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Extremismus - Berlin:Polizei: Keine Beweise zu Neonazi-Anschlägen in Neukölln

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Berlin (dpa) - Auch eine Sonderkommission der Polizei hat es nicht geschafft, die rechtsextreme Serie von Brandanschlägen und Schmierereien in Berlin-Neukölln aufzuklären. Das räumte Polizeipräsidentin Barbara Slowik am Montag bei der Vorstellung des Abschlussberichts im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses ein. Leider sei es trotz großer Anstrengungen bisher nicht gelungen, mehr Beweise für die Schuld der drei verdächtigen Männer zu finden, sagte Slowik. Das liege an den Anforderungen des Rechtsstaates und nicht daran, dass die Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge blind seien.

Vor allem zwischen 2016 und 2018 hatte es in Neukölln zahlreiche Brandanschläge und Drohungen mit Hakenkreuzen gegen linke Initiativen und deren Mitglieder gegeben. Es ging bislang um mindestens 72 Taten, darunter 23 Brandstiftungen. Die Polizei verdächtigt drei Männer aus der rechtsextremen Szene, konnte ihnen aber nie etwas nachweisen. Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte im Frühjahr 2019 die Ermittlergruppe "Fokus" mit zuletzt 42 Mitgliedern zur erneuten Analyse der Taten und ihrer Hintergründe einrichten lassen.

Geisel sagte, der Abschlussbericht zeige klar, dass ein "rechtsextremes Netzwerk" in Neukölln nicht existiere, obwohl das oft behauptet werde. Er kündigte an, dass der Senat am Dienstag die Einrichtung der geplanten Sonderkommission externer Sachverständiger beschließen solle. Diese Kommission soll ab Anfang Oktober die Arbeit der Polizei zu den Brandanschlägen in Neukölln von außen betrachten, kritisch analysieren und bewerten.

Slowik betonte, der Nachweis solcher Taten sei sehr schwierig. Brandanschläge auf Autos und Schmierereien auf Hauswände würden oft nachts verübt, es gebe keine Zeugen, und die Täter seien danach schnell verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen. Das gelte im übrigen auch für andere Brandanschläge. Tatsächlich werden auch die meisten anderen Brandstiftungen an Autos, die zum Teil von Linksextremisten verübt werden, selten aufgeklärt.

Die Polizeipräsidentin gab aber auch zu, dass die damalige Ermittlergruppe der Kriminalpolizei in Neukölln zu klein und das Personal "nicht ausreichend" gewesen sei. Das habe auch daran gelegen, dass die Polizei sich nach dem islamistischen Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt Ende 2016 vor allem auf den Bereich Terror und Islamismus konzentriert habe.

Weiter sagte Slowik, mehrere Vorwürfe gegen die Behörden hätten sich nicht bestätigen lassen. Für den Vorwurf der Befangenheit eines ermittelnden Staatsanwalts im Jahr 2017 sei kein Beleg gefunden worden. Es habe auch "keine Hinweise" gegeben, dass ein Polizist, der nach dem Terroranschlag Dienstgeheimnisse an eine Chatgruppe verraten habe, in die Anschlagsserie in Neukölln verwickelt gewesen sei.

Auch habe sich nicht gezeigt, dass durch Datenabfragen von Polizisten oder einen Verrat aus der Polizei die Ermittlungen erschwert oder sabotiert worden seien, sagte Slowik. Ebenso wenig gebe es einen Zusammenhang zum Mord an Burak B. 2012 in Neukölln oder dem rechtsextremen Anschlag im Februar 2020 in Hanau.

Auch habe sich der Verdacht nicht bestätigt, dass sich ein Polizist mit einem der drei Neonazis getroffen habe, sagte André Rauhut, Koordinator des Staatsschutzes im Landeskriminalamt (LKA). Einer der Begleiter des Polizisten bei einem Kneipenbesuch, der beobachtet wurde, sei wohl ein unverdächtiger Freund des Mannes gewesen, der dem Neonazi sehr ähnlich sehe. "Auch sonst gab es offenbar keine Hinweise auf Verbindungen des Beamten zu T. oder in die rechtsextremistische Szene", schrieb der "Tagesspiegel" bereits am Wochenende.

Abgeordnete der Linken und Grünen kritisierten den Bericht als zu kurz gegriffen und möglicherweise von Befangenheit der Polizei geprägt. Viele kritischen Punkte seien nicht aufgeklärt worden. Man setze mehr Hoffnung auf die unabhängigen Sonderermittler, auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sei immer noch möglich.

Der AfD-Abgeordnete Karsten Woldeit betonte, alle extremistischen Taten müssten aufgeklärt werden. Das gelte auch für die linksextremistischen Brandanschläge auf Autos von AfD-Politikern, für die er sich einen ähnlichen Ermittlungsaufwand wünsche.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) zeigte sich "schockiert" über einen "anmaßenden Umgang" der Politik mit der Arbeit der Polizei. 42 Polizisten hätten eineinhalb Jahre lang Akten gewälzt und sämtliche Straftaten erneut unter die Lupe genommen. "Es wurmt sie am meisten, dass man nach wie vor keine Beweise gegen die Tatverdächtigen hat, die ihre Schuld zweifelsfrei belegen." Dass der Senator nun zusätzlich externe Ermittler rufe, zeige fehlende Wertschätzung. Zahlreiche Polizisten hätten eineinhalb Jahre "faktisch für den Mülleimer" gearbeitet.

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