Ex-Bundesminister Schmude über Kanzler Schmidt:Und die SPD mochte ihn doch

Ex-Bundesminister Schmude über Kanzler Schmidt: Bundeskanzler Schmidt am 1. Februar 1975 in Bonn. Eine Verlängerung seiner Regierungszeit hätte er gesundheitlich nicht durchgestanden, sagt Wegbegleiter Jürgen Schmude.

Bundeskanzler Schmidt am 1. Februar 1975 in Bonn. Eine Verlängerung seiner Regierungszeit hätte er gesundheitlich nicht durchgestanden, sagt Wegbegleiter Jürgen Schmude.

(Foto: AFP)

Wegbegleiter Jürgen Schmude schildert die Stimmung in der Partei, als Helmut Schmidt Kanzler wurde - und dessen gesundheitsgefährlichen Arbeitseifer.

Interview von Oliver Das Gupta

Während Helmut Schmidts Kanzlerschaft war Jürgen Schmude fast immer dabei - zunächst als Staatssekretär, später als Bildungs-, Justiz-. und Innenminister. Von 1985 bis 2003 amtierte Schmude als Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Vor dem Staatsakt für den verstorbenen Bundeskanzler sprach Schmude mit der SZ über Schmidts Führungsstil, sein Verhältnis zu Willy Brandt - und darüber, dass die SPD ihn doch mochte.

SZ: Herr Schmude, wann sind Sie das erste Mal Helmut Schmidt begegnet?

Jürgen Schmude: Meinen ersten Eindruck bekam ich als neues Mitglied der Fraktion nach der Bundestagswahl 1969. Schmidt war kurz davor, den Vorsitz abzugeben. Ich hatte gleich ein paar kritische Anregungen. Was er erwiderte, war knapp und nicht sehr einladend.

Fünf Jahre später wurden Sie Parlamentarischer Staatssekretär in seinem ersten Kabinett. Wussten Sie gleich, dass Schmidt Kanzler kann?

Schmidt hatte sich ja schon vorher großes Ansehen erworben, er galt als kompetenter, kluger und leistungsfähiger Politiker. Schmidt musste nicht zu seinem großen Vorgänger Willy Brandt aufschauen.

Hatten Sie Sorge, dass Schmidt bei den Wählern nicht so gut ankommt wie der charismatische Brandt?

Nein. Schon vorher sagten mir Bürger in Wahlkämpfen immer wieder, dass sie Brandt gut fänden, aber Schmidt eben auch.

Schmidt statt Brandt: Wie fand das die SPD?

Das fanden wir Sozialdemokraten schon richtig. Es lief ja unter Brandt nicht alles so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Die Zeit seit 1973 bis Anfang 1974 war für die SPD von allerlei Querelen und Wahlniederlagen geprägt.

Sie regierten mit Schmidt - mit einer kurzen Pause - dann als Bundesminister. Wie hat sich Schmidt in den sieben Jahren seiner Kanzlerschaft verändert?

Schmidts wesentliche Charakterzüge haben sich nicht verändert: Er strahlte Entschlossenheit, Disziplin und eine Tapferkeit aus, gegen Mehrheiten - mitunter auch gegen uns - anzutreten. Aber er ist sicherer und weiser geworden - und auch etwas gelassener.

Wenn er sicherer wirkte, war er im Umkehrschluss anfangs unsicher.

Die wiederkehrende Schärfe seiner Äußerungen kann man wohl als Zeichen der Selbstvergewisserung eines Mannes betrachten, der sich seiner Sache nicht ganz so sicher ist. Es ist ein gewisser Reifeprozess, wenn man lernt, diese Schärfe zurückzunehmen und gleichwohl in seiner Zielsetzung fest bleibt.

Stimmt es, dass Schmidt manchmal besser über die Arbeit der Ministerien informiert war, als die Fachminister?

Er war immer gut vorbereitet. Er hat Ministern aus deren Vorlagen Seiten vorgetragen, die diese selbst nicht kannten. Wer sich schlecht vorbereitet hatte auf die Kabinettssitzung und vielleicht noch ein bisschen flunkerte, konnte schon den Eindruck gewinnen: Der Schmidt ist autoritär.

Die letzten Wochen seiner Kanzlerschaft

Helmut Schmidt bei 100 Jahre Herbert Wehner

Der Kanzler und der Wegbegleiter: Helmut Schmidt und Jürgen Schmude (links) bei einem Fest zum 100. Geburtstag des sozialdemokratischen Vordenkers Herbert Wehner. Mit 79 Jahren ist Schmude deutlich jünger.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Wie reagierte Schmidt auf Widerspruch?

Maßvoll und gut vorbereitet ging das ganz gut. Dann war Schmidt ganz Aufmerksamkeit und ließ sich das erklären. Da war nichts von autoritär und niederbügeln. Allerdings kann ich mich an eine Begebenheit erinnern, wo er Landwirtschaftsminister Josef Ertl von der FDP so angegangen ist, dass wir Sozialdemokraten den Kanzler kritisiert haben. Aber das lief zwischen den beiden auf einer persönlichen Ebene ab, weil Schmidt den Ertl gerne mochte.

Schmidt war als junger Mann Soldat, der Zweite Weltkrieg hat tiefe Spuren bei ihm hinterlassen. Hat man das im Kabinett gemerkt?

Beim Stil und den Umgangsformen nicht, inhaltlich schon. Das wurde in seinen Bedenken und Ermahnungen immer wieder sichtbar. Schmidt machte klar, dass ein Krieg ­­ Scheußlichkeiten mit sich bringt, die man sich zuvor nicht ausmalen kann. Das hatte für ihn die Konsequenz, dieses Unglück, das er drastisch "diese Scheiße" nannte, soweit wie möglich von uns fernzuhalten.

Eine Konsequenz, für die er sich auch mit Diktatoren und kommunistischen Machthabern traf.

Dazu kann ich im Detail nichts berichten. Ich weiß nur, dass er für verantwortbar und für notwendig hielt, mit denen, die die Macht hatten, zu sprechen. Sich mit diesen Leuten zu verständigen, gehörte für ihn eben auch zur Friedenspolitik.

Im Herbst 1982 zerbrach die sozialliberale Koalition. Wie erlebten Sie Schmidt in den letzten Tagen und Wochen seiner Kanzlerschaft?

Besonnen, abgeklärt und entschlossen, Klarheit zu schaffen. Die FDP hatte den Koalitionsbruch provoziert, also hat er konsequent deren Minister entlassen. Schmidt wusste, was kommen wird.

War er traurig?

Nein, überhaupt nicht.

Wussten Sie, dass er unzählige Male während seiner Regierungszeit bewusstlos war?

Mir war damals nur bekannt, dass er einen Herzschrittmacher eingesetzt gekommen hatte. Allerdings denke ich, dass er eine Fortsetzung seiner Regierung nicht lange überlebt hätte. Er hat nämlich außerordentlich hart gearbeitet. Dass er bis spät in die Nacht am Schreibtisch saß, war keine Ausnahme. Einmal sagte er mir, da war es Mitternacht, dass es bei Adenauer eben eine andere Zeit gewesen sei, denn der habe sich gegen sechs oder halb sieben Uhr abends nach Hause fahren lassen.

Das wirft ein Schlaglicht darauf, wie viel die Kanzler nach Schmidt zu tun bekommen haben.

Das kommt wohl auch auf den individuellen Stil an. Kabinettssitzungen haben bei Schmidt etwa drei, notfalls auch mal sieben Stunden gedauert. Er war gründlich und ließ diskutieren. Bei Gerhard Schröder sollen die Sitzungen auch schon mal nach 30 Minuten beendet worden sein.

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