Extremismus - Leipzig:Sieg vor Bundesgericht: Islamist droht dennoch Abschiebung

Deutschland
Eine Statue der Justitia hält eine Waage in ihrer Hand. Foto: David-Wolfgang Ebener/dpa (Foto: dpa)

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Leipzig (dpa) - Das Bundesverwaltungsgericht hat die Abschiebung eines als IS-Sympathisant eingestuften Mannes aus Göttingen auf der Grundlage einer terroristischen Gefährdung endgültig gestoppt. Es könne nicht "mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit" gesagt werden, dass aktuell von dem 29-Jährigen eine terroristische Gefahr oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik ausgeht, entschied das Gericht in Leipzig am Dienstag. Es hob die Abschiebungsanordnung des Landes Niedersachsen in die Türkei auf. (Az.: BVerwG 1 A 3.19)

Das niedersächsische Innenministerium teilte allerdings direkt nach dem Urteil mit, den mehrfach verurteilten Gewalttäter nunmehr wegen seiner anhaltenden Kriminalität ausweisen zu wollen. Eine Ausweisungsverfügung wurde dem 29-Jährigen noch im Gericht ausgehändigt. Der Anwalt des Mannes kündigte dagegen unverzüglich Rechtsmittel an.

Das Verwaltungsgericht Göttingen muss nun darüber urteilen, ob das Ausweisungsinteresse der Behörden schwereres Gewicht hat oder die Bleibeinteressen des in Deutschland geborenen Mannes mit türkischem Pass. Die Dauer dieses Rechtsstreits ist nicht absehbar.

Der 29-Jährige war voriges Jahr unter Terrorverdacht festgenommen werden. Das Innenministerium hatte ihn in die Türkei abschieben wollen. Es hatte sich dabei auf Paragraf 58a des Aufenthaltsgesetzes gestützt, wonach sogenannte Gefährder auch ohne Nachweis einer konkreten Straftat abgeschoben werden können, wenn sie ausschließlich eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen. Der 29-Jährige hatte dagegen geklagt. Das Bundesverwaltungsgericht ist in erster und letzter Instanz zuständig.

In der mündlichen Verhandlung hatte der Mann vehement bestritten, etwas mit Islamismus zu tun zu haben. Er sei als Türke und Moslem in Kassel aufgewachsen, aber er interessiere sich eigentlich gar nicht für den Islam. "Ich weiß nicht mal, was der Dschihad ist", sagte er. Belastende Indizien, die das Land Niedersachsen zusammengetragen hat, versuchte er zu entkräften. Ein Foto, das ihn bei einer mutmaßlichen IS-Geste mit erhobenem Zeigefinger zeigt? Nicht so gemeint gewesen. Er neben einer Fahne mit IS-Bezug? Er kenne sich mit Fahnen überhaupt nicht aus.

Die meisten dieser Aussagen stufte das Gericht als unglaubwürdig ein, wie der Vorsitzende Richter Uwe Berlit sagte. Der Mann, der keinen Schulabschluss geschafft hat, ist erheblich vorbestraft - unter andere wegen Körperverletzung, Nötigung und Verstoß gegen das Waffengesetz. Die Kernfrage sei jedoch, ob der 29-Jährige glaubhaft seinen Kontakt zur salafistischen Szene abgebrochen hat. Und dazu stellte der Senat fest: "Gewisse Distanzierungshandlungen hat es gegeben." Die Prognose, dass von dem Mann eine besondere Gefahr ausgeht, sei somit nicht gerechtfertigt.

Der 1. Senat nutzte das Verfahren, um seine Rechtsprechung zum Paragraf 58a weiterzuentwickeln. Eine Gefahr könne demnach auch schon vorliegen, wenn jemand selbst gar nicht vollständig ideologisch radikalisiert sei, er sich aber von Dritten instrumentalisieren und für Gewalthandlungen einspannen lasse. Auch das konnten die Richter bei dem 29-Jährigen jedoch nicht mit Sicherheit erkennen.

In einem Eilverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hatte der Mann vorigen Sommer schon vorläufig Recht bekommen. Die vom niedersächsischen Innenministerium angeführten Erkenntnisse belegten die Terrorgefahr nicht ausreichend, so das Gericht damals. Der 1. Senat gab den Behörden auf, bis zur Hauptverhandlung weitere Erkenntnisse zur Gefährlichkeit und Gewaltbereitschaft des Klägers zu liefern. Unterm Strich reichten diese dem Gericht nicht. Nun muss sich demnächst das Verwaltungsgericht mit dem Fall befassen.

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