Süddeutsche Zeitung

Fischer über das Auswärtige Amt:"Eine ganz eigene Politik"

Joschka Fischer hat den Umgang des Auswärtigen Amtes mit seiner Nazi-Vergangenheit erneut kritisiert. Er sagte im Deutschlandfunk, bis heute gebe es Bestrebungen, die Geschichte zu beschönigen.

Harte Worte: Der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hat den Umgang des Auswärtigen Amtes (AA) mit der eigenen Nazi-Vergangenheit erneut kritisiert. Er sagte im Deutschlandfunk, bis heute gebe es Bestrebungen, die Geschichte zu beschönigen.

Viele AA-Mitarbeiter seien zwischen 1933 und 1945 "Teil des Verbrechens" gewesen, sagte Fischer. Er sei "überrascht und entsetzt" gewesen, "in welchem Umfang das geschehen ist". Aus einer Studie zur nationalsozialistischen Vergangenheit des Auswärtigen Amtes, die Historiker am Donnerstag veröffentlichen, werde "offensichtlich, dass das Auswärtige Amt Teil der Vernichtungsmaschinerie gegenüber dem europäischen Judentum war".

"Was mich am meisten erschüttert hat in diesen 800 Seiten, war der Satz, dass die Grenzen zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Reichssicherheitshauptamt, also der Zentrale des Verbrechens, fließend geworden sind", sagte Fischer dem Radiosender. Das Reichssicherheitshauptamt der SS habe das Auswärtige Amt in den besetzten Gebieten nicht zur Mittäterschaft gezwungen, "sondern es wurde Einvernehmen hergestellt". Diese Erkenntnisse bezeichnet der ehemalige Außenminister als "zutiefst deprimierend".

"Starke personelle Kontinuität"

Nach Ende des Krieges habe es zudem eine "starke personelle Kontinuität" gegeben. "Es waren eben im Wesentlichen junge Männer, die damals im diplomatischen Dienst waren und die unter Zuhilfenahme von Retuschen an ihren Biografien dann einen demokratischen Neuanfang gemacht haben", sagte Fischer. Der Hinweis auf die Vergangenheit werde da nicht gern gesehen: Es gebe den "Versuch, von bestimmten Dingen nichts mehr wissen und hören zu wollen".

Heftig kritisierte Fischer auch das Archiv des Auswärtigen Amts. Es werde hier versucht, eine "ganz eigene Politik" zu machen, kritisierte der Ex-Minister - etwa die Glaubwürdigkeit unbequemer Mitarbeiter zu attackieren oder Diplomaten mit Nazi-Vergangenheit "weißzuwaschen". Sein Fazit fällt ernüchternd aus: Die Politik des Auswärtigen Amtes zeige, "dass offensichtlich eine bestimmte Generation von Diplomaten - mögen sie noch so hoch sein - nicht sehr weit denken kann".

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