Klimaprotest in Berlin:Wenn sich Ärzte und Banker auf die Straße setzen

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"Es geht um eine Vision, die wir zusammen leben könnten": Klimaprotest im Rahmen der Aktion "Berlin blockieren" am Potsdamer Platz. (Foto: Hannibal Hanschke/Reuters)

In Berlin blockieren Klimaaktivisten den Verkehr. Mit dabei sind Leute, die man nicht unbedingt erwartet hätte.

Von Benjamin Emonts

Es ist kurz vor halb zwölf, als die Aktivisten von "Extinction Rebellion" die Siegessäule in Berlin vorübergehend einnehmen. Auf der Aussichtsplattform des Denkmals entrollen fünf Leute ein großes Transparent. "Rebels for Life" steht darauf geschrieben, Rebellen fürs Leben. Mehr als 1200 Protestierende zu ihren Füßen klatschen und jubeln. "What do we want?", rufen die Aktivisten von oben. Und von unten schallt es zurück: "Climate Justice." Die weltweit üblichen Sprechchöre der Klimabewegung.

Keine drei Minuten später beenden zwei Ordner die Aktion, die Aktivisten gehen mit ihrem Transparent zurück in die Menge. Ebenso gewaltfrei waren in den frühen Morgenstunden die ersten Straßenblockaden der Demonstranten verlaufen. Gegen vier Uhr nachts hatten Hunderte von ihnen auf Decken sitzend und eingehüllt in wärmende Rettungsfolien den Verkehr am Knotenpunkt Großer Stern lahmgelegt, der mehrspurig um die Siegessäule führt. "Blockieren statt krepieren" hieß es auf einem Transparent. So soll es weitergehen in Berlin.

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Mehr als 1000 Aktivisten aus ganz Deutschland und Europa haben unweit des Kanzleramts ein "Klima-Camp" bezogen. Sie wollen von diesem Montag an eine Woche lang Aktionen und Verkehrsblockaden in Berlin durchziehen. Sie fordern unter anderem von der Regierung, sofort den Klimanotstand auszurufen. Am Montagnachmittag blockierten Demonstranten dann auch den Potsdamer Platz, indem sie Blumentöpfe, Sofas, Tische und Stühle auf die Kreuzung stellten. Vor dem Ministerium für Landwirtschaft versammelten sich Demonstranten und forderten eine Agrarwende von der Politik.

An der Siegessäule lässt die Polizei die Demonstranten an diesem Vormittag gewähren. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat ein Vorgehen "mit Augenmaß" gegen die Aktivisten angekündigt. Die formieren sich in Sitzkreisen, bemalen Plakate und hören Musik, manche machen ein Schläfchen. Es gibt kleine Konzerte, einen Kreis mit Qui Gong und einen Workshop, wie man sich richtig zusammenkettet, um eine Straße zu blockieren. Ein acht Meter hoher Ballon steigt in die Luft mit der Aufschrift: "Free the Air". Die Protestaktion wirkt wie ein Straßenfest - nur dass kaum Alkohol getrunken wird.

An "Extinction Rebellion" hatte es zuletzt immer wieder Kritik gegeben

Aber wer sind die Menschen, die hier protestieren? "Extinction Rebellion" (XR) steht auch in der Kritik. Es gibt Mutmaßungen, dass die Bewegung mit Wirtschaftsunternehmen, die die Klimabewegung manipulieren wollen, kooperiere oder gar von ihnen finanziert werde. Zudem heißt es, die Bewegung nehme auch radikale Linke und Rechte bei sich auf, solange alle die gleichen Klimaziele verfolgten.

Doch an der Siegessäule ist davon nichts zu sehen. Es gibt weder Steinewerfer noch Vermummte, es fehlen die gängigen Symbole von Autonomen und Rechtsradikalen. Zu erkennen ist stattdessen auf Hunderten Transparenten, Fahnen und dem rasierten Hinterkopf einer Aktivistin das Label der Bewegung, eine Sanduhr, die sagen soll: "Uns rennt die Zeit davon." Im Vergleich zu "Fridays for Future" protestieren auffällig viele Erwachsene. Es sind Menschen aus allen sozialen Schichten und Berufsgruppen. Fragt man in einem der Sitzkreise rund um die Siegessäule nach, melden sich eine Psychotherapeutin, eine Köchin, eine Pädagogin, ein Ingenieur, ein Grafikdesigner; andere weisen sich als Künstler, Studenten oder Rentner aus.

Sie alle verbindet die Zukunftsangst und die Überzeugung, dass die Politik nur noch durch zivilen Ungehorsam wie Straßenblockaden zum Handeln gebracht werden kann. Der Rentner Wolfgang Hengel, 72, der früher bei den Grünen war, erzählt, dass er endlich wieder eine Bewegung gefunden habe, die wegen der Missstände auf die Straße zieht. Eine 54-jährige Ärztin aus Nürnberg, die anonym bleiben will, spricht von "innerer Arbeit", die man gemeinsam leisten müsse, um eine Veränderung zu erreichen. "Es geht um eine Vision, die wir zusammen leben könnten."

Gerade die älteren Aktivisten verfolgt das Schuldgefühl, dass ihre Generation für die Klimaprobleme verantwortlich sei und die Zukunft der nachfolgenden Generationen gerade zerstöre. Junge Menschen wie die 16-jährige Zoë wiederum schöpfen "Kraft und Hoffnung" aus dem Zusammengehörigkeitsgefühl dieser Bewegung. Als die junge Frau aus voller Kehle "Extinction" in die Menge ruft, brüllen Hunderte Menschen "Rebellion" zurück.

Ein Bankkaufmann sagt später: "Die meisten von uns wären auch bereit, für unsere Sache ins Gefängnis zu gehen." Es ist das, was XR wohl am besten charakterisiert: die Bereitschaft, für seine Sache auch Gesetze zu brechen. Am frühen Nachmittag tritt die Seenotretterin Carola Rackete ans Mikrofon. Auch die Bundesregierung mache sich mit ihrer Klimapolitik der Beihilfe zum Mord schuldig, sagt sie. "Es ist meine persönliche Verpflichtung, gegen die zerstörende Politik zu rebellieren." Die Menge jubelt.

Am Abend räumt die Polizei den Potsdamer Platz; einige Besetzer gehen freiwillig, die meisten lassen sich wegtragen. Die Verbleibenden singen: "Ich muss gehen, das Problem bleibt."

© SZ vom 08.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Sie sei froh, dass sich die Klima-Aktivisten von Extinction Rebellion dazu entschlossen haben, "die ganze Woche hier zu bleiben, um Berlin Tag und Nacht zu blockieren".

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