Evangelische Kirche:Worte, die beben

Die Lutherbibel soll wieder mehr nach Martin Luther klingen. Dafür haben sich rund 70 Experten etliche Male zusammengesetzt - und bringen den "Dämon" und den "Hurer" wieder zurück in die Schrift.

Von Matthias Drobinski

Der Hirsch muss nicht mehr lechzen, er darf wieder schreien: "Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir!", soll es künftig in Psalm 42 heißen. Und der Sturm auf dem See Genezareth, den Jesus stillte, wird wieder zum Beben werden. Schließlich schrieb auch Martin Luther vom Beben, das Jesu Jünger zu Tode ängstigte.

Als vor mehr als 30 Jahren Theologen, Sprach- und Altertumswissenschaftler die Lutherbibel neu übersetzten, wählten sie das Wort "Sturm" - es erschien ihnen verständlicher als das Beben. Sie störten sich auch an der Wortwiederholung "schreien" im hebräischen Urtext des Psalms. Und so lechzt in der 1984 erschienenen Ausgabe der Lutherbibel der Hirsch nach Wasser. "Das war ein Fehler", sagt Christoph Kähler, der ehemalige Thüringische Landesbischof. Er leitet eine Arbeitsgruppe, die zum Reformationsjubiläum 2017 die Revision der Revision herausbringen soll: Die Lutherbibel soll wieder nach Martin Luther klingen. Sie soll die Sprachkraft des Reformators vermitteln, der 1545 auf der Wartburg die Bibel ins Deutsche übertrug.

Vor fünf Jahren begann das Vorhaben als bescheidenes Projekt - die Arbeitsgruppe sollte im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) nur dort an der aktuellen Lutherbibel vornehmen, "wo sie zwingend geboten sind". Doch dann wuchs das Vorhaben: Die 70 Wissenschaftler berieten, stritten und tüftelten auf mehr als 40 Treffen. Nun, da der Text vorläufig fertig ist, gibt es ungefähr 15 000 Änderungen in den 36 000 Bibelversen, schätzt Kähler. Die neue Luther-Ausgabe ist eines der ehrgeizigsten Vorhaben des Reformationsgedenkens geworden, für Jahrzehnte wird sie die evangelischen Gottesdienste prägen und für Millionen Christen der Grundtext ihres Glaubens sein. Am 16. September wird der Text auf der Wartburg dem EKD-Vorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm überreicht. Die Debatte über die Worte und Wörter wird aber weitergehen bis zur Drucklegung 2016. "Unsere Faustregel ist: Wo immer es von der Verständlichkeit und vom Urtext her verantwortbar ist, kehren wir wieder zu Luther zurück", sagt Kähler.

Wer zu Prostituierten geht, soll wieder ein "Hurer" sein

Ungefähr ein Drittel der Änderungen betreffen die Sprachmelodie: Luther benutzte häufig Partikel wie "und", "dann" oder "nämlich"; moderne Übersetzungen haben sie gestrichen und Gottes Wort recht nüchtern daherkommen lassen. Nun soll der feierliche Sound des heiligen Textes wieder spürbar werden. Aus dem "bösen Geist" wird wieder der "Dämon" - und der Mann, der zur Prostituierten geht, ist wieder ein "Hurer".

Es geht aber auch um Inhalte: In der Offenbarung des Johannes war seit der Revision von 1956 von der "Synagoge des Satans" die Rede. Künftig geht es, nicht mehr judenfeindlich und doch näher an Luther, um die "Versammlung des Satans". Auch wird Paulus seine Gemeinde nicht mehr einfach nur mit "Brüder" anreden, sondern mit "Brüder und Schwestern": "Anders ist nicht mehr vermittelbar, was Paulus wollte", sagt Kähler.

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