Süddeutsche Zeitung

Externsteine:Märchenhafte Felsen

Die Externsteine im Teutoburger Wald gelten manchen als deutsches Stonehenge und ihnen wird vieles nachgesagt. Die Nazis erklärten den Ort kurzerhand für "germanisch".

Von Florian Welle

Nadeln aus Stein, aufgereiht wie an einer Schnur - so erscheint dem Betrachter die imposante Formation der Externsteine im Teutoburger Wald. Das einzigartige Natur- und Kulturdenkmal bei Horn-Bad Meinberg besteht aus insgesamt dreizehn zerfurchten Sandsteinfelsen.

Vor allem die fotogen vor dem Wiembecketeich gelegenen und bis zu 40 Meter hoch aufragenden ersten paar Felssporne haben es in Deutschland, aber auch weit darüber hinaus bekannt gemacht, auch als Filmkulisse. Vom Magazin Geo wurden die sogenannten Externsteine zu einem der weltweit 15 Orte gewählt, die aussehen wie aus einem Märchenbuch.

Märchenhaft mutet auch die Geschichte der vor etwa 70 Millionen Jahren senkrecht aufgefalteten Sandsteinschicht an. Denn bis heute sind manche fest davon überzeugt, dass die Felsen weit mehr sind als ein faszinierendes Naturgebilde.

Nämlich eine bedeutende germanische Kultstätte aus vorchristlicher Zeit, möglicherweise eine Sternwarte. Weshalb die Externsteine auch schon mal als "Deutschlands Stonehenge" bezeichnet werden.

Jedes Jahr zur Walpurgisnacht wie zu den Sonnenwenden pilgern Esoteriker jeder Couleur ins Nordrhein-Westfälische, um trommelnd und tanzend die Kräfte, die von dem Ort ausgehen sollen, auf sich wirken zu lassen. Dass dabei auch andere Substanzen eine Rolle spielen könnten, steht auf einem anderen Blatt. Seit 2010 existiert für die mitunter ausufernden Feiern ein Alkoholverbot.

Sogar den Heiligen Gral vermuten manche unter der imposanten Felsengruppe

Den Rest des Jahres tummeln sich auf den Felsen, die nummeriert sind, aber auch so schöne Namen wie "Grotten"-, "Turm"- und "Wackelsteinfels" tragen, eine halbe Million Touristen. Sie schlängeln sich auf ausgetretenen Stufen treppauf treppab und genießen die Aussicht vom Gipfelplateau.

Wie viele kommen, weil sie in den Felsen den angeblichen Standort der von den Sachsen als Heiligtum verehrten und von Karl dem Großen zerstörten Irminsul (große Säule) sehen oder weil sie hier gar den Heiligen Gral vermuten, ist ungewiss. Über das Steinensemble gibt es wenig wissenschaftlich Belegbares, dafür kursieren viele Legenden.

Dass die Formationen die Zähne eines Riesen seien, ist noch das Geringste. Ebenso fantasievoll ist die Wesersage vom Wackelsteinfels. Danach hat der Teufel den Brocken, der auf der Spitze des "Fels 4" thront und herunterzufallen scheint, auf Mönche geworfen. Die Geistlichen hatten auf dem weiter vorne gelegenen Turmfelsen eine Kapelle errichtet, was Beelzebub erzürnte. Doch er traf nicht.

In der Tat haben Menschen an die Externsteine Hand angelegt. Sie schufen Grotten und in einer künstlichen Rundbogennische ein offenes Felsengrab; auf dem Turmfelsen findet sich eine kapellenartige Höhenkammer mit Altarnische. Ein kreisrundes Loch in einer Wand weist zudem genau auf jene Stelle, an der die Sonne zur Sommersonnenwende aufgeht. Für einige ist dies der Beweis, dass es sich hier um eine vorchristliche Sternwarte gehandelt haben könnte. Diese Ansicht wird mal mehr, mal weniger seriös vertreten.

Dann fällt noch das sehr lebendig gestaltete Relief der Kreuzabnahme Christi auf, eines der europaweit größten unter freiem Himmel. All das ergibt ein von Mönchen über das ganze Mittelalter hinweg geschaffenes Bildprogramm mit dem Relief als krönendem Abschluss im 12. Jahrhundert.

Kunsthistoriker vertreten deshalb die These, es handle sich um eine Heiliggrab-Anlage für die Gläubigen, die nicht die Pilgerfahrt nach Jerusalem antreten konnten. Dafür spricht einiges. So stützt die Lumineszenz-Datierung, mit der man 2004 das Alter der Grotten bestimmte, diese Annahme.

Die Feuerspuren in Kuppel-, Haupt- und Nebengrotte stammen demnach aus mehreren Jahrhunderten. Die älteste Feuerspur datiert auf nach 735 n. Chr., eine andere stammt aus ottonischer Zeit. Weitere Brandspuren lassen auf eine Nutzung der Grotten durch Einsiedler im Hoch- und Spätmittelalter schließen, was Quellen zusätzlich belegen.

Das lässt jedoch alle unbeeindruckt, die den Teutoburger Wald - das Hermannsdenkmal ist zwanzig Autominuten entfernt - für das Zentrum einer germanischen Hochkultur halten. Sie argumentieren, dass alle heidnischen Spuren von den Christen willentlich für immer gelöscht wurden.

Daher stören sie sich auch nicht daran, dass die einzigen archäologischen Artefakte, die hier je gefunden wurden, Feuersteinklingen sind, die Steinzeitmenschen vor mehr als 10 000 Jahren benutzt haben.

Kühn deuten sie auch das Kreuzabnahme-Relief einfach um. Bei der abgebildeten Palme handele es sich demnach gar nicht um eine solche, sondern um die zerstörte Irminsul! Diese Interpretation geht auf den völkischen Laienhistoriker Wilhelm Teudt zurück, der sie in den Zwanzigerjahren äußerte.

Die Nazis befahlen: "Die Externsteine sind bis auf Weiteres germanisch!"

Die Nazis griffen diese Auslegung später dankbar auf. Bei Ausgrabungen, die sie 1934 in Auftrag gaben, fand man aber nichts, was auf eine germanische Kultur schließen ließ. Weitere Forschungen wurden daher untersagt, es galt die Losung: "Die Externsteine sind bis auf Weiteres germanisch!" Bis heute zieht es deshalb immer wieder Rechte zu den ungewöhnlichen Felsen.

Am Ende sieht jeder in den Steinen das, was er sehen will. Bereits im 19. Jahrhunderts wurden sie touristisch erschlossen - von 1912 bis 1936 fuhr sogar eine Straßenbahn zwischen ihnen hindurch. Davon abgesehen ist das Naturdenkmal inmitten eines 127 Hektar großen Naturschutzgebietes schlicht beeindruckend. Es ist es Heimat für besonders schützenswerte Pflanzen- und Tierarten. Zu ihnen zählen das Sumpfveilchen und ein stark gefährdeter Käfer, der auf den für die Externsteine passenden Namen "Eremit" hört.

Dieser Text erschien zuerst in der Print-SZ vom 14.03.2020.

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SZ vom 14.03.2020
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