EXKLUSIV:Weiterer Deutscher auf Ersuchen der Türkei im Ausland verhaftet

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Immer wieder landen politisch Verfolgte auf den Ausschreibungslisten von Interpol. Betroffene können ihre Daten zwar wieder löschen lassen - doch das Verfahren ist aufwendig und dauert oft lange. (Foto: AP)
  • Die Türkei ließ über Interpol nach einem weiteren deutschen Staatsbürger fahnden.
  • Kemal K.wird von der Türkei vorgeworfen, in zwei Morden verstrickt zu sein.
  • Deutsche Gerichte halten die Vorwürfe für politisch motiviert und verweigerten seine Auslieferung bereits mehrfach.
  • Kemal K. wurde bereits im Juni in der Ukraine festgenommen.

Von Lena Kampf und Andreas Spinrath

Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR wird ein weiterer deutscher Staatsbürger auf Ersuchen der türkischen Behörden im Ausland festgehalten. Mit einer "Red Notice" ließ die Türkei den Kölner Kemal K. von Interpol suchen; er wurde bereits im Juli in der Ukraine verhaftet und sitzt seitdem dort fest. Er darf das Land nicht verlassen, bis über eine Auslieferung in die Türkei entschieden wird.

Kemal K. ist sowohl türkischer als auch deutscher Staatsbürger, er floh 2007 nach Deutschland, erhielt politisches Asyl und wurde 2016 eingebürgert. In der Türkei war er in der kommunistischen Partei TKP/ML aktiv.

Mehrfach bemühten sich die türkischen Behörden um die Auslieferung von K., die türkische Justiz wirft ihm vor, in zwei Morde in der Türkei verstrickt zu sein. Auf ihn ist ein Kopfgeld von 1,5 Millionen türkische Lira ausgesetzt, umgerechnet etwa 350 000 Euro.

Deutsche Gerichte haben jedoch immer zu seinen Gunsten geurteilt: So saß er 2007 mehrere Monate in Baden-Württemberg in Haft, das Oberlandesgericht Karlsruhe stimmte seiner Auslieferung jedoch nicht zu. Die Vorwürfe seien unbegründet, es bestünden "erhebliche Zweifel am Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts". Zuletzt hatten deutsche Behörden im Juni 2017 seine Auslieferung abgelehnt.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Köln hatte K. vor einer Auslandsreise gewarnt

K. ist mit einer Ukrainerin verheiratet und war aus privaten Gründen in das Land gereist. Zuvor hatte die Generalstaatsanwaltschaft Köln ihn vor einer Auslandsreise gewarnt. Er müsse wegen des bestehenden Interpoleintrags damit rechnen, im Ausland festgenommen zu werden.

Bis Ende November soll nun entscheiden werden, ob Kemal K. von den ukrainischen Behörden in die Türkei ausgeliefert wird. Dort droht ihm, so steht es in einem Urteil des Oberverwaltungsgericht Münster, "eine Verfolgung durch türkische Sicherheitskräfte". Das bedeute: "Auch Folter wird seitens der Sicherheitskräfte noch angewandt, wenn auch seltener und mit weniger leicht nachweisbaren Methoden."

Die Interpol "Red Notice" gegen K. besteht seit 2002 und wurde im Juni 2017 von der Türkei erneuert. Obwohl ihm gerade wegen der offenbar politisch motivierten Verfolgung in der Türkei in Deutschland Asyl gewährt wurde, konnten die türkischen Behörden mit diesen Vorwürfen weiter über Interpol nach K. fahnden.

Die internationale Polizeiorganisation Interpol, die als Informationsmittler zwischen den Mitgliedsstaaten fungiert und Fahndungssausschreiben weltweit verbreitet, darf in Fällen politisch motivierter Verfolgung eigentlich nicht tätig werden. Doch immer wieder versagen die Prüfmechanismen von Interpol, sodass autoritäre Regime weltweit nach Dissidenten fahnden lassen können.

So auch zuletzt im Fall des Schriftstellers Doğan Akhanlı: Der deutsch-türkische Autor war im August in Spanien festgenommen worden, weil die Türkei per Interpol nach ihm fahnden ließ - auch in diesem Fall mit politisch motivierten Vorwürfen. Erst in der vergangenen Woche entschied ein spanisches Gericht, ihn nicht in die Türkei auszuliefern. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte nach seiner Festnahme den Missbrauch Interpols durch die Türkei kritisiert.

Zu Unrecht Verfolgte können bei der Interpol Datenschutzkommission eine Löschung ihrer Daten beantragen, dieser recht langwierige Prozess ist Betroffenen jedoch oftmals nicht bekannt. Dass Menschen, die als politische Flüchtlinge anerkannt sind, weiterhin über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben werden können, kritisieren Anwälte und Menschenrechtsgruppen seit Langem. Eine Löschung der Daten bei Interpol bedeutet jedoch nicht automatisch uneingeschränkte Reisefreiheit für die Betroffenen: Interpol kann den Mitgliedsstaaten lediglich empfehlen, die Fahndungsausschreibung auch in ihren Datenbanken zu löschen, dem müssen die Länder jedoch nicht Folge leisten.

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Der von der Türkei gestellte Suchauftrag hatte zu diplomatischen Spannungen mit der Bundesrepublik geführt. Die Auslieferung des Kölner Schriftstellers ist damit nicht abgewendet.

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