EVP-Klausur:Lernen von Sebastian Kurz
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Von Leila Al-Serori, München
Sebastian Kurz schüttelt den Kopf. Grenzkontrollen zwischen Bayern und Österreich, wie undenkbar das noch vor einigen Jahren gewesen sei. Doch jetzt seien sie notwendig, "weil wir die Außengrenzen nicht geschützt haben". Der österreichische Kanzler nutzte bei seinem Auftritt am Donnerstag auf der Klausur der Europäischen Volkspartei (EVP) in München das naheliegende Beispiel, um seine Agenda klarzumachen: "Kein Schutz der Außengrenzen, das ist der Anfang vom Ende des Europas ohne Grenzen nach innen." Die Menschen in der EU seien nicht mehr länger bereit zu warten, "wir müssen die Boote jetzt beim Ablegen hindern".
Kurz sprach aus, was viele der anwesenden EVP-Delegierten wohl denken, darauf deutete der laute Applaus hin. Am Vortag hatte Angela Merkel eine Grundsatzrede zur Zukunft der EU gehalten, auch sie stellte die Migrationspolitik ins Zentrum. Sie betonte die Gefahren, die drohen, wenn die Union in dieser Frage keine gemeinsame Antwort finde: "Dann werden die Grundfesten der EU infrage gestellt."
Die EVP, die im EU-Parlament die größte Fraktion stellt, will sich in ihrer dreitägigen Klausur in der bayerischen Landeshauptstadt für das kommende Jahr rüsten, die EU-Wahl steht im Mai an. Die Konservativen stellen seit Mariano Rajoys Absetzung als spanischer Ministerpräsident vergangene Woche einen Regierungschef in der EU weniger. In Brüssel besetzen sie viele der wichtigen Posten, vom EU-Kommissionspräsidenten über den Parlamentspräsidenten hin zum Ratspräsidenten. Damit das so bleibt, soll für den Wahlkampf eine gemeinsame Linie gefunden werden.
Gar nicht so einfach, schließlich gehören dem Verbund 75 christdemokratische und konservative Parteien aus ganz Europa an, darunter auch Viktor Orbáns rechtskonservative Fidesz, deren Mitgliedschaft in der EVP umstritten ist. Die niederländischen Christdemokraten drohten sogar kürzlich mit einer Suspendierung, weil die Fidesz in Ungarn Rechtsstaatlichkeit und Demokratie untergrabe. Vorherrschendes Thema war der Streit in München nicht, aber er macht deutlich, wie unterschiedlich die Parteien in der EVP sind - und wie schwierig ein einheitliches Vorgehen.
Kleinere Bruchlinien wurden auch bei Kurz und Merkel deutlich, auch wenn sie bei vielen Punkten nahe beieinanderliegen: Beide mahnten eine schnellere Handlungsfähigkeit der EU an und deklarierten die USA als unberechenbare Kraft, gegen die es sich zu behaupten gelte. Doch während der Österreicher, der in Wien mit der rechtspopulistischen FPÖ regiert, sich nicht davor scheute, in Migrationsfragen die Rhetorik seines Koalitionspartners zu kopieren, betonte die deutsche Kanzlerin, dass alles im Rahmen der Menschlichkeit geschehen müsse - und dass Abschottung alleine kein Allheilrezept gegen illegale Migration sei.
Zu welchem Weg jedoch die EVP tendiert, darauf deutete das überschwängliche Lob von Fraktionschef Manfred Weber hin: Die Kampagne von Kurz in Österreich im vergangenen Jahr sei "der Maßstab für unseren Wahlkampf", sagte Weber.
Dem EVP-Fraktionschef und Gastgeber Manfred Weber werden höhere Ambitionen nachgesagt
Die Reden von Merkel und Kurz bildeten die Höhepunkte der bis Freitag dauernden EVP-Tagung, bei der vieles unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Auch Merkel wollte ursprünglich hinter verschlossenen Türen zu den 200 Delegierten sprechen, stimmte dann aber doch einer Übertragung in den Presseraum zu. In der energischen Rede äußerte sie sich überraschend direkt und deutlich. Sie präzisierte die Vorschläge für die Zukunft Europas, die sie am Wochenende in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gemacht hatte. Bleibe die EU stehen, werde sie im globalen Gefüge zerrieben, warnte die CDU-Chefin. Die EU müsse sich wie ein globaler Akteur verhalten, die Nationalstaaten und die EU-Institutionen müssten enger zusammenarbeiten und dürften sich nicht blockieren. Die EU werde sonst nicht überleben können, appellierte Merkel. "Kein Land, auch nicht Deutschland, wird sich alleine gegen die USA oder China durchsetzen, das schaffen wir nur gemeinsam." Merkel zeigte sich außerdem offen für eine verkleinerte EU-Kommission und einen einzigen Tagungsort für das Europäische Parlament.
Derzeit tagen die Abgeordneten in Brüssel sowie eine Woche pro Monat in Straßburg.
Manfred Webers Ambitionen
Dass sich die EVP in München trifft, ist kein Zufall. Fraktionschef Weber will hier als CSU-Vize und Bayer sein Profil stärken. Seine Eröffnungsrede läutete er mit Bildern von Lederhosen und Neuschwanstein ein. Weber werden Ambitionen für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten nachgesagt und damit für die Spitzenkandidatur bei der Europawahl. Der EVP-Fraktionschef plädierte dafür, dass der Spitzenkandidat der siegreichen Fraktion auch EU-Kommissionspräsident wird - so wie zuletzt Jean-Claude Juncker.
Über die möglichen Kandidaturen will die EVP jedoch erst im Herbst in Helsinki entscheiden. Unter Klausurteilnehmern werden Weber gute Chancen eingeräumt, wenn ihm auch nicht überschwänglich viel Charisma zugebilligt wird. Der CSU-Politiker selbst hält sich auf Nachfrage bedeckt. Deutlicher wird er bei inhaltlichen Fragen. Man müsse die Ängste der Menschen ernst nehmen, sagte er und setzt damit auf das Dauerthema der Klausur: "Wir brauchen einen Grenzschutz mit aller Härte und Entschlossenheit."