Nürnberg:Kirchentag protestiert gegen verschärftes Asylrecht

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Olaf Scholz zu Gast beim Evangelischen Kirchentag. Er selbst ist getauft und konfirmiert, später aber aus der evangelischen Kirche ausgetreten. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Mit einer Resolution wendet sich der Kirchentag gegen den "Ausverkauf der Menschenrechte". Kanzler Scholz verteidigt die Reform. Oppositionsführer Merz sieht seine CDU als mitverantwortlich für die Entstehung der AfD.

Alle zwei Jahre findet er für fünf Tage statt: der Deutsche Evangelische Kirchentag. Dieses Jahr zum 38. Mal. Sonntag gibt es den Abschlussgottesdienst in Nürnberg. Die wichtigsten Ereignisse des Samstags im Überblick.

Kanzler: Brauchen solidarisches System der Flüchtlingsaufnahme

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat auf dem Kirchentag den Kompromiss der EU-Innenminister für eine EU-Asylrechtsreform verteidigt. "Es geht um Solidarität", sagte Scholz am Samstag. Die Verabredung sei, dass ein Solidaritäsmechanismus etabliert werde, in dem Staaten wie Deutschland Flüchtlinge aus den Grenzstaaten übernehmen, dort dafür aber alle registriert werden.

Dieser vereinbarte Mechanismus sei ein faireres Asylsystem als das heutige, ergänzte Scholz. Das jetzige System sei weder gut für die Schutzsuchenden, die sich auf gefährliche Routen begeben, noch für die beteiligten Länder. Gleichzeitig verteidigte Scholz die Pläne für Grenzverfahren, die dazu führen sollen, dass Menschen ohne Schutzberechtigung in der EU schnell wieder zurückgeschickt werden. Es brauche Regeln, um das Asylsystem zu schützen.

Er verwies auf eine große Solidarität, mit der die Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen worden seien. Aber es müsse auch klar sein: "Bleiben kann nur, wer dazu gute Gründe hat". Für seine Ausführungen erhielt Scholz sowohl Applaus wie Unmutsrufe in der mit rund 5 000 Menschen besetzten Frankenhalle.

Scholz verteidigte auch die Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie dienten dazu, dass sich die Ukraine gegen den russischen Angriff verteidigen könne. "Das kann und das soll sie ja", sagte er unter großem Applaus des Kirchentagspublikums. Einzelne riefen allerdings auch "Verhandlungen jetzt" von den Rängen.

Scholz entgegnete den Protestrufern, Verhandlungen seien "okay". Die Frage sei nur, mit wem und worüber. Nicht akzeptabel sei, dass die Ukraine darüber verhandeln solle, dass ein Teil ihres Territoriums einfach Russland werde, sagte Scholz.

Teilnehmende beschließen Resolution gegen EU-Asylreform

Die Unmutsrufe bei Scholz' Auftritt zur Asylreform sind nicht überraschend: Mit einer Resolution haben Teilnehmende Evangelischen Kirchentags gegen die geplante Verschärfung des EU-Asylrechts protestiert. Das Ganze geschah bei der Veranstaltung im "Zentrum Menschenrechte". Darin wenden sie sich gegen einen "Ausverkauf der Menschenrechte" und einen "Frontalangriff auf den Rechtsstaat und das Flüchtlingsrecht". Mit einem "fairen rechtsstaatlichen Vorgang" habe das nichts zu tun. Schutzsuchenden drohe ein "Horrorszenario" mit Inhaftierung in Lagern. Eine große Mehrheit der rund 500 Anwesenden stimmte für die Resolution. Allerdings gab es auch zweistellige Zahlen von Gegenstimmen und Enthaltungen.

Merz ist selbstkritisch beim Thema AfD

In der Debatte um das Erstarken der AfD sehen Unionspolitiker ihre Partei in der Mitverantwortung. CDU-Chef Friedrich Merz sagte mit Blick auf die Entstehung der Alternative für Deutschland (AfD), in der Demokratie sei nichts und niemand alternativlos. "Der Name dieser Partei war eine unmittelbare Reaktion auf dieses Wort, und darum haben wir eine hohe Mitverantwortung dafür, dass es so etwas gab", sagte Merz.

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte das Wort "alternativlos" geprägt. Die Gesellschaft für deutsche Sprache kürte es 2010 zum Unwort des Jahres.

De Maizière will Kirchentag umkrempeln

Der Präsident des Evangelischen Kirchentags, Thomas de Maizière, will das Großevent umkrempeln. Er kündigte eine neue Kirchentagsordnung an, eine neue Struktur und möglicherweise auch eine Verkleinerung. "Die ganze Gremienstruktur, das passt alles nicht mehr", sagte er und betonte, dass die Grundordnung des Kirchentages aus dem Jahr 1949 stamme.

Man müsse auch generell die Frage stellen, ob die aktuellen 2000 Veranstaltungen "nicht ein bisschen viel" seien. Das sei gerade vor dem Hintergrund der Frage wichtig, ob auch künftig noch so viele Ehrenamtliche bereit sind, beim Kirchentag mitzumachen. Bis zum Herbst sollen "Eckpunkte, Wegweiser" ausgearbeitet werden, sagte er. Dann solle auch eine neue Kirchentagsordnung verabschiedet werden.

Netzaktivistin: Verschwörungsideologien gefährden Zusammenleben

Katharina Nocun, Netzaktivistin und Publizistin aus Berlin, betrachtet Verschwörungsideologien als extrem gefährlich. "Die Leute glauben irgendwann, auch die Wissenschaft und Faktenchecker sind Teil der Verschwörung", sagte sie am Samstag bei einem Podium. "Das gefährdet das Zusammenleben auf ganz vielen Ebenen in einer Demokratie." Gleichzeitig könne das Schwarzweißdenken auch im sozialen Nahbereich viel Schaden anrichten.

Svenja Hardecker von der Fach- und Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen in Stuttgart plädierte dafür, den Kontakt zu Angehörigen oder Freunden, die solchen Ideologien anhängen, nach Möglichkeit zu halten. "Der persönliche Nahbereich ist die größte Chance, da wieder rauszukommen", sagte sie. Dabei solle man aber auf "Klarheit in der Sache und möglichst große Offenheit für die Person" achten, also eine inhaltliche Grenze zum Verschwörungsdenken ziehen. Ähnlich solle auch die Kirche handeln und sich aus den Beziehungen nicht herausziehen.

DBK-Chef Bätzing hadert mit Erzbistum Köln - und spricht über Missbrauchsfälle

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hadert nach eigenen Angaben zuweilen mit Zuständen im Erzbistum Köln. Von einem Kulturwandel sei "in Köln weit und breit nichts zu spüren" gewesen, sagte er. Bei der Aufarbeitung von Fällen sexuellen Missbrauchs habe das Erzbistum viele Aspekte vernachlässigt, kritisierte Bätzing. Er habe auch mehrfach mit dem konservativen Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, über dessen Umgang mit Vorwürfen gegen ihn persönlich gesprochen. Aber: "Es gibt Menschen, auf die man wie auf ein totes Pferd einreden kann" - ohne dass etwas passiere, sagte Bätzing.

Er könne verstehen, dass bei vielen der Eindruck entstehe, dass die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle nicht schnell genug vorankomme. Aber nun sei jedes einzelne Bistum dran. Die katholische Kirche habe zudem schon viel getan, um Missbrauchsfälle aufzuarbeiten; er wolle auch gar nicht von dem Skandal darum ablenken, betonte Bätzing. Aber er kritisierte auch die Politik: Diese habe "sich dieser Aufgabe bis heute nicht gestellt, das Thema Missbrauch als gesamtgesellschaftliches Thema anzunehmen".

Landesbischof Bedford-Strohm ruft zu hoffnungsvollerer Haltung auf

Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm beklagt eine weit verbreitete Zukunftsangst in der Gesellschaft. Viele Menschen meinten, dass "immer alles schlechter und nicht besser wird", sagte er. Die Frage nach dem Kommen des Reiches Gottes werde nicht mehr gestellt, sondern vielmehr die Apokalypse erwartet. Er rief die Zuhörerinnen und Zuhörer auf, wieder eine hoffnungsvolle Haltung zu finden und "Reich-Gottes-Menschen" zu werden.

Hoffnungsvolle Zeichen gebe es viele, sagte Bedford-Strohm, der auch Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) ist. Er erinnerte an die ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe im September 2022, bei der eine Resolution zum Ukrainekrieg sogar mit den Stimmen der russisch-orthodoxen Delegation einstimmig verabschiedet worden sei.

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