MİT-Spionage in Deutschland:Der merkwürdige Umgang mit der türkischen Spionageliste

Bundesamt für Verfassungsschutz

Das Bundesamt für Verfassungsschutz erhielt die Liste tatsächlich - wie MİT-Chef Fidan angeregt haben soll. Danach kooperierte es zwar nicht mit den türkischen Behörden, die bespitzelten Personen informierte es aber auch nicht.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Warum der türkische Geheimdienst dem Bundesnachrichtendienst eine Liste ausgespähter Personen zuspielte, ist noch immer unklar.
  • Das Dossier machte unter deutschen Behörden die Runde: Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungschutzbehörden der Länder wussten Bescheid - nicht aber die betroffenen Personen.
  • Auch der Generalbundesanwalt erhielt das Papier, verwendete es aber nicht für Ermittlungen - zunächst.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo

Warum hat der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan dem deutschen BND-Präsidenten Bruno Kahl eine Liste mit in Deutschland vom türkischen Nachrichtendienst MIT ausspionierten Menschen überreicht? Hat er wirklich geglaubt, deutsche Behörden würden Amtshilfe beim Ausspionieren von Anhängern der sogenannten Gülen-Bewegung, Beistand beim Ausspähen von Kritikern der türkischen Regierung oder gar bei der Ausforschung deutscher Politiker leisten?

War Fidan naiv, unwissend oder wollte er, wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière meint, die deutsch-türkischen Beziehungen "belasten, um uns in irgendeiner Weise zu provozieren". Bei der Übergabe soll er gesagt haben, der Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes solle die Liste dem Verfassungsschutz übergeben. Der wäre ja für so etwas zuständig.

Seit jeher laufen in der Welt der Geheimdienste sonderbare Schattenspiele ab. Aber etwas ähnlich Dreistes und zugleich Rätselhaftes wie die Übergabe dieses Dossiers mit weit mehr als 300 Namen von in Deutschland lebenden Türken sowie 200 Namen von Schulen, Vereinen, Stiftungen, Medien und vielen Organisationen hat es an der geheimen Front selten gegeben.

Um dem Namen Michelle Müntefering zu entdecken, dauerte es sieben Wochen

Und einige deutsche Behörden, die in der Pflicht sind, die Opfer solcher Ausspähversuche vor Unbill zu bewahren, haben bei der Aufarbeitung der Unterlagen keine gute Rolle gespielt. Das gilt besonders für Dienststellen des Bundes. Es gab keine abgestimmte Linie mit den Ländern, wie mit dem brisanten Material verfahren werden sollte. Wochen verstrichen, ohne dass die Betroffenen informiert wurden. Selbst in der Bundesregierung wird inzwischen eingeräumt, dass man mit dem heiklen Vorgang nicht sorgsam und sensibel genug umgegangen sei.

Nachdem BND-Präsident Kahl das Dossier erhalten hatte, reichte er es tatsächlich weiter an das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Das BfV bat dann die Verfassungsschutzbehörden der Länder zu einer Sondersitzung. Aber obwohl der Bund nicht nur für die auswärtigen Beziehungen zuständig ist, sondern auch bei der Spionage-Abwehr die zentrale Rolle spielt, gab es keine zentrale Steuerung, nicht mal eine Anregung.

"Da gab es nichts, keine Einschätzung der Gefährdung der Betroffenen, keine Empfehlung, was man nun tun sollte", sagt ein mit dem Vorgang vertrauter Beamter. "Die haben uns die heiße Kartoffel einfach zugeschoben." In der Sitzung erklärten Staatsschützer aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, sie würden die Betroffenen warnen. Andere Länder hielten sich bedeckt.

De Maizière bedauert öffentlich, dass die Länder nicht gemeinsam vorgingen

Inzwischen sagte de Maizière, er "bedaure", dass es nicht zu einer gemeinsamen Strategie der Länder gekommen sei. Aber selbst in seinem Ministerium wird eingeräumt, der Bund hätte mehr dafür tun müssen, um für eine solche Linie zu sorgen. Irritierend ist der Vorgang, der die prominenteste Person auf der Liste betrifft, die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering. Die 36-Jährige ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages und Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe. Ihr Mann Franz war mal Vizekanzler. Man kennt sie, und man kennt ihn.

Erst sieben Wochen nachdem deutsche Behörden das Dossier bekommen hatten, wurde sie vorigen Montag halbwegs informiert. Wurde ihr Name wirklich so spät entdeckt, sodass sie erst am Montag dieser Woche von zwei Beamten des Bundeskriminalamts über den Eintrag auf einer türkischen Liste informiert werden konnte?

MİT-Spionage in Deutschland: Auszug aus der Liste mit den Namen der beiden Politikerinnen.

Auszug aus der Liste mit den Namen der beiden Politikerinnen.

Warum wurde den Bundesanwälten die Liste nicht offiziell zur Verfügung gestellt?

Schon vor diesem Montag hatten Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR Bundesbehörden wegen der anstehenden Veröffentlichung kontaktiert. Eile war also geboten. Oder konnte man den Namen Müntefering vielleicht übersehen?

Ihr Name findet sich, nicht ganz korrekt geschrieben, in einer Tabelle 10, auf der nur vier Einträge (siehe Ausriss) stehen. Eine Berliner Stiftung steht da, die sich ums Klavierspielen verdient macht, der Name eines Journalisten taucht auf, der einst für Helmut Schmidt Reden schrieb und heute die Gülen-Bewegung lobt. Die Berliner CDU-Abgeordnete Emine Demirbüken-Wegner wird genannt, die mal Staatssekretärin war und im CDU-Präsidium saß.

Müntefering hätte "mehr Sensibilität" der Behörden erwartet

Bemerkenswert ist aus Berliner Sicht auch, dass die Regierungsspitze erst durch Meldungen von SZ, NDR und WDR erfuhr, dass Müntefering auf der Liste stehe. Die FAZ berichtete am Freitag, dass dieser Umstand und der Umgang mit der Liste überhaupt in der Regierung Unmut verursacht haben, welcher sich am BND-Präsidenten entladen habe, der die Regierung nicht ordentlich informiert habe. Aber ist der Chef des Auslandsgeheimdienstes wirklich der Schuldige? Auf die Idee, mit dieser Liste anders und sorgfältig umzugehen, hätten auch BfV und BKA kommen können. "Ich hätte mir von unseren Behörden mehr Sensibilität erwartet", sagte Müntefering. "Das Parlament hat einen Anspruch darauf zu wissen, wie das alles abgelaufen ist."

Die Hantiererei mit dem Dossier steckt voller Merkwürdigkeiten. Dem Karlsruher Generalbundesanwalt wurde die Liste auch zugesandt. Aber das Material, so wurde ihm mitgeteilt, sei nicht gerichtsverwertbar. Also eine inoffizielle Unterrichtung. Für Ermittlungen durfte das Material nicht verwendet werden.

Erst nachdem SZ, NDR und WDR den Vorgang öffentlich gemacht hatten, leitete der Generalbundesanwalt ein Verfahren gegen unbekannte MIT-Offiziere ein. De Maizière wiederum hat die Ermittlungen öffentlich begrüßt. Aber warum wurde den Bundesanwälten die Liste mit den vielen Spitzelopfern nicht offiziell zur Verfügung gestellt?

Im klassischen Sinne ist die Namensliste keine politische Spionage

Die oberste Strafverfolgungsbehörde des Landes, der Generalbundesanwalt, führt derzeit drei Ermittlungsverfahren mit türkischem Geheimdienstbezug.

In dem wegen der Einträge in dem Dossier eingeleiteten Verfahren wird das Bundeskriminalamt in den nächsten Wochen die in den Listen genannten Personen befragen, wer sie ausgeforscht haben könnte. Unbekannte Spione haben von einigen der Ausgeforschten Fotos gemacht.

Gibt es da Namen, oder Hinweise auf Verdächtige? Im klassischen Sinne ist das eigentlich keine politische Spionage. Die Namenslisten sind Material zur Unterdrückung Andersdenkender. Die Betroffenen müssen davon ausgehen, dass sie bei einer Einreise in die Türkei festgenommen werden. Wenn sie den Beamten des BKA keine Belege geben können, wer sie ausgeforscht hat, werden die Beamten das BfV um Mithilfe bitten. Das BfV hat in den vergangenen Monaten betont, dass sich die Spionageabwehr der Behörde intensiv um nachrichtendienstliche Aktivitäten der Türkei in Deutschland kümmere.

Das zweite Verfahren richtet sich gegen 16 Beschuldigte, die in Beziehung zum islamisch-türkischen Dachverband Ditib stehen. Sie sollen Spitzelberichte über Personen und Einrichtungen in Deutschland, die angeblich mit der Gülen-Bewegung gemeinsame Sachen machen, verfasst haben. Gegen sechs Imame beantragte die Bundesanwaltschaft Haftbefehle. Eine Ermittlungsrichterin beim Bundesgerichtshof lehnte die Haftbefehle ab. So blieb nur der Anfangsverdacht. Die Imame sollen aus Deutschland abgezogen worden sein.

Ein Ditib-Insider soll der Bundesanwaltschaft Material zugespielt haben

Das dritte Verfahren wurde am 13. März eingeleitet. Es richtet sich gegen Halife Keskin, einen hochrangigen Funktionär der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die zahlreiche diplomatische Vertretungen der Türkei in aller Welt aufgefordert haben soll, Informationen über Anhänger der Gülen-Bewegung zusammenzutragen.

Die türkische Religionsbehörde soll auch Imame des Ditib beauftragt haben, in Moscheen in Deutschland Informationen über Anhänger der Gülen-Bewegung zu sammeln. Die Bundesanwaltschaft soll von einem Insider mit reichlich Material ausgestattet worden sein.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck hatte die Karlsruher Ermittlungsbehörde Mitte Februar darüber informiert, dass sich Keskin in Köln aufhalte. Die Mails waren, wie die Karlsruher Behörde mitteilte, versehentlich vom Mailkonto der Poststelle gelöscht worden. Ein für die Behörde unangenehmer Vorgang. Dann aber kam von irgendjemandem viel Material über Keskin und die Ditib-Diyanet-Verbindung.

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