Extremismus - Hamburg:Ukraine-Krieg beschäftigt zunehmend auch Verfassungsschutz

Extremismus - Hamburg: Andy Grote (SPD), Senator für Inneres und Sport in Hamburg, spricht. Foto: Marcus Brandt/dpa/Archivbild
Andy Grote (SPD), Senator für Inneres und Sport in Hamburg, spricht. Foto: Marcus Brandt/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Hamburg (dpa/lno) - Der russische Angriffskrieg in der Ukraine stellt auch den Hamburger Verfassungsschutz vor neue Herausforderungen. So hätten die Beratungen des Landesamtes zur Spionageabwehr seit dem russischen Einmarsch erheblich zugenommen, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) am Montag bei der Vorlage des Verfassungsschutzberichts 2021. Mit 200 Beratungen im vergangenen Jahr hatte die Zahl schon vor Kriegsbeginn einen neuen Höchststand erreicht.

Wie in ganz Deutschland mache sich die "hybride Bedrohung" seit dem russischen Einmarsch auch in Hamburg bemerkbar, erklärte Grote. So werde Moskaus militärisches Vorgehen von Versuchen der Einflussnahme und Cyberangriffen begleitet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe von einer Zeitenwende gesprochen - "das lässt sich auch für den Bereich des Verfassungsschutzes sagen".

Zudem seien im Extremismusbereich der sogenannten Delegitimierer, die sich bisher vor allem im Protest gegen die Corona-Maßnahmen zusammengefunden hätten, zunehmend "pro-russiche Attitüden" festzustellen, sagte Hamburgs Verfassungsschutzchef Torsten Voß. "Im Bereich der Corona-Leugner haben wir jetzt ein Sammelbecken der Unzufriedenen." Dem extremistischen Bereich werde dabei in Hamburg eine "niedrige zweistellige Personenzahl" zugerechnet.

Die Zahlen der Rechts- und Linksextremisten sowie der Islamisten in Hamburg veränderten sich dem Bericht zufolge im vergangenen Jahr kaum. Ebenso die Bedrohungslage: "Rechtsextremismus ist über alles betrachtet weiterhin die größte Bedrohung für die Demokratie", sagte Grote. Hamburg sei zwar keine Hochburg der Rechten. "Aber die Gefährlichkeit hängt nicht nur von der Zahl der Fälle ab, sondern von der Qualität des Gefährdungspotenzials."

Wie im Vorjahr rechnet der Verfassungsschutz in Hamburg 380 Personen dem Bereich Rechtsextremismus zu, von denen 120 als gewaltorientiert gelten. Es wurden 30 rechtsextremistische Gewalttaten registriert. Die Zahl der extremistischen Straftaten mit antisemitischem Hintergrund stieg von 45 auf 63. Davon wurden 57 dem rechten Bereich zugerechnet - laut Voß ein neuer Negativrekord: "Tatsächlich haben wir jetzt den Höchststand der antisemitischen Straftaten im Bereich rechts."

Auch die AfD bleibe für den Verfassungsschutz ein Thema, sagte Grote. "Dem Landesamt liegen tatsächlich Anhaltspunkte dafür vor, dass es nach wie vor Fortsetzungsaktivitäten von Anhängern des formal aufgelösten Flügels gibt und im Jahr 2021 gegeben hat." Der Bundesparteitag der AfD habe jüngst gezeigt, "dass diejenigen, die sich innerhalb der Partei am Rechtsextremisten Björn Höcke ausrichten, nicht gerade an Einfluss verloren haben".

Die Zahl der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter, die die Bundesrepublik Deutschland und ihre Institutionen nicht anerkennen, stieg dem Bericht zufolge von 174 in 2020 auf 290 im vergangenen Jahr. Grund für den Anstieg seien verstärkte Meldungen von Behörden gewesen - etwa wenn Bußgelder mit Verweis auf die angeblich fehlende Legitimation der Behörde nicht gezahlt wurden, erläuterte Voß. "Wir haben das Dunkelfeld mal deutlich aufgehellt."

Ebenso im linksextremistischen Bereich "gibt es weiter Anlass zur Wachsamkeit", sagte Grote. "Auch hier halten die Bemühungen an, in der Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu sein." Das werde vor allem beim Engagement gegen Umweltzerstörung, Gentrifizierung und Kampf gegen Rechts versucht. Dieses demokratische Engagement sei für die Gesellschaft wertvoll. Deshalb müsse es geschützt werden "gegen extremistische Instrumentalisierung und Trittbrettfahrerei".

1240 Personen werden in Hamburg vom Landesamt für Verfassungsschutz als Linksextremisten eingestuft; 76 Prozent davon gelten als gewaltorientiert; 19 linksextremistische Gewalttaten wurden im vergangenen Jahr registriert.

Innerhalb der islamistischen Szene, der in Hamburg insgesamt 1650 Personen zugerechnet werden, gab es im vergangenen Jahr Veränderungen: So nahm die Zahl der Salafisten um rund 120 auf 550 ab. "Das ist aber immer noch ein vergleichsweise hohes Niveau", sagte Verfassungsschutzchef Voß. Zudem sei die geringere Zahl der Salafisten durch steigende Anhängerzahlen bei der verbotenen islamistischen Hizb ut-Tahrir und der vom Verfassungsschutz beobachteten Furkan-Bewegung kompensiert worden.

© dpa-infocom, dpa:220703-99-894967/4

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