Experten:"Heimatministerium ist eine Blackbox"

Altersarmut und Hartz IV

Billigjobs und teure Mieten begünstigen Armut von Rentnern.

(Foto: imago)
  • Das geplante Heimatministerium im Innenministerium soll sich um strukturschwache Regionen kümmern.
  • Vorbild soll das gleichnamige Ressort in Bayern sein.
  • Experten sehen Bedarf - zeigen sich aber skeptisch, ob auf Bundesebene so ein Ministerium funktionieren kann.

Von Max Ferstl

Der Prototyp einer strukturschwachen Region sieht in etwa so aus: Jüngere Menschen ziehen weg, Häuser verfallen, Geschäfte machen dicht, es gibt zu wenige Arbeitsplätze, Kindergärten, Ärzte. Solche Regionen gibt es überall in Deutschland. Vor allem im Osten seien die Probleme "bis auf wenige Ausnahmen flächendeckend", sagte die Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, als sie im vergangenen September den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit vorstellte.

Das geplante Heimat-Ressort im Innenministerium soll sich, nach allem was man bisher weiß, um diese strukturschwachen Regionen kümmern. Der designierte Heimatminister Horst Seehofer (CSU) hat angekündigt, gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland herstellen zu wollen. "Der Bedarf ist da", findet Stephan Grohs von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Er ist allerdings skeptisch, ob der Bund den Heimatbegriff substanziell füllen kann.

In Deutschland regeln die Kommunen ihre Angelegenheiten selbst. Gegen ihren Willen kann der Bund vor Ort keine Politik machen, keine Projekte durchsetzen. Sophie Schönberger, Professorin für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Konstanz, sagt: "Der Bund ist in der Fläche nicht präsent. Er hat weder die nötigen Kompetenzen noch die Verwaltung." Egal was das Ministerium plant, es werde bei der Umsetzung immer auf die Länder und die Kommunen angewiesen bleiben. Was Seehofer natürlich tun könnte: Anreize schaffen, Förderprogramme auflegen, also: Geld bereitstellen, für das sich Kommunen bewerben können. Hier liegt aus Grohs' Sicht der zentrale Vorteil eines Heimatministeriums auf Bundesebene: "Man könnte auf größere Umverteilungstöpfe zugreifen."

Denn die größten Probleme treten dort auf, wo sich Bundesländer nicht mehr selbst helfen können, in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg zum Beispiel. Wohlhabende Länder wie Baden-Württemberg oder Bayern kriegen es ganz gut alleine hin - und freuen sich am Ende trotz großer Ausgaben über einen ausgeglichenen Haushalt. Der Bund, so Grohs, könnte theoretisch stärker umverteilen. In der Praxis spielen Länderinteressen aber natürlich eine große Rolle. Ein Heimatminister Seehofer, der bayerisches Geld in Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern pumpt? "Man muss abwarten, wie es am Ende umgesetzt wird", sagt Grohs. Noch ist nicht sicher, wie das künftige Heimatministerium genau arbeiten wird. Auf Länderebene gibt es zwei Vorbilder, die sich allerdings deutlich unterscheiden.

In Bayern bündelt das Heimatministerium wichtige Kompetenzen: unter anderem das Finanzielle, den Breitbandausbau, die Landesentwicklung. "Was das Portfolio angeht, ist es eine intelligente Konstruktion", findet Grohs. Der bayerische Finanz- und Heimatminister, bislang Markus Söder, besitzt eine erhebliche Machtfülle. Er kann viel Geld bewegen und sich bei vielen Themen einmischen. Er steckte Millionen an Stabilisierungshilfen in die Kommunen, förderte den Breitbandausbau, wies viele Gewerbeflächen aus - und war dabei durchaus erfolgreich, wie selbst Gegner anerkennen. Dem Heimatministerium in Nordrhein-Westfalen hingegen fehlt eine Anbindung an ein mächtiges Ressort. Ministerin Ina Scharrenbach muss mit geringerem Budget auskommen.

Seehofer wird wohl das bayerische Modell nicht kopieren, aber einigen Punkte übernehmen

Es spricht einiges dafür, dass Seehofer das bayerische Modell in einigen Punkten übernehmen wird. Auch wenn es keine Kopie sein wird: Für die digitale Infrastruktur bleibt weiterhin das Verkehrsministerium zuständig. Das Heimat-Ressort soll Teil des Innenministeriums werden. Ein mächtiges Ressort, das noch mehr Einfluss erhalten soll. So wandert der Bereich Bau vom Umwelt- ins Innenministerium. Eine sinnvolle Schnittstelle, findet Grohs, auch für den Heimatbereich: "Der soziale Wohnungsbau dümpelt seit den 80er Jahren vor sich hin." Hier gäbe es durchaus Punkte, wo ein Heimatminister ansetzen könnte.

Leicht dürfte es trotzdem nicht werden, selbst wenn Seehofer viel Geld verteilen kann. Abgehängte Regionen haben oft mit sehr unterschiedlichen Problemen zu kämpfen, die sich gegenseitig verstärken. Es sei wie bei einer tragischen Biografie, sagt Grohs: Jemand verliert seinen Job, bekommt finanzielle Schwierigkeiten, der Frust steigt, möglicherweise scheitert die private Beziehung. Löst man ein Problem, sind noch andere da. Nur weil eine Kommune zum Beispiel plötzlich schnelles Internet hat, siedeln sich nicht zwingend Unternehmen an. Um eine Region wieder fit zu machen, sagt Grohs, wären komplexe und individuelle Förderprogramme nötig. "Das könnte den Bund überfordern." Andererseits: Irgendwo müsse man ja anfangen.

Er hält ein anderes Szenario für wahrscheinlicher: dass ein Heimatministerium in erster Linie symbolischen Wert hat: "Es geht sicher um ein Signal: Seht, wir kümmern uns um euch." Mit dem großen Wurf rechnet auch Sophie Schönberger nicht. Für sie sieht das künftige Heimatministerium ebenfalls eher nach "politischem Marketing" aus: "Der Begriff ist sehr schwammig." Sie könnte sich auch vorstellen, dass ein Heimatministerium verstärkt Kultur fördern wolle. Aber auch hier ist der Einfluss begrenzt: "Die Kulturhoheit liegt bei den Ländern." Das Heimatministerium sei bis auf Weiteres "eine Blackbox".

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