Süddeutsche Zeitung

Evangelischer Kirchentag:Viele bunte Tiere in Gottes großem Zoo

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Die Konservativen bleiben bei der Debatte über die Homo-Ehe unter sich. Sie fürchten, mit ihren Lebensmodellen zur Randgruppe zu werden.

Von Matthias Drobinski, Stuttgart

Heiko Hanger ist ein gläubiger Mensch. Er geht gerne in die Kirche, er betet viel. Er wollte sogar katholischer Priester werden, doch da passierte es: Heiko verliebte sich - in Marius. "Wir wollten offen und ehrlich leben", sagt dieser Marius Kramer. Seit fünf Jahren sind sie jetzt Lebenspartner. Den Segen sprach damals ein befreundeter Theologe, das war schön und hat ihnen doch weh getan: Es zeigte allen, dass ihre Kirche diese Bindung für sündig und nicht segenswürdig hält.

"Dabei haben wir persönlich gar nichts gegen Lesben und Schwule."

Nun stehen die beiden in ihrem Schweiß auf dem "Markt der Möglichkeiten" in Halle 5 und werben für ihren ökumenischen lesbisch-schwulen Gottesdienst, den sie regelmäßig in Stuttgart feiern. Ein älterer Kirchentagsbesucher kommt vorbei, schaut, nimmt den Flyer mit, auf dem steht, wie zeit- und situationsgebunden jene Sätze in der Bibel sind, die Homosexualität verurteilen. "Da gibt es viel Informationsbedarf", sagt Marius Kramer. Scharfe Kritik oder gar Feindschaft habe er bis jetzt noch nicht erlebt, "die Kirchen ändern sich", sagt er. Die evangelische deutlich, die katholische vielleicht ein kleines bisschen.

Es heißt, der Evangelische Kirchentag streite über den Wert und den Status der Ehe und von Lebenspartnerschaften, jetzt, da ausgerechnet die frommen Iren für die "Ehe für alle" votiert haben und auch in Deutschland die Diskussion durchs Land geht, ob die eingetragene Lebenspartnerschaft der traditionellen Ehe gleichzustellen sei. Nur: Es gibt in Stuttgart eigentlich keinen Streit. Es gibt verschiedene Orte, wo Reformer und Traditionalisten ihre Sichtweisen vorbringen. Der Kirchentag bietet Raum für die verschiedenen Kosmen, das Regenbogenzentrum draußen in Wangen, das Gender-Zentrum in Fellbach. Ein eigenes Familienzentrum gibt es diesmal nicht, lediglich eine Reihe von Vorträgen und Podien. Die meisten Kirchentagsbesucher könnten gut mit der "Ehe für alle" leben, bei faktischer Wertschätzung der Ehe übrigens.

Wer jene sprechen will, die bei der Debatte das Unbehagen befällt und manchmal auch der Zorn erfasst, muss in die Porsche-Arena im Neckarpark gehen. Die pietistisch-konservativ orientierte "Lebendige Gemeinde" hat zum "Christustag" geladen, erstmals in Kooperation mit dem Kirchentag - sonst halten viele Pietisten wenig von dem Treffen des liberalen Protestantismus. Mehrere tausend Menschen füllen die Halle, die Posaunen blasen, Hilde Wagner fühlt sich hier zu Hause. "Wenn ich die Debatte über die Homo-Ehe verfolge, wird mir schlecht", sagt sie, "praktizierte Homosexualität ist gegen Gottes Gebot". Dann sagt sie noch, dass sie sich inzwischen als verheiratete Frau mit drei Kindern und ohne Karriere als Minderheit fühle, die ihre Existenz nicht einmal mehr zum Thema machen dürfe - "dann gelte ich als dumm und diskriminiere Homosexuelle".

"Dabei haben wir persönlich gar nichts gegen Schwule und Lesben", sagt Daniela Reichert. "Aber ich finde, Kinder brauchen einen Vater und eine Mutter". "Da sind die Gebote der Bibel lebensklug", sagt Günter, ihr Mann. Drei Kinder haben die beiden, die aus Hohenhaslach kommen, er hofft, dass auch sie einmal heiraten und Kinder bekommen - "vielleicht sind sie dann mit diesem Modell eine Minderheit", sagt er. Damit muss man dann halt umgehen lernen, in die rechte Ecke möchte er sich auf keinen Fall stellen lassen, weil er für die traditionelle Ehe ist. "In der Ewigkeit gelten andere Regeln als in der Welt", sagt einer der Redner in der Halle, Steffen Hartl, der Leiter des Gebetshauses Augsburg.

Kein Streit, nirgends? Draußen in Fellbach, im Gender-Zentrum, versuchen sie es wenigstens. Der Historiker Andreas Rödder aus Mainz kritisiert, dass in der Familiendebatte die Forderung nach Toleranz manchmal in Ideologie und neue Diskriminierung umschlage - zum Beispiel, wenn Müttern, die ihre Kinder nicht in eine Krippe geben, unterschwellig vorgehalten werde, sie seien schlechte Mütter. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau erklärt: Es müsse alles getan werden, "damit Menschen gestärkt werden können, um verlässlich, verbindlich, dauerhaft Verantwortung füreinander zu übernehmen". Dazu gehöre auch, "die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen". Auf dem Christustag gäbe es jetzt Buhrufe, hier ist der Applaus groß.

Auftritt Wommy Wonder, Travestiekünstler mit Turmfrisur und im Glitzerkleid ("war mal der Duschvorhang von Tebartz-van Elst") überm Kunstbusen. Sie sei ja für die Randgruppen hier eingeladen, doch das Bild von den Randgruppen komme aus der Zeit, "als man noch dachte, die Erde sei eine Scheibe, da musste man die Gruppen nur an den Rand schieben, dann fallen die runter". Dabei gebe es doch viele bunte Tiere in Gottes großem Zoo, und "die Schlange ist so viel wert wie der Elefant". Da waren sich alle einig: Die Debatte gehört abgerüstet - "entideologisiert", würde der Kirchenpräsident sagen.

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SZ vom 05.06.2015
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