Berlin (dpa/bb) - Eine Palästinenser-Kundgebung in Berlin hat große Empörung ausgelöst, weil dort nach Angaben von Beobachtern israelfeindliche und antisemitische Parolen gerufen worden sind. Der Berliner Polizei liegen nach Angaben eines Sprechers mehrere Strafanzeigen vor. Es seien erste Schritte wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet worden, sagte der Polizeisprecher am Montag. Der Jüdische Verein „WerteInitiative“ kritisierte die Berliner Polizei dafür, dass die Demo nicht abgebrochen wurde.
Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) teilte bei Twitter mit: „Der Staatsschutz hat die Ermittlungen aufgenommen. Erstes Beweismaterial wurde bereits ausgewertet.“ Die Organisation democ stellte nach eigenen Angaben Videomaterial von der Kundgebung ins Netz. Zuvor hatten mehrere Medien berichtet. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) forderte, „schnell und entschieden“ zu ermitteln. „Die Hetzer müssen identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden“, twitterte sie.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) teilte bei Twitter mit: „Wenn Gruppen auf deutschen Straßen „Tod den Juden“ skandieren, dann besteht ein Anfangsverdacht auf Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB.“ Er gehe davon aus, dass die Sicherheitsbehörden entsprechend vorgingen.
Bei der Demonstration in Neukölln und Kreuzberg seien am Samstag auch „antisemitische, volksverhetzende Parolen wie „Tod den Juden! Tod Israel!“ gerufen worden“, sagte der Präsident der Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG), Volker Beck. Er gehört nach eigenen Angaben zu den Anzeigeerstattern. „Diese Israelhass-Demonstration hätte so nicht stattfinden dürfen“, sagte Beck.
Zuvor hatte sich auch Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, bei Twitter zu der Demonstration geäußert: „Diese Schwachköpfe missbrauchen Deutschlands Freiheiten und rufen ohne Hemmung zur Vernichtung Israels und der Juden auf.“
Berlins CDU-Generalsekretär Stefan Evers twitterte: „Wer Israel den Tod wünscht, wer seinen Judenhass offen zur Schau trägt, der verachtet unsere demokratischen Werte, der missbraucht unsere Freiheiten für reine Menschenfeindlichkeit. So etwas hat weder in Berlin etwas zu suchen, noch sonst irgendwo.“ Berlins noch Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bezeichnete die Bilder der Kundgebung als „zutiefst beschämend“.
Hintergrund der Demonstration waren unter anderem die anhaltenden Konflikte rund um die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem. Die Polizei war laut Sprecher mit rund 250 Einsatzkräften vor Ort. Auch Sprachmittler und Dolmetscher seien beteiligt gewesen. Die Polizei habe im Anschluss Videomaterial ausgewertet. Zu den Erkenntnissen konnte der Sprecher nach eigenen Angaben nichts sagen. Nach seiner Kenntnis seien Polizistinnen und Polizisten nicht eingeschritten.
Dies hatte auch die Organisation democ berichtet. Vorstands- und Gründungsmitglied Grischa Stanjek schilderte am Montag, er habe die gut zweieinhalbstündige Kundgebung gemeinsam mit einem Kollegen begleitet. Er sprach von etwa 300 Teilnehmern. Anhand der Aufnahmen habe ein Dolmetscher israelfeindliche und antisemitische Parolen übersetzt, die gesungen oder von einem Lautsprecherwagen gerufen worden sein. Democ habe davon einen Mitschnitt ins Netz gestellt.
Der Jüdische Verein „WerteInitiative“ forderte eine Erklärung dafür, warum die Demonstration von der Polizei nicht beendet wurde und es keinen Festnahmen gab. Sein Vorsitzender Elio Adler erklärte: „Die Anforderung an die Polizei war nicht, versteckte antisemitische Codes zu dechiffrieren, sondern es war banaler, klar erkennbarer Judenhass.“
Der Vize-Chef der Bundespolizeigewerkschaft, Manuel Ostermann, forderte auf Twitter: „Antisemitismus muss in Deutschland mit allen rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden. Die Demo in Berlin ist erneut ein Bild der Schande.“ DIG-Präsident Beck forderte von Berlins Innensenatorin Spranger eine Erklärung dafür, dass die Demonstration überhaupt stattfinden konnte. Zugleich betonte er, spätestens nach dem Ruf volksverhetzender Parolen hätte die Veranstaltung aufgelöst werden müssen. Aus Sicht des Israel-Experten ist mit weiteren vergleichbaren Kundgebungen zu rechnen.
Die umstrittene Al-Kuds-Demonstration, die zunächst für den 15. April in Berlin-Charlottenburg angemeldet war, haben die Organisatoren laut Polizei unterdessen abgesagt. In früheren Jahren hatte es bei Al-Kuds-Demonstrationen israelfeindliche und antisemitische Sprechchöre gegeben, Teilnehmer trugen Plakate mit Landkarten des Nahen Ostens ohne den Staat Israel. 2020 und 2021 war die Demonstration wegen der Corona-Pandemie ausgefallen. Im vergangenen Jahr wurde sie ebenfalls abgesagt. Zuvor war über ein Verbot diskutiert worden.
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