Süddeutsche Zeitung

Ex-Geheimdienstler im Đureković-Prozess:Spione, Schüsse und schweigsame Herren

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Aus dem Gericht von Katja Riedel, München

Für den Zeugen Krunoslav P. steckt die Wahrheit in einer weißen Plastiktüte. Das Gericht verwahrt sie, der Vorsitzende Richter Manfred Dauster höchstselbst trägt sie nach jeder Prozesspause wie die Katze ihr Junges aus einem Hinterzimmer in den Saal, überreicht sie P., "Ihre Wundertüte", nennt er sie.

Hier hat der Zeuge P. alles aufbewahrt: Da wäre das Urteil, das ihn selbst 2008 lebenslang hinter Gitter gebracht hat, als Mörder des exilkroatischen Dissidenten Stjepan Đureković, der am 27. Juli 1982 in P.s Druckereiwerkstatt starb und der auch im Mittelpunkt jenes neuen Prozesses steht, in dem er nun Zeuge ist. In P.s Aktentüte soll auch ein 170 Seiten langes Schriftstück stecken, Krunoslav P. will damit Fehler in seinem eigenen Urteil nachweisen, die Wiederaufnahme erreichen.

Es geht um einen Mord in Wolfratshausen - und um viel mehr

Doch jetzt geht es um die vermeintliche Schuld der Hintermänner. Es ist ein höchst komplexer Fall, der vor 32 Jahren in einer Garage im oberbayerischen Wolfratshausen begann, und der zehn Jahre lang für politische Verwerfungen zwischen Deutschland und Kroatien sorgte. Bis zu diesem Frühjahr: Da musste das neue EU-Mitglied Kroatien die beiden ehemaligen jugoslawischen Geheimdienstchefs ausliefern, die der Staat lange davor geschützt hatte, in München auf der Anklagebank zu sitzen.

Denn die Bundesanwaltschaft wirft Josip Perković und seinem ehemaligen Chef Zdravko Mustač vor, den Mord an Stjepan Đureković in Auftrag gegeben zu haben - auf Geheiß eines Exekutivkommandos der Partei. Doch es geht nicht nur um den Mord in Wolfratshausen, es geht um viel mehr: Erstmals stehen damit die mutmaßlichen Hintermänner in der längsten ungeklärten Mordserie der Bundesrepublik vor Gericht, bei der etwa 30 Exilkroaten auf deutschem Boden gewaltsam starben: auf Geheiß Titos und seiner Nachfolger, von Ende der Sechziger- bis in die Achtzigerjahre.

Es ist eines von 13 Ermittlungsverfahren in der Serie. Doch für die Staatsschutzkammer des Münchner Oberlandesgerichtes wird es nicht einfach werden, den Angeklagten nachzuweisen, was die Bundesanwälte ihnen vorwerfen: Beihilfe zum Mord.

Seit zehn Verhandlungstagen sitzen die beiden ergrauten Herren in dunklen Anzügen schweigend im Saal, sie sprechen nur in den Pausen, während der Verhandlung sprechen sie weder zu den Vorwürfen noch zu ihrer Biografie. Während Mustač wie unbeteiligt im Raum umherblickt, macht sich Perković unablässig Notizen. Sein Gesicht bleibt meist ohne Regung.

Das Wiedersehen mit seinem einst fleißigen Agenten Krunoslav P. nimmt Perković reglos hin. Auch P. meidet es, die Augen des Mannes zu suchen, an den er mehrmals im Monat berichtete, was er über die Mitglieder der exilkroatischen Szene erfuhr.

Dem Zeugen P. kommt besondere Bedeutung zu in dem Dickicht aus Agenten und Doppelagenten, aus Bespitzelungen und Gegenbespitzelungen auf kroatischer und deutscher Seite. Er ist nur einer von mehreren dubiosen Zeugen, deren Glaubwürdigkeit die Verteidigung auszuhöhlen plant, wie sie schon vor Prozessbeginn ankündigte. Drei Verhandlungstage hat das Gericht für die Befragung des Mannes angesetzt, der Perković dem Urteil von 2008 zufolge bei einem Treffen einen Schlüssel für den späteren Tatort übergeben hat und das Opfer Đureković an den Tatort lockte.

Das Gericht kämpft mit vielen dubiosen Geschichten

Er hatte diesem ein Dokument in der dunkelsten Ecke der Werkstatt hinterlegt. Und genau dort warteten drei gedungene Mörder, die anders als P. nie vor einem Richter saßen - zwei der mutmaßlichen Mörder sind tot, einer lebt in Schweden, dort ist der Mord bereits verjährt. Von Schüssen durchsiebt und mit eingeschlagenem Schädel verblutete Stjepan Đureković im Eingang zu Krunoslav P.s Druckerei, wo er mehrere politisch brisante Bücher hatte drucken lassen.

Über dessen schriftstellerische Tätigkeiten hatte Krunoslav P. auch Geheimdienstchef Perković berichtet, der P. Anfang der Achtzigerjahre in dessen Wohnung im oberbayerischen Geretsried angeworben hatte, um die Mittagszeit, die Ehefrau hatte man in die Küche geschickt und das Radio laut gedreht. Fortan, so sagte es der Zeuge P. nun bei seinen Vernehmungen am Dienstag und Mittwoch, habe er Perković telefonisch und persönlich bei Treffen im Ausland über das Treiben der Exilkroaten-Szene berichtet.

Auch über den Neuen, dessen Namen P. zunächst nicht kannte, und der sich nach Lektüre eines Zeitungsartikels als der ehemalige Marketingmanager des jugoslawischen Erdölkonzerns INA namens Đurekovic entpuppte. Die Anklage glaubt, dass nicht die politische Überzeugung des späteren Opfers, sondern ein Schmiergeldskandal diesen nach Deutschland getrieben hatte. Denn in diesen Skandal soll auch der Sohn eines Ex-Präsidenten verwickelt gewesen sein. Von dem Politiker sei die Initiative ausgegangen, Đureković in Deutschland zu töten, glaubt die Bundesanwaltschaft.

Auch Đureković hat für mindestens einen Geheimdienst gearbeitet: den Bundesnachrichtendienst, der um dessen Leben fürchtete, wie aus einem Polizeivermerk hervorgeht. Es ist eine von vielen kuriosen Geschichten, mit denen das Gericht in diesem Prozess kämpft, der vor zehn Verhandlungstagen begonnen hat und für den mindestens 40 weitere angesetzt sind. Auch der Mann mit der Aktentüte muss wiederkommen.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2014
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