Extremismus:"Es gibt ein Unbehagen an der Demokratie"

Klaus Schroeder FU Berlin

Klaus Schroeder, Politikwissenschaftler an der FU Berlin

(Foto: Pressestelle der Freien Universität Berlin)

61 Prozent der Deutschen sind der Meinung, unsere Demokratie sei keine echte Demokratie. Das ergibt eine aktuelle Studie zum Linksextremismus. Im Interview erklärt Politikwissenschaftler Klaus Schroeder weitere unbequeme Ergebnisse.

Von Paul Munzinger

Klaus Schroeder lehrt an der Freien Universität Berlin Politikwissenschaften und leitet den "Forschungsverbund SED-Staat". Gemeinsam mit Monika Deutz-Schroeder ist er Autor der jüngst erschienenen Untersuchung "Gegen Staat und Kapital - für die Revolution! Linksextremismus in Deutschland - eine empirische Studie" (Kurzfassung hier).

SZ.de: 61 Prozent der Deutschen, das zeigt Ihre Studie, halten die Demokratie, so wie sie in Deutschland praktiziert wird, nicht für eine echte Demokratie. Woran liegt das?

Klaus Schroeder: Diese Zahl hätte ich nicht für möglich gehalten. Offenbar hat die Diskussion um Lobbyismus, den Einfluss der Wirtschaft und der Banken, Wirkung gezeigt. Es gibt ein Unbehagen an der Demokratie. Viele sind der Meinung, dass die Wirtschaft zu viel zu sagen hat. Die Demokratie ist in den Augen einer Mehrheit reformbedürftig, um es vorsichtig zu formulieren.

Muss man sich angesichts solcher Werte Sorgen machen?

Das glaube ich nicht. Viel bedrohlicher finde ich drei andere Zahlen: 16 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass der Kapitalismus letztlich zum Faschismus führe. 18 Prozent sehen die Gefahr eines neuen Faschismus' in Deutschland. Und 29 Prozent glauben, dass eine wirkliche Demokratie nur ohne Kapitalismus möglich sei. Einzelne linksextreme Einstellungen stoßen in der Bevölkerung auf erstaunliche Zustimmung. Das sind Dimensionen, auf die die politische Elite eingehen muss.

In Ihrer Studie unterscheiden Sie zwischen Extremismus und Radikalismus. Wo ziehen Sie die Grenze?

Extremismus und Radikalismus sind relative Begriffe, die aus dem Blickwinkel des bestehenden Systems, in unserem Fall der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, zu verstehen sind. In der NS-Zeit beispielsweise waren freiheitliche Demokraten Extremisten. Heute ist jemand linksradikal, dessen Positionen sich hart am linken Rand des Verfassungsbogens befinden, aber noch demokratisch sind: Forderungen nach Verstaatlichung zum Beispiel oder nach mehr Umverteilung. Der Extremismus dagegen will dieses System in Gänze abschaffen, nicht nur die Wirtschaftsordnung verändern.

Fast 60 Prozent der Ostdeutschen und immerhin 37 Prozent der Westdeutschen finden, dass der Kommunismus eine gute Idee sei, die nur schlecht ausgeführt wurde. Und 42 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass die Gleichheit aller Menschen wichtiger sei als die Freiheit des Einzelnen. Wie erklären Sie sich solche Ergebnisse?

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Der Marxismus-Kommunismus wird in den Schulen wie in den Medien positiv gezeichnet. Die historische Realität mit Millionen Toten wird zumeist verschwiegen. Die Erfahrungen in der DDR, im Stalinismus, in Kambodscha oder China sind vielen entweder nicht bekannt oder sie werden ignoriert. Es ist ein Versäumnis, dass wir in der Öffentlichkeit nicht viel stärker über die Verbrechen des Sozialismus-Kommunismus diskutieren.

"Die Politik muss Transparenz herstellen"

Wird der Linksextremismus aus Ihrer Sicht unterschätzt?

Seine Gewaltdimension wird unterschätzt. 30 bis 40 Prozent der linken Gewalttaten werden vom Verfassungsschutz nicht als extremistisch eingestuft. Darunter sind Körperverletzungen, Brandstiftungen, Sprengstoffdelikte. Der Linksextremismus ist in bestimmten Bereichen problematisch, an Universitäten zum Beispiel oder in manchen Stadtteilen wie Berlin-Kreuzberg. Aber auf ganz Deutschland gesehen, stellt der Linksextremismus keine Bedrohung dar, zumal ich auch keine Gefahr des Linksterrorismus sehe. Die Bereitschaft, in den Untergrund zu gehen, ist nicht vorhanden. Hier wirkt die harte Verfolgung der RAF und der Bewegung 2. Juni nach.

Sie schreiben in Ihrer Studie: "Allen Extremismen ist Gewaltverherrlichung immanent." Kann man Links- und Rechtsextremismus in dieser Frage wirklich vergleichen?

Man sollte Links- und Rechtsextremismus nicht in eins setzen. Die Motive sind unterschiedlich, die Ziele sind unterschiedlich. Aber: Im Kampf gegen das System sind sie sich einig. Das trifft für den Islamismus genauso zu. Es gibt keine gute oder schlechte, keine progressive oder reaktionäre Gewalt. Jenseits des staatlichen Gewaltmonopols muss aus Sicht einer zivilen Gesellschaft Gewalt als politisches Mittel abgelehnt werden.

Welches Zeugnis stellt Ihre Studie der Politik aus?

Ein schlechtes. Die Politiker vermitteln nicht, auf welcher Grundlage sie Entscheidungen treffen. In großen Teilen der Bevölkerung herrscht Aufklärungsbedarf. Die Politik muss Transparenz herstellen. Nehmen wir zum Beispiel das Freihandelsabkommen TTIP. Die Menschen fühlen sich übergangen, das erzeugt Politikverdrossenheit.

Haben Politiker Angst davor, den Bürgern Unbequemes zuzumuten?

Sicher. Das sieht man jetzt bei der Asylpolitik. Ein Drittel der Befragten gab an, dass Deutschland prinzipiell alle Personen aufnehmen sollte, die in unserem Land Zuflucht suchen. Vor ein paar Jahren haben das nur Linksextreme gefordert. Die Diskussion um Migration und Flüchtlinge müsste härter, konfrontativer und offener geführt werden. Man muss den Leuten die Ängste nehmen, ihnen aber auch sagen, dass es Risiken gibt. Niemand will, dass Menschen abgeschoben werden, ich auch nicht. Aber wenn ich rational bin, dann weiß ich: Wenn Millionen ins Land gelassen werden, dann stürzen wir ins Chaos.

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