Extremismus - Eschede:Friedloses Gedenken: Neonazi nach tötlicher Tat nun Pastor

Eschede (dpa/lni) - In Stein gemeißelt steht es seit sechs Jahren auf einem Findling vor der Kirche in Eschede zum Gedenken an den 1999 in dem Heideort erschlagenen Peter Deutschmann. "Opfer rechtsextremer Gewalt", heißt es auf dem Stein, der an die tödliche Attacke zweier jugendlicher Neonazis auf einen Mann erinnert, der sich mit Worten gegen ihre Ansichten stellte. An diesem Samstag wird der Gewalttat vor 20 Jahren gedacht. Frieden hat seitdem wohl keiner gefunden.

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Eschede (dpa/lni) - In Stein gemeißelt steht es seit sechs Jahren auf einem Findling vor der Kirche in Eschede zum Gedenken an den 1999 in dem Heideort erschlagenen Peter Deutschmann. "Opfer rechtsextremer Gewalt", heißt es auf dem Stein, der an die tödliche Attacke zweier jugendlicher Neonazis auf einen Mann erinnert, der sich mit Worten gegen ihre Ansichten stellte. An diesem Samstag wird der Gewalttat vor 20 Jahren gedacht. Frieden hat seitdem wohl keiner gefunden.

Am Anfang ist von einem "Denkzettel" die Rede, den der damals 17-jährige Johannes Kneifel am 10. August 1999 mit seinem Kumpel Marco S. dem im Ort nur als "Hippie" bezeichneten späteren Opfer verpassen will. "Mensch, hör doch auf mit dem Scheiß", soll der Mann seinem Kumpel wegen dessen rechten Gebarens gesagt haben. Aufgeputscht von rechter Musik treten die zwei die Tür des 44-jährigen Deutschmann ein. Kneifel tritt mit seinen Springerstiefeln zu, bis sein Begleiter ihn wegzerrt. Am nächsten Tag ist Deutschmann tot. Fünf Jahre Jugendhaft bekommen beide für den Gewaltexzess.

Marco S. rutscht nach der Haft immer tiefer in die Szene ab, es folgen weitere Verurteilungen wegen Gewalttaten. Kneifel aber wendet sich im Jugendgefängnis der Kirche zu und bricht mit seiner rechten Vergangenheit. Er studiert bei der Freikirche in Berlin Theologie und wird Pastor. Zugleich geht er mit seiner Geschichte offensiv in die Öffentlichkeit. "Vom Saulus zum Paulus: Skinhead, Gewalttäter, Pastor - meine drei Leben", heißt sein 2012 erschienenes Buch, in dem er sich mit der Tat, der rechten Szene und der Zeit danach auseinandersetzt. Mit Vorträgen gegen Rechtsextremismus ist Kneifel deutschlandweit unterwegs, als Vorzeigefigur der Präventionsarbeit sozusagen.

"In den letzten Jahren habe ich einiges gemacht an Präventionsveranstaltungen", sagt Kneifel einige Tage vor der Gedenkveranstaltung der Deutschen Presse-Agentur. "Ich habe aber damit aufgehört, ich will etwas anderes machen und nicht auf eine Rolle festgeschrieben werden, Abstand gewinnen." Inzwischen lebt Kneifel in Frankfurt am Main. Den roten Faden in seinem Leben sucht er seit Eschede aber weiterhin, wie aus seinen Schilderungen herauszuhören ist. Als Pastor fand er keine feste Anstellung, bot sich als Aushilfe und Sprecher für besondere Veranstaltungen an. "Es gab verschiedene Gründe", meint er zu seiner stockenden geistlichen Laufbahn.

"Danach habe ich die Kirche gewechselt, ich bin Katholik", erzählt Kneifel, der inzwischen als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt arbeitet und sich als akademischer Theologe bezeichnet. Am Wochenende wird Kneifel zum Gedenken nicht in der Lüneburger Heide sein. "Ich bin nur noch sehr selten in Eschede", sagte er. "Es ist aber gut, dass es die Veranstaltung gibt." Abschließen mit dem Geschehenen kann er nicht. Der Wunsch, sich bei der Tochter des Opfers zu entschuldigen, wurde ihm verwehrt, wie er sagt.

Eschede, das vor allem wegen der ICE-Katastrophe 1998 bekannt wurde, ist auch in den 20 Jahren nach der tödlichen Neonaziattacke ein Ort rechtsradikaler Umtriebe geblieben. Regelmäßig organisieren Rechtsextreme auf einem Bauernhof außerhalb des Ortszentrums Treffen, denen sich immer wieder das Netzwerk Südheide gegen Rechtsextremismus mit Protestkundgebungen entgegenstellt. Ein Tiefschlag für den Widerstand war kürzlich die Nachricht, dass der Landesverband der NPD den Hof nun gekauft hat und Rechtsextreme damit eine dauerhafte Basis für ihre Aktivitäten in der Heide haben. Das Gedenken an Deutschmann an diesem Samstag, immerhin, ist im Veranstaltungskalender der Gemeinde aufgeführt.

"Wir wollen, dass Menschen hinschauen, wenn sich menschenverachtendes Reden und Handeln breitmacht. Wir wollen, dass Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit als wirkliche Probleme erkannt und nicht kleingeredet werden", sagt anlässlich des Gedenkens Wilfried Manneke, der inzwischen pensionierte Pastor, der sich mit dem Netzwerk Südheide viele Jahre den Rechten in den Weg gestellt hat. "Und da sind wir alle gefragt: klare Grenzen ziehen zu denen, die andere in Worten oder Taten diskriminieren, herabwürdigen und bedrohen." Noch immer würden Menschen von Neonazis verprügelt und getötet, mahnt Manneke, der für seinen Kampf gegen Rechts im vergangenen Jahr mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgezeichnet wurde.

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