Ex-Umweltminister Klaus Töpfer:"Politik braucht Kraft zum Umfallen"

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Er ist der oberste Weise der neuen Atom-Skeptikerin Angela Merkel: Ex-Umweltminister Klaus Töpfer hat nie einen Hehl aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber Kernenergie gemacht. Nun steht er an der Spitze eines Ethikrats, der die Kanzlerin zur künftigen Nutzung von Atomkraft beraten soll. Der CDU-Politiker über unverantwortliche Politik - und einen möglichen deutschen Sonderweg.

Paul Katzenberger und Kathrin Haimerl

Klaus Töpfer, ehemaliger Umweltminister und früherer Chef des UN-Umweltprogramms UNEP ist einer der profiliertesten deutschen Umweltpolitiker. Ein Jahr nach der Katastrophe von Tschernobyl wurde er Bundesumweltminister und machte klar, dass er keine Zukunft für die Kernkraft sieht. Im vergangenen Jahr warnte er vor einer Verlängerung der AKW-Laufzeiten in Deutschland. Nun hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel den 72-jährigen Atomkritiker als Vorsitzenden eines "Rats der Weisen" geholt. Der soll die Regierung künftig bei der Entscheidung über die Nutzung von Atomkraft in gesellschaftlichen und ethischen Fragen beraten.

Oberster Atom-Weiser der Kanzlerin: der ehemalige CDU-Umweltmininister Klaus Töpfer. (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Töpfer, Sie stehen an der Spitze der neuen Ethikkommission, die im Auftrag der Bundeskanzlerin den gesellschaftlichen Konsens in der Atomfrage voranbringen soll. Wie könnte ein solcher Konsens aussehen?

Klaus Töpfer: Die Mitglieder der Kommission wurden erst am Dienstag benannt. So gab es bisher verständlicherweise noch keine Sitzung und Erörterung über die Herausforderungen, denen sich die Kommission gegenübersieht. In dieser Situation wäre es gänzlich unangebracht, bereits über das Ergebnis dieser Arbeit zu berichten oder zu spekulieren.

sueddeutsche.de: Angela Merkel sagt, im Lichte der Situation in Fukushima müsste eine Vielzahl von Fragestellungen im Lichte von Japan "gegebenenfalls neu bewertet werden". Wäre der Plenarsaal des Bundestags nicht der bessere Ort für diese Debatte?

Töpfer: Der Plenarsaal des Bundestages ist und bleibt der richtige Ort für die Entscheidungen über die energiepolitische Zukunft Deutschlands. Die Arbeit der neuen Kommission, in der ich als Ko-Vorsitzender arbeiten darf, wird diese Priorität sicher nicht in Frage stellen.

sueddeutsche.de: Wie oft wird sich dieser "Rat der Weisen" treffen? Werden die Sitzungen öffentlich sein, wie dies bei der Schlichtung zu Stuttgart 21 der Fall war?

Töpfer: Noch einmal möchte ich darauf hinweisen, dass diese Kommission erst kürzlich benannt worden ist. Es wird sicherlich eine der prioritären Aufgaben sein, die Arbeitsweise hinsichtlich der Zahl der Sitzungen oder anderer Vorgehensweisen zu erörtern. Wichtig ist aber bereits jetzt, darauf hinzuweisen, dass es sich nach meiner Überzeugung nicht um ein Schlichtungsverfahren handelt.

sueddeutsche.de: Was steht am Ende der Arbeit des "Rates der Weisen"?

Töpfer: Die Bundesregierung hat ein Moratorium für drei Monate beschlossen. Insgesamt acht ältere Kernkraftwerke sind vom Netz genommen. Am Ende dieses Moratoriums wird die Kommission ihre Vorstellung für die Zukunft der Kernenergie in Deutschland und der Energiepolitik insgesamt der Bundesregierung vorlegen. Dies ist meine Erwartung an die Arbeit dieses Rates.

sueddeutsche.de: Mit Reaktorunfällen kennen Sie sich aus. Ein Jahr nach der Havarie von Tschernobyl wurden Sie 1987 zum Umweltminister mit Zuständigkeit für die Reaktorsicherheit ernannt. Hätten Sie gedacht, dass Sie noch einmal Zeuge eines Unfalls von der Dimension Tschernobyls werden würden?

Klaus Töpfer: Es war mir zumindest sehr klar, dass alles getan werden muss, dass wir eine Zukunft ohne Kernenergie erfinden und von dieser Technik nicht mehr abhängig sind. Denn eines hat sich jetzt gezeigt: Es sind Gefährdungen mit dieser Technik nicht auszuschließen, die man bei der Auslegung der Sicherheitsanforderungen nie bedenken konnte.

sueddeutsche.de: Waren Sie bereits als Umweltminister dieser Auffassung?

Töpfer: Ich habe in der damaligen Zeit, als ich Umweltminister wurde, in einem Interview gesagt: "Wir müssen alles daran setzen, eine Zukunft ohne Kernenergie zu erfinden." Wir sind auf diesem Gebiet ja auch ein gutes Stück vorangekommen und deswegen nicht mehr so alternativlos wie wir es damals nach Tschernobyl gewesen sind.

sueddeutsche.de: Fühlen Sie sich jetzt also bestätigt in Ihrer Haltung?

Töpfer: Man sollte sehr vorsichtig in dem Urteil sein, dass man durch spätere Ereignisse in seiner vorherigen Haltung bestätigt wird. Es zeigt sich allerdings in der unglaublichen Dramatik der Ereignisse in Japan, dass wir im Umgang mit den sehr komplexen Technologien, mit denen wir uns in dieser Welt zunehmend konfrontiert sehen, sehr viel bewusster mit dem sogenannten Restrisiko auseinandersetzen müssen.

sueddeutsche.de: Sie meinen, der Begriff "Restrisiko" beschreibt etwas, was so gar nicht existiert? Verniedlicht er eine Gefahr, die tatsächlich viel größer ist?

Anti-AKW-Protest vor dem Atomkraftwerk Biblis: "In Deutschland herrscht gesellschaftlicher Konsens , dass die Kernenergie keine Zukunftstechnologie ist." (Foto: dapd)

Töpfer: Wenn man in der Nutzung dieser Technologie durch die Ereignisse in Japan erneut bestätigt bekommt, dass es nicht bedachte Ereignisse gibt mit enormen Schadensfolgen - dann ist alles daran zu setzen, dass man sich aus diesen Technologien baldmöglichst herauslöst. Das gilt besonders dann, wenn die Konsequenzen eines nicht bedachten katastrophalen Ereignisses - eines Restrisikos also -, gar nicht mehr beherrscht werden können und nicht nur massive negative Auswirkungen haben, für die Menschen die dort und jetzt leben, sondern zeitlich und räumlich weit darüber hinaus greift. Es ist eine grundsätzliche Fragestellung, die mich immer verfolgt hat: Wie können wir mit modernen Technologien in einer offenen Demokratie umgehen? Die Relevanz dieser Frage sehen wir jetzt wieder in ganz besonderer Weise bestätigt.

sueddeutsche.de: Aber auch der Klimawandel birgt unabsehbare Risiken. Der Chef der Internationalen Energieagentur in Paris, Nobuo Tanaka, hat kurz nach dem Unglück von Fukushima gesagt, er halte die Atomenergie nach wie vor für notwendig, um dem Treibhauseffekt Einhalt zu gebieten. Sie haben immer wieder auf die Gefahren der Erderwärmung hingewiesen. Stimmen Sie der Einschätzung Tanakas zu?

Töpfer: Ich stimme dem nicht zu. Die Aussage Tanakas zeigt uns aber, dass die Reaktion auf das Drama der havarierten Kernkraftwerke in Japan in vielen Teilen der Welt sehr unterschiedlich zu der Realität in Deutschland ist.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie?

Töpfer: Deutschland ist unter den hochentwickelten Ländern, die mit Kernenergie arbeiten, wohl das einzige, in dem es einen gesellschaftlichen Konsens über alle Parteien hinweg gibt, dass die Kernenergie keine Zukunftstechnologie ist. Dass die Kernenergie eine Technologie ist, die zu einem Ende geführt werden muss. Das sieht man so nicht in China, das sieht man so nicht in Indien, nicht in Russland, nicht in Frankreich. Überall geht man davon aus, dass die Kernenergie eine Zukunftstechnik ist.

sueddeutsche.de: Richtig. Bei uns wird von einer "Brückentechnik" gesprochen. Was das genau heißt, darüber wird dann trefflich gestritten.

Töpfer: Es trifft zu, dass man sich innenpolitisch massiv darüber auseinandersetzt, wie lange die Kernenergie noch genutzt werden muss, wie lange diese "Brücke" sein muss, bevor eine Energieversorgung allein mit erneuerbaren Energien realisiert werden kann: Ist dieses Ziel in zehn Jahren zu erreichen, wie das im alten Ausstiegsbeschluss der Fall ist, oder braucht man dafür längere Zeit, wie es die schwarz-gelbe Regierungskoalition beschlossen hat. Doch das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich alle politischen Parteien einig sind: Es handelt sich um eine Technik, die baldmöglichst zu einem Ende kommen muss. Es ist dann nur rational festzustellen, diese "Brücke" so kurz wie möglich zu machen. Und es ist ebenso richtig darüber nachzudenken, welche Rolle andere Energien und Energieeffizienzmaßnahmen zum Bau dieser Brücke spielen können, die an die Stelle der Kernenergie treten.

sueddeutsche.de: Aber was ist, wenn diese Brückenelemente den Klimawandel forcieren?

Töpfer: Es ist die Herausforderung, diesen Übergang ohne negative Auswirkungen auf den Klimawandel zu bewältigen. Dies ist durchaus möglich. So hat sich gerade in der jüngeren Vergangenheit die Situation bei den verfügbaren Erdgasressourcen durch die Nutzung von Schiefergas vornehmlich in den USA grundsätzlich geändert. In der Kette der fossilen Energien ist Erdgas mit Abstand der günstigste Energieträger mit Blick auf die Klimawirksamkeit.

sueddeutsche.de: Was heißt das konkret?

Töpfer: Viele weitere technologische Entwicklungen sind voranzutreiben. Zum Beispiel: Das Wissen, wie CO2 als Rohstoff verwertet und damit der Kohlenstoffkreislauf geschlossen werden kann, hat sich deutlich entwickelt. Vor gut einem Monat war ich in Leverkusen bei Bayer anlässlich der Inbetriebnahme einer Anlage, in der CO2 aus der Kohleverstromung für chemische Prozesse zur Herstellung von Polyurethanen genutzt wird. Andere arbeiten daran, die künstliche Photosynthese weiterzuentwickeln. Die Natur zeigt uns, dass CO2 ein unverzichtbarer Wachstumsbestandteil ist. Andere Arbeiten an dem Projekt, über solarthermische Kraftwerke, Sonnenenergie aus den Maghreb-Staaten zu importieren und damit auch einen dringend notwendigen Entwicklungsimpuls in diesen Staaten auszulösen. Das heißt, es gibt nicht nur Visionen, sondern auch veränderte Realitäten.

sueddeutsche.de: Die Gegner des deutschen Atomausstiegs argumentieren, dass das Abschalten hiesiger Meiler selbst unter Sicherheitsaspekten keinen Sinn macht. Statt sicherer deutscher Atomkraftwerke würden uns dann eben unsichere AKW aus Osteuropa den Strom liefern, lautet das Argument. Ist diese Sicht der Dinge völlig von der Hand zu weisen?

Töpfer: Es ist ohne Zweifel notwendig, über eine Einbindung Deutschlands in die europäische und die darüber hinausreichende Energieversorgung nachzudenken. Das bedeutet aber auch, dass wir uns selbst nicht in die Tasche lügen. Es muss somit eine alternative Energieversorgung bei uns gewährleistet werden, die belegt, dass auch ohne Kernenergie eine stabile und exportorientierte Volkswirtschaft möglich ist.

sueddeutsche.de: Deutschland als gutes Beispiel für den Rest der Welt?

Töpfer: Es gilt zu belegen, dass die Kernenergie keineswegs die Grundvoraussetzung für eine stabile wirtschaftliche Entwicklung ist.

sueddeutsche.de: Ist das Atommoratorium der Bundesregierung als Reaktion auf die Katastrophe von Fukushima inhaltlich überhaupt nachvollziehbar, schließlich korreliert die Erdbebengefahr in Japan nicht mit der in Deutschland?

Töpfer: Es ist eines der im Allgemeinen vorgenommenen Erklärungsmuster, zu sagen: Das, was dort passiert ist, kann bei uns denklogisch nicht eintreten. Wir haben keine Tsunamigefahr. Und die gleiche Erdbebengefahr wie in Japan haben wir sicherlich auch nicht.

sueddeutsche.de: Das trifft ja zweifellos auch zu.

Töpfer: Das ist aber nur eine sehr kurze Argumentationskette. So wie in Japan diese Probleme da sind, kann man in anderen Regionen oder in anderen gesellschaftlichen Strukturen oder bei anderen Rahmenbedingungen gänzlich andere Risiken haben.

sueddeutsche.de: Was heißt das für uns?

Töpfer: Auch Tschernobyl lag nicht am Meer. Dort ist nicht ein Tsunami oder ein Erdbeben ursächlich gewesen. In Harrisburg war es desgleichen nicht. Es kann immer wieder andere Ursachen, bisher nicht bedachte oder nicht vorstellbare Ereignisabläufe geben, einen Flugzeugabsturz etwa oder terroristische Angriffe. Nur darauf hinzuweisen, dass in Japan eine andere Fallgestaltung vorlag, bringt keineswegs eine hinreichende Begründung dafür, zu sagen: Deswegen brauchen wir hier nichts zu tun.

sueddeutsche.de: Handelt die Kanzlerin womöglich als Getriebene? Es stehen ja immerhin wichtige Landtagswahlen an.

Töpfer: Es kann nicht sein, dass eine notwendige Neubewertung von Risiken in Kenntnis neuer Fakten nur deswegen nicht durchgeführt wird, weil man besorgt ist, das politische Gesicht zu verlieren. Wenn sich Dinge so grundsätzlich neu darstellen, ist es eine Pflicht und eine Schuldigkeit der Politik, entsprechend zu handeln. Selbst dann, wenn dieses Handeln als ein Umfallen oder als ein Beleg für Fehler in der Vergangenheit angesehen wird. Wer diese Kraft nicht hat, der macht ganz sicherlich eine unverantwortliche Politik.

sueddeutsche.de: Erweist sich die von Rot-Grün vor Jahren vorgegebene Richtung im Nachhinein als richtig?

Töpfer: Es ist gut und richtig, dass man innehält und die neuen Erkenntnisse sehr genau untersucht und darauf aufbauend handelt. Dieses Vorgehen hat die europäische Gemeinschaft insgesamt beschlossen, dies hat Präsident Obama auch für die USA angekündigt, so auch China. Es ist richtig, dass Deutschland einen Schritt darüber hinaus macht und nicht sich dahinter zurückzieht, nur das zu machen, was auch alle anderen tun. Deutschland ist ein technologisch führendes Land und eine starke Volkswirtschaft. Die Bevölkerung erwartet zu Recht, dass die Politik handelt, damit Zukunft sicher gestaltet werden kann.

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