Süddeutsche Zeitung

Extremismus:Auch in den eigenen Reihen

Innenminister Seehofer will Rechtsextremismus konsequenter bekämpfen - und verstärkt Polizei und Behörden in den Blick nehmen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will konsequenter gegen Rechtsextremismus vorgehen und dabei auch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden stärker in den Blick nehmen. "Wir werden den Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus verstärkt bekämpfen, ohne unsere Bemühungen in anderen Bereichen zu vernachlässigen", kündigte Seehofer am Dienstag in Berlin an. Neben dem Bundeskriminalamt erhält auch das Bundesamt für Verfassungsschutz 300 neue Stellen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. Dies diene auch dem nötigen Aufbau eines eigenen Verfassungsschutzreferats, das sich gezielt rechtsextremistischen Tendenzen bei der Polizei und in Sicherheitsbehörden widme, sagte Seehofer bei einer Pressekonferenz mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, und dem Präsidenten des Bundeskriminalamts, Holger Münch.

24 000 Personen sind den Behörden als rechtsextrem bekannt, gut 12 000 gelten als gewaltbereit, Tendenz leicht steigend. 48 Personen wurden als rechtsextremistische Gefährder eingestuft, also als bereit, schwere Anschläge zu verüben. Oft aber tappen die Ermittler in der rechten Szene im Dunkeln. Fast jeder zweite Täter, der durch rechtsextremistische Straftaten auffiel, war der Polizei zuvor nicht bekannt.

Auch bei Mitarbeitern der Polizei und im öffentlichen Dienst ist Verfassungstreue nicht immer gegeben. Neben der Aufdeckung eines rechten Netzwerks bei der hessischen Polizei und Vorfällen bei der Bundeswehr und der Polizei in Sachsen kam es zur Festnahme von Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos in Mecklenburg-Vorpommern. Grund war der Verdacht, Munition für die rechte Prepper-Szene abgezweigt zu haben. Auch gegen mindestens einen Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz wurde wegen Rechtsextremismus ermittelt.

Seehofer sagte, seit 2012 seien 57 rechtsextremistische oder rassistische Verdachtsfälle bei der Bundespolizei bekannt geworden. In zehn Fällen gehe es um Mitgliedschaft in der Reichsbürgerszene. 19 Beamte wurden entlassen, andere kamen mit Geldbußen davon. Einige Verfahren laufen noch. Bei fünf Beamten gab es einen Islamismusverdacht, vier wurden entlassen. Die rechtsextremistischen Fälle beträfen nur 0,1 Prozent der Beschäftigten der Polizei, so Seehofer. "Wir können von Einzelfällen sprechen. Aber der öffentliche Dienst und die Polizei allemal ist auf ein besonderes Vertrauensverhältnis der Bevölkerung angewiesen."

Jeder Fall sei einer zu viel. "Das sind nach meiner Wahrnehmung zu viele Einzelfälle", sagte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Haldenwang. "Wir müssen uns gerade bei den Sicherheitsbehörden dafür einsetzen, dass diese Verfassung, dass diese Demokratie geschützt wird." Ein im Aufbau befindliches Referat seines Hauses nehme rechte Umtriebe im öffentlichen Dienst ins Visier. Mit zusätzlichem Personal beobachte man zudem verstärkt die Vernetzung herkömmlicher rechtsextremistischer Parteien mit neuen Rechten wie der Identitären Bewegung, der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative und mit dem "Flügel" der AfD, der immer extremistischer werde.

"Bedrohungen im Netz und Gewalttaten schaffen zunehmend ein Klima der Angst", sagte BKA-Präsident Münch. Mehr als jede zweite politisch motivierte Körperverletzung komme von rechts. Weil jeder zweite rechte Straftäter der Polizei nie aufgefallen sei, arbeite man "vor allem an der Früherkennung". Eine "zu bildende Zentralstelle" im BKA soll Erkenntnisse von Bund und Ländern, aber auch von Staatsanwaltschaften zum Rechtsextremismus bündeln.

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Quelle:
SZ vom 18.12.2019
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