Ex-SklaveYahya ould Brahim:"Ich dachte, Wegrennen wäre Sünde"

Yahya ould Brahim hat Mauretanien verlassen, um der Strafe seiner Sklavenhalter zu entgehen. Er durchlitt das Elend der Bootsflüchtlinge und schlug sich bis Paris durch. Erst dort verstand er, dass niemand das Recht hat, einen anderen Menschen zu besitzen.

Frederik Obermaier und Niklas Schenck

Vor einer Woche ist Yahya ould Brahims Hoffnung zusammengestürzt. Da hängten sie bei der Ausländerbehörde Listen aus, wer Asyl bekommen hat. Sein Antrag war wieder nicht erfolgreich, jetzt wirken die Wohntürme in seiner Pariser Vorstadt noch erdrückender. Unten am Eingang lungern Jugendliche, sie kiffen und hören Rap und grüßen ihn respektvoll. Im Aufzug schlägt er mit einer Faust an die Wand, beißt sich auf die Lippen. Er hatte sich das alles leichter vorgestellt, wenn er erst in Paris wäre.

Yahya ould Brahim Ex-Sklave Paris

Einst Eigentum eines Herren, nun gestrandet in Paris: geflohener Leibeigener Yahya ould Brahim.

(Foto: Niklas Schenck)

"In den Jahren nach meiner Flucht habe ich mich am meisten vor dieser Frage gefürchtet: 'Wem gehörst Du?' Hätte mich jemand das gefragt, ich wäre sofort eingeknickt. Einmal fragte ein Mann, der mich in der Hauptstadt Nouakchott als Wasserträger bezahlte, ob ich ein Sklave gewesen sei. Ich schwieg, alarmiert.

Er bot an, mir Aktivisten vorzustellen, aber ich dachte, dass es verboten sei wegzurennen, dass ich gesündigt hätte und dass ich jetzt bestraft würde. Erst viel später, in Paris, habe ich begriffen, dass niemand einen Sklaven besitzen darf, auch nicht in Mauretanien. So aber bin ich in derselben Nacht wieder abgehauen. Ich habe mich an der Küste nach Norden durchgeschlagen, bis Nouadhibou. Nach drei Jahre hatte ich genug gespart und stieg in ein winziges Fischerboot, die brachten Leute nach Europa oder erlösten sie vom Leben.

Vier Tage trieben wir in diesem lächerlichen Kahn auf dem Atlantik, aber alles war besser, als entdeckt zu werden, als zurück zu müssen zu meinen Besitzern. Wir aßen trockene Kekse und Reis und tranken Milch, die in der Sœonne längst schlecht geworden war. Zwei meiner Mitfahrer stürzten vor Erschöpfung über Bord und ertranken, ich weiß nicht einmal wie sie hießen. Wir erreichten die spanische Küste und ich schlug mich bis Paris durch, an meinem ersten Tag hat es geschneit, das war im Dezember 2003.

Vieles in Paris habe ich nicht verstanden. So hat mich anfangs verblüfft, dass wir jeden Tag genug zu essen bekamen. Als ich noch in Selibaby war, als Sklave, da war das anders. Die Frau meines Besitzers nahm mir oft meinen Teller weg und sagte, dass es jetzt genug für mich sei. Einmal schrie sie: 'Wenn Du einen Sklaven gut fütterst, wird er stark und aufmüpfig.' Ich war immer schwach.

Selibaby liegt im Süden von Mauretanien, der Senegalfluss ist nicht weit, hier wachsen ein paar Dornbüsche in der Wüste. Ich war Ziegenhirte, seit ich denken kann, auf 50 Tiere musste ich aufpassen, sie gehörten Ould Lemine - wie ich, ich gehörte ihm auch. Abends musste ich Holz holen und Wasser, ich musste Tee kochen, das Essen zubereiten.

"Meine Eigentümer waren selbst arm wie viele Sklavenhalter"

Oft blieb nichts mehr übrig, wenn meine Besitzer gegessen hatten, denn sie waren selbst arm, wie viele Sklavenhalter übrigens. An solchen Abenden blieb mir nur, eine Ziege zu melken und auf den nächsten Morgen zu warten.

Yahya ould Brahim Ex-Sklave Paris

Trotz all seiner Traumata sagt Yahya ould Brahim: Ich habe Glück gehabt.

(Foto: Niklas Schenk)

Einmal hatte ich Ould Lemine gefragt, ob ich meine Mutter besuchen dürfe, denn sie war krank. Er verbot es, und kurz darauf verlor ich ein paar Ziegen. Er war sicher, ich hätte sie verkauft, um mit dem Geld abzuhauen. Er hat mir gedroht, die Strafe würde schrecklich, wenn ich ohne die Ziegen wiederkäme. Ich suchte sie die ganze Nacht, dann lief ich fort. Das war vor 13 Jahren, und solange ich kein Asyl habe, fühle ich mich, als ginge meine Flucht immer weiter. Trotzdem hatte ich Glück.

Ein reicher Franzose kümmert sich um mich, er hilft mir, ein paar Euro zu verdienen, ich habe eine winzige Wohnung. Meine Frau und ich teilen sie mit Hugo, einem Flüchtling aus dem Kongo. Manchmal habe ich das Gefühl, wir gehören nicht in diese Welt. Gestern erst hat Hugo eine Konservendose in die Mikrowelle gestellt und wollte sie erhitzen, da wäre fast die Küche in Flammen aufgegangen.

"Mit meinem Problem bin ich allein"

Ein Psychologe schrieb an die französischen Asylbehörden, dass ich an Schlafstörungen und Depressionen leide, an Persönlichkeitsverlust und Angstzuständen, und dass ich eine posttraumatische Belastungsstörung habe. Ich weiß nur, dass ich oft müde bin und noch öfter traurig. Irgendwann habe ich das nicht mehr ausgehalten und habe mich einem Freund anvertraut, aus Mali. Er hat mir sehr geholfen.

Er arrangierte die Hochzeit mit seiner Schwester, damit ich nicht so alleine bin. Sie heißt Medina und lebte damals noch in Italien. Sie kam nach Paris und wir haben uns kennengelernt, und eine Woche später haben wir geheiratet. Wir haben mit zehn Freunden zu Abend gegessen, später getanzt. In Mali hat ihre Familie eine traditionelle Zeremonie abgehalten, später haben sie uns ein Video geschickt.

Medina ist jetzt im vierten Monat schwanger. Ich hatte ihr vor der Hochzeit nicht erzählt, dass ich früher ein Sklave war. Als ihre Brüder und ihre Cousins davon erfuhren, hielten sie es für eine Schande. Es werfe ein schlechtes Licht auf die Familie. Aber Medina macht mir keine Vorwürfe.

Eben habe ich ihr ein Video bei Youtube gezeigt, einen Dokumentarfilm von 2008, darin werden Sklaven befreit in Mauretanien. Sie hat sich das eine Weile angesehen und ein paar Fragen gestellt, aber dann hat sie sich zum Fernseher gedreht und das Dschungelcamp wieder lauter gestellt. Ihre Nähe tut mir gut, aber mit meinem Problem bin ich allein."

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