dem Terroran­griff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 habe auch die Gefährdungslage für Juden, Israelis sowie jüdische und israelische Einrichtungen in Europa erhöht. Vor allem in Berlin hätten sich israelfeindliche und antisemitische Proteste gehäuft, die aggressiv verliefen und aus denen heraus die Polizei und Journalisten angegriffen wurden. Deutsche Rechtsextremisten nutzen die Eska­lation in Nahost „für die Propagierung migrations­feindlicher Positionen“. Auch Linksextremisten hätten „als Scharfmacher und Mobilisie­rungstreiber“ agiert.

Auch ausländische Dienste und Organisationen mischten sich ein und fachten die Auseinandersetzung hierzulande bewusst an. Etwa die prorussische Hackergruppe „NoName057(16)“: Zusammen mit anderen Gruppierungen aus einer „Holy League“ genannten Allianz griff sie im Dezember 2024 Webseiten von Bundes- und Landes­behörden sowie deutscher Unternehmen per Cyberattacke an. In dieser Allianz sind auch propalästinensische Organisationen aktiv. Auch Islamisten versuchten die Lage zu nutzen, um Nachwuchs zu rekrutieren, schreibt der Verfassungsschutz.

Insgesamt gelten Spionage, Cyberangriffe, ausländische Einflussnahme, Desinformation, Sabotage oder sogar Staatsterrorismus beim Verfassungsschutz als akute Bedrohung. „All diese nachrichtendienstlichen Aktivitäten stellen eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands und seiner Interessen dar“, heißt es in dem Bericht. In der Folge könne die außenpolitische Verhandlungsposition geschwächt, der gesellschaftliche Zusammenhalt erschwert und die freie Meinungs- und Willensbildung gestört werden.

Das linksextremistische Personenpotenzial stieg um 1000 Personen

Mit Russland, China, Iran und der Türkei nennt der Inlandsgeheimdienst vier Staaten, von denen derartige Angriffe vor allem ausgehen. Vor allem Russland attestieren die Verfassungsschützer eine „robuste Vorgehensweise“, wie Spionage und Sabotage mittels angeworbener ungeschulter Einzeltäter. In Europa seien vermehrt Vorfälle wie Brandstiftung, Vandalismus, Ausspähungs- und Propagandaaktivitäten zu beobachten gewesen, die auf russische Nachrichtendienste zurückzuführen seien oder sein könnten. In seinem neuen Bericht bezeichnet der Verfassungsschutz es als „eher wahrscheinlich“, dass die hybriden Gefahren aus Russland weiter zunehmen.

Es ist gewissermaßen schon traurige Tradition, dass auch der Islamismus seinen festen Platz im düsteren Ranking der größten Bedrohungen für die deutsche Demokratie hat. Das islamistische Personenpotenzial bewegt sich mit 28 300 Personen weiter auf hohem Niveau. Die größte Bedrohung in diesem Spektrum geht laut BfV derzeit vom sogenannten „Islamischen Staat“ aus. Allerdings stellen die Behörden fest, dass sich dessen Pläne ändern. Der IS setze bei seinen Taten auf zwei unterschiedliche Modi Operandi, heißt es: zum einen auf „geschulte, ausgebildete Täter, die als Gruppe agieren und komplexe Anschläge durchführen“. Zum anderen gehe es dem IS darum, Einzeltäter zu rekrutieren, die „mit überall und leicht verfügbaren Mitteln (Messer, Fahrzeug) ‚einfache‘ Anschläge“ verübten. Die Behörden sehen Anzeichen dafür, dass der IS inzwischen diese Variante forciere.

Auch die Gefahr von links wächst. Das linksextremistische Personenpotenzial stieg laut Verfassungsschutz um 1000 auf inzwischen 38 000 Personen, darunter 11 200 gewaltorientierte Linksextremisten. Die Zahl linksextremistisch motivierter Straftaten stieg im vergangenen Jahr sogar um 38 Prozent auf fast 5900 Delikte. Eine hohe Anzahl an Straftaten richtete sich dabei laut Behörden gegen Wirtschaftsunternehmen sowie gegen kritische und sonstige Infrastrukturen.

Linksextremismus gefährdet damit nicht nur den Wirtschaftsstandort Deutschland, die Auswirkungen werden auch für breite Teile der Bevölkerung immer spürbarer“, heißt es in dem Bericht. So sei bei einem Brandanschlag auf einen Hochspannungsmast in der Nähe der Tesla-Gigafactory in Grünheide (Brandenburg) ein Schaden von mehreren Hundert Millionen Euro entstanden. Auch andere Unternehmen, eine Klinik und Privatwohnungen in Berlin und Brandenburg seien von dem massiven Stromausfall betroffen gewesen.

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