Süddeutsche Zeitung

Ex-US-Präsident zum Zustand der Welt:Obama kritisiert "Politik der Angst und der Missgunst"

  • "Wo stehen wir in diesem Moment und wohin gehen wir als nächstes?" In einer Rede analysiert der amerikanische Ex-Präsident Obama den heiklen Zustand der Welt und seines Landes.
  • Er ruft dazu auf, die Demokratie zu verteidigen. Dafür müsse man auch mit seinen Gegnern sprechen.
  • Voraussetzung für eine Zusammenarbeit sei allerdings, dass diese an Fakten glaubten und nicht einfach "Zeugs" erfänden. Es ist nicht die einzige Anspielung auf seinen Nachfolger Trump.

Von Barbara Galaktionow

In einer intensiven Rede hat der frühere US-Präsident Barack Obama dazu aufgerufen, sich angesichts einer in vielerlei Weise bedrückenden Weltlage umso stärker für Demokratie, Gleichheit und Solidarität einzusetzen. Was es brauche, um den gegenwärtigen Herausforderungen zu begegnen, seien nicht starke Führer, sondern ein "kollektiver Geist", sagte Obama im südafrikanischen Johannesburg in einer Rede zu Ehren des Freiheitskämpfers Nelson Mandela. Der mittlerweile verstorbene frühere südafrikanische Präsident war vor etwa 100 Jahren geboren worden.

Jahrzehntelang habe sich die Welt hin zu mehr Demokratie und Menschenrechten entwickelt, sagte Obama. Doch das rücksichtslose Agieren einer neuen internationalen Elite, das in der Finanzkrise 2008 am deutlichsten zum Ausdruck gekommen sei, habe bei vielen Menschen den Glauben an diese Werte erschüttert. Nun gebe es in weiten Teilen der Welt einen Rückschlag.

In seiner eineinhalb Stunden dauernden Rede sprach Obama von "merkwürdigen und unsicheren Zeiten", in denen jeder Tag "verwirrende und verstörende Schlagzeilen" bringe. Derzeit herrsche eine "Politik der Angst und der Missgunst". Diejenigen, die an der Macht seien, versuchten, jede Institution oder Norm zu unterminieren, "die der Demokratie eine Bedeutung gibt". Die Menschen stünden am Scheideweg.

Der frühere Präsident zeigte sich überzeugt: "Die, die an Demokratie und Humanität glauben, haben die bessere Geschichte zu erzählen." Die zufriedensten Menschen lebten dort, wo diese Ziele zumindest annäherungsweise erreicht würden. Aber um andere davon zu überzeugen, müsse man härter dafür arbeiten, smarter sein als die anderen und aus den Fehlern der jüngsten Vergangenheit lernen.

Ohne seinen Amtsnachfolger direkt zu nennen, nahm Obama in seiner Rede mehrfach Bezug auf Donald Trump. Der stößt derzeit konkurrierende Staaten wie bisherige Verbündete der USA gleichermaßen mit Handelsbarrieren und seinem unberechenbaren Verhalten vor den Kopf, hofiert zugleich aber autoritäre Präsidenten wie Wladimir Putin. Ob der Umgang mit Technologien oder mit Umweltfragen - viele Probleme müssten dringend gelöst werden, sagte Obama. Doch sei klar: "Das alles braucht mehr internationale Kooperation und nicht weniger."

Obama sprach sich für einen "inklusiven Kapitalismus, innerhalb der Nation und zwischen den Nationen" aus, in dem nicht eine kleine abgehobene Elite nach Gutdünken verfahren könne, ohne die Folgen ihres Tuns für den Einzelnen zu bedenken. Eine Konzentration wirtschaftlicher Macht führe zwangsläufig auch zu einer Konzentration politischer Macht, das habe die Geschichte gezeigt. "Wir müssen über Wirtschaft sprechen, wenn wir die Demokratie zurückhaben wollen", sagte der frühere US-Präsident.

Konkret nannte er eine höhere Besteuerung reicher Menschen. Für Essen, Häuser, Reisen - für alles gebe es eine natürliche Begrenzung dessen, was man konsumieren könne. Und wer genug habe, könne doch sagen: "Ich zahle ein bisschen mehr Steuern, ich kann es mir leisten", sagte Obama unter großem Applaus Tausender Zuhörer.

"Die Leute erfinden einfach Zeugs"

Auch zur Grenzpolitik seines Nachfolgers, der zeitweilig Einwanderer aus Mexiko abschrecken wollte, indem er sie an der Grenze von ihren Kindern trennte, bezog der frühere US-Präsident Stellung. Nationale Grenzen seien wichtig und es sei richtig, von Migranten zu erwarten, dass sie sich anstrengten, um sich zu integrieren. Doch dies könne kein Grund sein für eine Einwanderungspolitik, die Menschen nach rassistischen oder religiösen Kriterien aussortiere.

Eine Regierung existiere, um dem einzelnen zu dienen, und nicht andersherum, betonte Obama. Demokratie verlange von ihrem Führungspersonal, dass es mit den Menschen in Berührung bleiben müsse. Doch das, so betonte er an Gleichgesinnte gewandt, bedeute, dass man auch "mit Menschen in Berührung bleiben muss, wenn sie andere Ansichten vertreten", und zwar auch wenn diese Menschen "weiß und männlich" sind.

Eine Voraussetzung gebe es allerdings, um überhaupt sprechen zu können, betonte Obama - und spielte dabei am deutlichsten auf das oft fragwürdige Verhalten Trumps an: "Man muss an Fakten glauben. Ohne Fakten gibt es keine Basis für Kooperation", stellte er unter großem Jubel der Zuhörer klar. Und legte dann noch eins drauf: "Die Leute erfinden einfach Zeugs", sagte er. Politiker hätten ja schon immer gelogen, doch früher hätten sie sich zumindest geschämt, wenn sie erwischt worden seien. "Jetzt lügen sie einfach weiter."

Die Weigerung, Recht und Fakten anzuerkennen, das alles schade der Demokratie. Derzeit sehe es so aus, als habe Stammesdenken gesiegt und der starke Mann. Doch mit Blick auf Nelson Mandela und sein Schicksal solle man sich daran erinnern, dass die Menschen schon tiefere Täler durchquert hätten, sagte Obama. Und in 100 Jahren sollten die Menschen über die Verteidiger der Demokratie sagen: "Sie sind weitermarschiert."

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