Süddeutsche Zeitung

Evangelischer Kirchentag:Mit Gottvertrauen

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Zum Abschluss des Kirchentags fordert der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm die Christen auf, sich einzumischen.

Von Matthias Drobinski, Berlin/Wittenberg

Tausende meist junge Christen übernachteten im Schlafsack auf der Festwiese in Wittenberg, mehr als 100 000 Menschen feierten am Sonntag dort einen großen Gottesdienst - so endete der Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin und Wittenberg. Der anglikanische Erzbischof Thabo Makgoba aus Kapstadt in Südafrika rief die Gläubigen auf, radikal zu glauben und zu leben. "Ich habe einen Traum für die Welt: dass eines Tages, bald, dass aller Narzissmus, Nationalismus, Isolationismus unserer Zeit verschwindet", sagte der Nachfolger des Anti-Apartheid-Kämpfers Desmond Tutu. Heinrich Bedford-Strohm, der bayerische Landesbischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) rief die Christen auf, aktiv zu werden, sich dort einzumischen, "wo die Würde des Menschen bedroht ist und wo die Natur, die uns als Schöpfung Gottes anvertraut ist, zerstört wird". Katholiken und Protestanten sollten dies gemeinsam tun - auch das sei ein Zeichen im Reformationsjahr 2017.

Insgesamt blieben die Besucherzahlen beim Kirchentag, der den Auftakt für einen "Reformationssommer" 2017 mit zahlreichen Veranstaltungen bilden soll, hinter den hohen Erwartungen der Verantwortlichen zurück. EKD und Kirchentag hatten auf bis zu 200 000 Teilnehmer beim Abschlussgottesdienst in Wittenberg gehofft und 140 000 Dauerteilnehmer beim Kirchentag in Berlin erwartet; es meldeten sich jedoch nur 106 000 Dauergäste an; zusätzlich kamen insgesamt 30 000 Tagesteilnehmer. Auch die regionalen "Kirchentage auf dem Weg" blieben mit 40 000 Teilnehmenden hinter den erwarteten 80 000 zurück.

Kirchentagspräsidentin Christine Aus der Au führte dies auf die vielen regionalen Veranstaltungen zurück, die es in diesem Jahr deutschlandweit zum Reformationsjubiläum gebe - gerade viele engagierte Gemeindemitglieder seien da sehr eingespannt. Sie lobte die gute Stimmung, vor allem aber Helfer, Sicherheitskräfte und Polizisten. Der Kirchentag hatte unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen stattgefunden, es gab viele Absperrungen und Taschenkontrollen. "Aber wir haben uns nicht hinter Mauern zurückgezogen", betonte Aus der Au. In den Veranstaltungen sei Anspannung, aber auch "große Gelassenheit, Vertrauen, ja im besten Sinne Gottesvertrauen" zu spüren gewesen.

Am Samstag hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für die Rettung der Vernunft in der Politik und im Umgang miteinender plädiert. Er beklagte die Zunahme von Fake News, Hass und Hetze im Internet; "die Zersetzung der Vernunft" sei aber "der Anfang der Zersetzung der Demokratie". Gefühlte Wahrheiten drohten an die Stelle von überprüfbaren Fakten zu treten. Auch in Deutschland gebe es eine "zunehmend aggressive Aversion gegen Fakten" und eine verstärkte "Suche nach Sündenböcken". Es sei gefährlich, wenn eine berechtigte Suche nach Identität mit Abgrenzung und Verklärung des Eigenen einhergehe. Er aber werde die Hoffnung nicht aufgeben, dass man mit vernünftigen Themen Wahlen gewinnen könne. Die 5000 Zuhörer feierten am Ende der Rede Steinmeier mit minutenlangem Applaus im Stehen.

Der nächste Kirchentag wird 2019 in Dortmund stattfinden; Kirchentagspräsident ist der SZ-Journalist Hans Leyendecker.

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Quelle:
SZ vom 29.05.2017
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