Süddeutsche Zeitung

Interview:UN-Chefankläger gegen Mladić beklagt "Verherrlichung von Kriegsverbrechern"

Wenn das Urteil gegen den bosnisch-serbischen General Ratko Mladić verkündet wird, endet auch ein Kapitel Rechtsgeschichte. Serge Brammertz erklärt im Interview, was der Prozess bewirkt hat.

Interview von Ronen Steinke

Wenn am Mittwoch das Urteil gegen den bosnisch-serbischen General Ratko Mladić verkündet wird, endet auch ein Kapitel Rechtsgeschichte. 1993 hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Tribunal in Den Haag errichtet, um Generäle und Politiker für die Gräuel im ehemaligen Jugoslawien zur Verantwortung zu ziehen. Erstmals seit den Nürnberger Prozessen sollten internationale Richter Strafurteile sprechen. 161 Personen wurden angeklagt. Nun ist die Arbeit fast abgeschlossen. Der heutige Chefankläger, der Belgier Serge Brammertz, 55, übernahm sein Amt 2008 von der Schweizerin Carla Del Ponte.

SZ: Herr Brammertz, die Jugoslawienkriege liegen ein Vierteljahrhundert zurück. Erleben Sie Heilung, Versöhnung?

Serge Brammertz: Es ist sehr bedauerlich, um nicht zu sagen schockierend, dass man gerade in den letzten Monaten sieht, wie sehr die Verherrlichung von verurteilten Straftätern in der Region zur Mode wird. Im vergangenen Jahr wurde ein Universitätsgebäude in der bosnisch-serbischen Stadt Pale nach dem früheren serbischen Anführer Radovan Karadžić benannt - kurz vor der Urteilsverkündung bei uns in Den Haag, bei der er wegen Völkermords zu 40 Jahren verurteilt wurde. Vor einigen Wochen wurde der verurteilte Kriegsverbrecher General Lazarević mit allen Ehren an der Militärakademie in Serbien empfangen und durfte dort einen Gastvortrag halten. Die Begründung in solchen Fällen lautet, dass diese Leute wüssten, wie man Krieg führt.

Was entgegnen Sie?

Die Personen, von denen wir sprechen, sind ja nicht verurteilt worden, weil sie an einem Krieg beteiligt waren. Sondern weil sie Gefangene exekutiert haben, Dörfer vernichtet haben oder ihre Soldaten massenhaft Frauen haben vergewaltigen lassen. Man muss einen Unterschied machen zwischen Kriegsführung unter Respekt für die Genfer Konventionen - und Verbrechen. Wenn ich heute auf den Balkan blicke, dann hoffe ich, dass die internationale Gemeinschaft berücksichtigt, wie sich die Stimmung dort zuletzt gewandelt hat.

Zum Beispiel, indem man Serbien den EU-Beitritt verweigert?

Es ist nicht an einem Ankläger zu sagen, wer der Europäischen Union beitritt und wer nicht. Aber ich denke doch, dass Rechtsstaatlichkeit einer der Pfeiler der EU sein muss. Ohne faule Kompromisse. Ich hoffe, dass diese revisionistischen Entwicklungen in Serbien zur Kenntnis genommen werden.

Herr Brammertz, Ihr Tribunal stand lange im Ruf, ein Instrument des Westens zu sein, das vor allem Serbien attackiert.

Die Kritik haben wir oft gehört. Wir erleben in Den Haag, dass die meisten Beschuldigten den Eindruck zu erwecken versuchen, dass sie nicht als individuelle Straftäter angeklagt sind, sondern als Vertreter einer Bevölkerungsgruppe. Sie hoffen auf eine Solidarisierung. Jedes Mal, wenn bei uns ein Urteil gegen einen Serben kommt, ist der Unmut in Serbien sehr groß. Jedes Mal, wenn ein Bosnier oder ein Kroate verurteilt wurde, war der Unmut in jenem Land sehr groß. Man merkt, dass eigentlich unterschwellig viele der Probleme, die vor dem Krieg bestanden, heute immer noch bestehen.

Woran liegt es, dass die Aufklärung so wenig fruchtet?

Schwierige Frage. Wo liegt der Fehler? Ist es das Tribunal, das nicht geschafft hat, zu kommunizieren und zu erklären, dass nichts Heldenhaftes daran ist, Gefangene zu exekutieren oder Zivilisten zu ermorden? Ich habe manchmal den Eindruck, dass viele Politiker im ehemaligen Jugoslawien keine Visionen für die Zukunft haben und deshalb eher versuchen, die Gespenster der Vergangenheit zurückzurufen, um von ihrer eigenen Unfähigkeit abzulenken, ein Land vorwärts zu führen.

Das schlimmste Massaker während des Bosnienkriegs gab es in Srebrenica im Juli 1995. Zwei Jahre zuvor war Ihr Tribunal in Den Haag mit großem Pomp eingerichtet worden, aber das hat die Täter offenbar nicht interessiert.

Das ist ernüchternd, um es vorsichtig auszudrücken. Aber was soll unsere Antwort sein? Sollen wir aufgeben, weil sich nicht jeder Mörder abschrecken lässt? Kein Mensch weiß doch, wie viele weitere Gräueltaten auf dem Balkan wir womöglich doch verhindert haben durch Abschreckung. Dieser Erfolg ist nicht messbar.

Ihr Mandat geht zu Ende. Was sehen Sie als größtes Verdienst des Tribunals?

Ich denke, dass das Bild im ehemaligen Jugoslawien wahrscheinlich noch trister wäre in Bezug auf Verherrlichung der Kriegsverbrechen, wenn es dieses UN-Tribunal nicht gegeben hätte. Viele der Kriegsverbrecher wären wahrscheinlich nie vor einen Richter gekommen. Und ich sehe es positiv, dass wir das internationale Recht weiterentwickeln konnten. Das strahlt in die Welt aus.

Die einzige Kriegspartei, gegen die Ihre Juristen gar nicht ermitteln wollten, war die Nato. Im Jahr 1999 war Nato-Kampfpiloten das Bombardement ziviler Ziele vorgeworfen worden. Manche sagten hinterher: kein Wunder. Die Juristen in Den Haag entstammen ja großteils selber Nato-Ländern.

Wir haben immer wieder Ermittlungen eingestellt, wenn entweder die Beweislast nicht ausreichte oder aber die Taten nicht schwerwiegend genug waren, um eine Zuständigkeit des Gerichts zu rechtfertigen. Keines der Verbrechen, das den Nato-Fliegern vorgeworfenen wurde, wäre auch nur annähernd mit den Massenerschießungen und -vergewaltigungen vergleichbar gewesen, auf deren Aufklärung das Tribunal sich konzentriert hat.

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SZ vom 22.11.2017/cat
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