Demokratiepolitik in Betrieben ist angesichts der Tatsache, dass sich Rechtspopulismus und menschenfeindlicher Autoritarismus in politischen Institutionen auf allen Ebenen zwischen der EU und den Kommunen festgesetzt haben, von enormer Bedeutung. Vor Jahren starteten deutsche Gewerkschaften aus dem Umfeld der IG Metall die Buchreihe „Gute Arbeit“, die mittlerweile eingestellt wurde. Kürzlich erschien jedoch der Band „Gute Arbeit gegen Rechts“. Er beruht auf der Kooperation eines Teams um Hans-Jürgen Urban vom IG-Metall-Vorstand (mit Dirk Neumann, Klaus Pickshaus und Jürgen Reusch). Dieses Team bemüht sich um die Formulierung einer „Arbeitspolitik“, die gewerkschaftliche mit wissenschaftlicher Politik und Praxis zur „Stärkung der Demokratie“ verbindet, wie Christiane Benner, die Vorsitzende der IG Metall, in ihrem Geleitwort schreibt. Das schmale Buch ist eine gelungene Mischung aus theoretisch orientierter Analyse und weniger bekannten Berichten aus dem gewerkschaftlichen Alltag in den Betrieben.
Im Zentrum von Urbans brillantem Lageüberblick steht die wissenschaftliche Einsicht, dass es sich bei der aktuellen Multikrise um eine fundamentale Bedrohung handelt, die den Kern der kapitalistischen Produktionsweise tangiert: das wirtschaftliche Wachstum, das im Wesentlichen auf steigendem Rohstoffverbrauch und fossilen Energieträgern beruht. Beide – Energieproduktion und wachsender Rohstoffverbrauch – gefährden die Naturbasis, das menschen- und naturverträgliche Klima und damit die Koexistenz von Mensch und Natur, also beider Leben und Überleben.
Auch der Kapitalismus ist in der Krise
Der Kampf um Demokratie bleibt davon nicht unberührt. Während dieser in der liberalen Gesellschaft unter verbürgten Freiheitsrechten stattfindet, ist jener in den Betrieben herrschaftlich eingeschränkt – trotz Mitbestimmung und Betriebsräten. Das Gefälle zwischen Eigentümerrechten auf der einen und jenen von Lohnabhängigen auf der anderen Seite bleibt immer bestehen, weil „Arbeitsorganisation und Kooperation“ in Betrieben „der Form nach despotisch“ waren und sind, wie Karl Marx 1867 feststellte.
Urban räumt ein, dass das Spannungsverhältnis zwischen dem gewerkschaftlichen Kampf und dem notwendigen „Verwertungsimperativ“ der kapitalistischen Produktion unabwendbar ist. Dennoch bleibt das Ziel einer „demokratischen Vorwärtsverteidigung“ im Sinne des Verfassungsrechtlers Wolfgang Abendroth Aufgabe und Ziel für Gewerkschaften aktuell – gerade angesichts von Status- und Abstiegsängsten vieler von der ökologisch-ökonomischen Transformation betroffener Lohnabhängiger. Allerdings stellt sich die Lage für eine präventive Politik der Gewerkschaften als schwierig heraus. Die politisch motivierte Schuldenbremse erscheint dabei als schlicht anachronistisch.
Eine realistische Transformationsstrategie muss Urban zufolge ökologische Nachhaltigkeit mit Initiativen für mehr Demokratie und Partizipation auf betrieblicher Ebene verschränken. Er setzt auf „die integrative und solidaritätsstiftende Kraft gemeinsamer Arbeits- und Konflikterfahrungen“ und wird darin durch Betriebsräte, die in Interviews zu Wort kommen, bestätigt.
Rechte Listen bei Betriebsratswahlen
Bisher waren rechte Listen bei Betriebsratswahlen eine Randerscheinung, was für den demokratiepolitischen Erfolg gewerkschaftlicher Arbeit gewertet werden sollte, aber in der Gesellschaft und in den Medien keine angemessene Resonanz fand. In der IG Metall gelten für die Auseinandersetzung mit der AfD zwei Devisen: „klare Kante“ gegen alle Infiltrations- und Propagandaaktionen von rechts und „offene Türen“ für Angebote an solidarische Gegenbewegungen in Betrieben und Gesellschaft. Gemeint sind damit nicht halbgare Strategien der „Rückgewinnung“ von AfD-Wählern, wie sie von Konservativen und Liberalen bis hin zur Kapitulation befeuert werden, sondern um aufrichtige Partizipationsangebote, die sich im Rahmen demokratischer Interessenpolitik bewegen.
So ist es etwa den Betriebsräten Carsten Büching und Rhonda Koch im VW-Werk Baunatal mit gezielten Qualifizierungsangeboten für Vertrauensleute der Gewerkschaft gelungen, im Betrieb ein 700 Köpfe starkes Vertrauensleutegremium aufzustellen, das in der Lage ist, der demagogischen AfD-Rhetorik eine wirksame, weil glaubhafte Alternative demokratischer Teilhabe entgegenzusetzen, um dem Unbehagen über und Ängsten vor zu rascher Transformation in der Automobilproduktion zu begegnen.
Demokratiebildung allein wird nicht reichen
Auch Thomas Knabel, Geschäftsführer der IG Metall in Zwickau, wo das weltweit erste Fahrzeugwerk steht, das vollkommen auf den Elektrobetrieb umgestellt wurde, berichtet von positiven Erfahrungen mit dem Zusammenhang von Selbstermächtigung und Demokratieerfahrung im Betrieb. Während bei den Betriebsratswahlen 2018 ein AfD-U-Boot-Kandidat gegen IG-Metall-Kandidaten antrat und auf Anhieb 20 Prozent der Stimmen gewann, erreichte die IG-Metall-Kandidatenliste vier Jahre später 93 Prozent der Stimmen, nicht zuletzt wegen der demokratischen Urwahl der IG-Metall-Kandidaten durch alle Gewerkschaftsmitglieder.
In der IG Metall macht man sich keine Illusionen über die beschränkte Reichweite von Bildung und politischer Aufklärung bei der Demokratisierung der Betriebe. Charlotte Boebel, Bildungsreferentin bei der IG Metall, betont in ihrem Beitrag, dass das nicht ausreicht, um die AfD-Propagandastrategie von abgehobenen Gewerkschaftseliten wirksam zu kontern, „solange männliche Betriebsratsvorsitzende noch in der Lage sind, einsame Entscheidungen top-down durchzustellen“.