Um den Star der großen Koalition war es ruhig geworden. Seit der Wahlniederlage seiner SPD vor knapp einem Jahr sitzt Peer Steinbrück als normaler Abgeordneter im Bundestag.
Dabei hat der ehemalige Finanzminister, der in der großen Wirtschafts- und Finanzkrise als nervenstarker Polit-Manager Lorbeeren einheimste, viel geredet. Zwar nicht im Bundestag, dafür aber umso eifriger für Verbände, Vereinigungen und Unternehmen. Zum Beispiel für die Deutsche Bank, Union Investment Privatfonds, den Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V. und sogar die Volksbank Geest eG.
Insgesamt 29 Vorträge hat Steinbrück seit der Bundestagswahl gehalten. 29 Mal hat er dafür mindestens 7000 Euro erhalten. Nur einmal, bei einer Rede vor der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein, hat es Steinbrück billiger gemacht - da lag die Gage des SPD-Mannes zwischen 3500 und 7000 Euro.
Genauer müssen es die Abgeordneten nicht angeben. Steinbrück hat insgesamt also mindestens 199.500 Euro verdient. Vielleicht aber auch viel mehr. Sein Büro wollte zu den Finanzdaten auf Anfrage keine Stellung nehmen.In einem ARD-Film wurde der reisende SPD-Politiker als "Provinz-Al-Gore" verulkt.
Eine Rede im Bundestag als Oppositionspolitiker hat er unterdessen noch nicht gehalten. Das Internetportal abgeordnetenwatch.de hat recherchiert, dass Steinbrück 2010 in mindestens zwei Fällen Gastvorträge gehalten hat, als am gleichen Tag eine Bundestagssitzung in Berlin angesetzt war. Der Ex-Minister für Finanzen fehlte.
Da Steinbrück, 63, außerdem im Aufsichtsrat des Stahlkonzerns ThyssenKrupp AG sitzt (ein ebenfalls ordentlich dotierter Posten) und zudem an einem Buch arbeitet, werfen die Blogger dem Abgeordneten Steinbrück vor, sein Mandat zu vernachlässigen.
Und so sind Grundsatzfragen berührt: Was muss ein Bundestagsabgeordneter machen? Wie dient er den öffentlichen Aufgaben am besten? Wie geschäftstüchtig darf er sein? Und: Gelten für einen langjährigen, verdienten Minister die gleichen Maßstäbe wie für einen "normalen" Volksvertreter?
Die Beobachter vom Online-Portal sind jakobinisch rigoros, eine Linie, die Steinbrück in seiner Partei verachtet. "Es darf nicht sein, dass ein Abgeordneter bei Bundestagssitzungen und wichtigen Abstimmungen fehlt, gleichzeitig aber einer Vielzahl hoch bezahlter Nebentätigkeiten nachgeht und dafür seine volle Diät kassiert. Kein Arbeitgeber würde so ein Verhalten dulden", verbreitet Gregor Hackmack, einer der Mitbegründer von abgeordnetenwatch.de, per Pressemitteilung.
Nun ist Steinbrück, der früher auch Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen war, nicht der erste Parlamentarier, der die Früchte der verblassten Macht erntet. Von Helmut Kohl bis Joschka Fischer finden sich dafür Vorbilder in allen Parteien. Sie alle haben an Büchern gearbeitet und ihren Ruhm kapitalisiert, indem sie Anfragen für öffentliche Auftritte annahmen. Das ist ihr public life.
Dass Abgeordnete zeitweise nicht an Sitzungen teilnehmen und sogar Abstimmungen verpassen, gehört wiederum generell zum Alltag im Parlament, auch bei Hinterbänklern, die höchstens einmal im Sommerloch dank Bild-Interview die Bekanntheit politischer Eintagsfliegen genießen können.
Es gilt nun mal: Jeder gewählte Volksvertreter kann sein Mandat ausüben, wie er möchte. Klar, dass er auch nicht bei jeder Abstimmung anwesend sein kann oder muss. Schwingt nicht auch ein bisschen Neid mit beim Blick auf Steinbrücks Einkünfte?
Klar ist aber auch, dass Steinbrücks Engagement im Parlament in den kommenden Wochen kaum zunehmen wird. Im September erscheint sein Werk Unterm Strich, 480 Seiten stark und 23 Euro teuer. Das Garantiehonorar für prominente Autoren vom Range Steinbrücks wird in Branchenkreisen auf etwa eine Viertelmillion Euro veranschlagt.
Steinbrück wird wieder Titelseiten der Magazine zieren, er wird durch Talkshows tingeln und Interviews geben. Es wird fast so sein wie in der Zeit, als er in Nachtsitzungen Banken retten musste. Und wahrscheinlich wird abgeordnetenwatch.de wieder nachrechnen, was der Sozialdemokrat alles versäumt hat.
Unterm Strich aber wird sich das neue politische Leben für Peer Steinbrück lohnen.