Evangelische Kirche:Debatte über Krieg und Frieden

Evangelische Kirche: Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche, Landesbischof Friedrich Kramer, am Sonntag im Magdeburger Dom.

Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche, Landesbischof Friedrich Kramer, am Sonntag im Magdeburger Dom.

(Foto: Jens Schulze/Imago/EPD)

Russlands Angriff auf die Ukraine ist eine Zeitenwende, die auch viele Christen umtreibt. Die Evangelische Kirche in Deutschland will nun ihre friedensethischen Positionen überdenken.

Von Annette Zoch, Magdeburg

Im nördlichen Querhaus des Magdeburger Doms steht das "Denkmal des Krieges im Dom zu Magdeburg", 1929 geschaffen von Ernst Barlach zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Es zeigt Düsternis und Verzweiflung, Soldaten blicken ins Leere. "Ein zusammengedrängtes Häuflein Kämpfer über einem Gräberfeld", schrieb Barlach selbst. "Da sind Tote, Niedergebrochene und Standhaltende."

Der Magdeburger Dom ist die Bischofskirche von Friedrich Kramer, dem Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Magdeburg, daran erinnert Kramer an diesem Montag, sei zweimal im Krieg schwer zerstört worden, 1631 und 1945. Kramer, der als junger Mann in der DDR den Dienst in der Nationalen Volksarmee verweigerte und deshalb zu den Bausoldaten nach Rügen musste, ist seit Anfang des Jahres auch Friedensbeauftragter der EKD.

Wenige Minuten vom Magdeburger Dom entfernt tagt noch bis Mittwoch die 13. Synode der EKD, das oberste evangelische Kirchenparlament. Auf dem Programm stehen der Haushalt der EKD, die Neuordnung ihres Kammersystems, die Kirchenentwicklung - und der Frieden. Der russische Angriff auf die Ukraine zwingt auch die Kirchen, sich des Themas anzunehmen.

"Dem Bösen nicht mit Bösem begegnen"

Kramer, der Friedensbeauftragte, hat sich angesichts des Krieges in der Ukraine früh positioniert: Ja, die Ukraine führe nach dem kirchlichen Bild des "gerechten Friedens" einen legitimen Verteidigungskrieg. Zu Waffenlieferungen sagt Kramer dennoch Nein - zuletzt erst wieder im Eröffnungsgottesdienst der Synode am Sonntag. Er steht damit im offenen Dissens zu vielen Synodalen und leitenden Geistlichen, auch die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus hatte Waffenlieferungen für gerechtfertigt erklärt.

Kramers Vortrag auf der Versammlung in Magdeburg erntet denn auch nur verhaltenen Applaus. Er plädiert für eine Rückbesinnung auf das "gemeinsame Fundament" Jesus Christus: Auf der einen Seite stehe der Schutz des Nächsten und die Solidarität mit den Opfern, die christlich geboten sei. "Auf der anderen Seite der Ruf Jesu zu Gewaltlosigkeit und Feindesliebe und die Aufforderung, dem Bösen nicht mit Bösem zu begegnen", sagt Kramer und erklärt: "Wir kommen nicht schuldlos aus diesen Fragen heraus, weil der Krieg selbst das Böse ist. Es gibt keinen gerechten Krieg." Die dringende Frage sei, "wie wir aus dem ungerechten Krieg in einen gerechten Frieden kommen können".

Evangelische Kirche: Die Kirche dürfe sich vor der Frage der Abschreckung nicht drücken, sagt Generalmajor Ruprecht Horst von Butler im Plenum über die Friedensarbeit der EKD.

Die Kirche dürfe sich vor der Frage der Abschreckung nicht drücken, sagt Generalmajor Ruprecht Horst von Butler im Plenum über die Friedensarbeit der EKD.

(Foto: Jens Schulze/Imago/EPD)

Der "gerechte Friede" ist der Leitbegriff der evangelischen Friedensethik. Ihr zugrunde liegt eine EKD-Denkschrift, die zur Wahrung und Wiederherstellung des Rechts in engen Grenzen auch militärische Gewalt rechtfertigt. Allerdings stammt diese Denkschrift aus dem Jahr 2007. Es fragt sich, ob sie nach mehr als acht Monaten Krieg in der Ukraine, nach den Massakern von Butscha und Irpin, noch zeitgemäß ist? Eine sogenannte Friedenswerkstatt soll das Papier jetzt überarbeiten, kündigt Kramer an. Der Prozess ist auf drei Jahre angelegt.

Vor der EKD-Synode waren ungewöhnlich scharfe Töne ausgetauscht worden, sogar von "Ponyhof-Theologie" war die Rede. Kurschus und Kramer mahnten zur Mäßigung. Besonders bedenklich sei es, so Kramer, wenn versucht werde, unterschiedliche Perspektiven zu polarisieren: "Wenn etwa dem Andersdenkenden in unsachlicher Abkürzung gewissenloser Militarismus oder naiver Pazifismus vorgeworfen wird, ihm gar sein Christsein abgesprochen wird. So soll es bei uns in der Kirche nicht sein." Stattdessen solle die Kirche ein Vorbild dafür sein, wie Differenzen konstruktiv ausgetragen werden können.

Beten für die Befreiung von Cherson

Ein Beispiel dafür bot im Anschluss die respektvolle Diskussion über Kramers Äußerungen. Bundestagsvizepräsidentin und Synodalmitglied Katrin Göring-Eckardt (Grüne) sagte, es sei richtig und notwendig, dass die Kirche auf Verhandlungen für einen Frieden in der Ukraine bestehe. Aber die Grundlage dafür müsse sein, dass die Ukraine in ihrer geografischen und identitären Gesamtheit erhalten bleibe. Im Ukraine-Krieg gehe es Russland nicht nur um Okkupation. "Es geht um den Wunsch nach Vernichtung, der Ausrottung von Kultur, Sprache und Identität", so Göring-Eckardt.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hermann Gröhe forderte, auch die Kirche müsse ihren vergangenen Umgang mit Russland überdenken. Während seiner Zeit im Rat der EKD habe eine Delegation die mittlerweile verbotene Menschenrechtsorganisation Memorial besucht. Bei einer offiziellen Begegnung mit der russisch-orthodoxen Kirche habe über diesen Besuch dann aber nicht gesprochen werden dürfen. Zu Kramer sagte Gröhe, er könne die Friedensgebete des Friedensbeauftragten durchaus mitbeten. "Sie müssen aber aushalten, dass ich dem Friedensgebet das Gebet hinzufüge, dass die Befreiung von Cherson vor dem Winter gelingt."

Aus militärischer Sicht wandte sich Ruprecht Horst von Butler, Generalmajor der Bundeswehr, an die Versammlung. Die evangelische Kirche dürfe sich, wenn sie in der Mitte der Gesellschaft stehen wolle, auch vor der Frage der Abschreckung nicht drücken, sagte er und fragte: "Hätten wir diesen entsetzlichen Krieg, wenn die Ukraine vielleicht auch in einem Bündnis über die Möglichkeit einer Abschreckung verfügt hätte?"

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