Gershkovich-Prozess in Russland:Und niemand durfte zuhören

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Evan Gershkovich saß in dem Geheimprozess in Jekaterinburg im Glaskasten. Kein unabhängiger Beobachter konnte verfolgen, ob der Staatsanwalt irgendwelche Beweise vorlegte. (Foto: Dmitri Lovetsky/AP)

Evan Gershkovich ist Reporter aus den USA, die russische Justiz aber nennt ihn einen Spion – und verurteilt ihn zu 16 Jahren Straflager. Doch Putin hat schon angedeutet, dass er sich einen Deal vorstellen kann.

Von Silke Bigalke, Moskau

Am Ende ging alles ganz schnell, dem Richter in Jekaterinburg reichten zwei Sitzungen aus, um sich ein Bild zu machen. Bereits am dritten Prozesstag verurteilte er den Journalisten Evan Gershkovich zu 16 Jahren im Straflager, unter strengem Regime.

Nicht nur der Verurteilte selbst bestreitet die Spionage-Vorwürfe des russischen Geheimdienstes, der bislang keinerlei Beweise gegen ihn vorgelegt hat. Auch das Wall Street Journal, für das Gershkovich aus Russland berichtet hat, sowie die US-Regierung weisen die Anschuldigungen als frei erfunden zurück. Der Reporter sei nun „zu Unrecht zu 16 Jahren Haft in einem russischen Gefängnis verurteilt“ worden, schrieb die Zeitung kurz nach dem Richterspruch auf X. Das Außenministerium in Washington hat Evan Gershkovich längst als „zu Unrecht inhaftiert“ und damit als politischen Gefangenen eingestuft.

Der 32 Jahre alte Reporter war im März 2023 während einer Recherchereise in Jekaterinburg festgenommen worden. Er saß also bereits 15 Monate in Haft, bevor er im Juni 2024 offiziell angeklagt wurde. Die russische Generalstaatsanwaltschaft warf ihm vor, Informationen für die CIA gesammelt zu haben. Angeblich ging es dabei um die Tätigkeit des Rüstungsunternehmens „NPK Uralwagonsawod“, das militärische Ausrüstung herstellt und repariert.

Nur ein einziger Zeuge wurde vor dem Gerichtssaal gesichtet

Den Prozess in Jekaterinburg stufte Richter Andrej Minejew als geheim ein, wie in Spionagefällen üblich. Die Öffentlichkeit blieb also außen vor, auch Gershkovichs Verteidigerinnen durften nicht über das Verfahren sprechen. Kein Journalist, kein unabhängiger Beobachter konnten verfolgen, ob und, wenn ja, welche Beweise der Staatsanwalt vorlegte. Niemand hörte mögliche Zeugen, niemand hörte die Schlussplädoyers beider Seiten. Immer häufiger werden politisch motivierte Verfahren in Russland hinter verschlossenen Türen verhandelt, was Richter und Staatsanwälte davon befreit, einen fairen Prozess zumindest vorzutäuschen zu müssen.

In Gershkovichs Fall wurde überhaupt nur ein einziger Zeuge vor dem Gerichtssaal gesichtet, ein Abgeordneter aus der Region Swerdlowsk, den der US-Korrespondent während seiner Recherchereise interviewt hatte. Man weiß nicht einmal, welche Seite den Mann als Zeugen aufgerufen hatte. Kurz nach Gershkovichs Festnahme 2023 hatte der Abgeordnete einem lokalen Online-Medium in Jekaterinburg berichtet, Gershkovich habe ihn unter anderem nach der Unterstützung der Leute für die „Spezialoperation“ in der Ukraine gefragt – so muss der Krieg in Russland genannt werden – sowie nach der Umstellung der Industrie.

Der Kreml habe Journalismus praktisch zu einem Verbrechen gemacht, schrieb Wall-Street-Journal-Chefredakteurin Emma Tucker im Juni, kurz nach der Anklage. Bei diesem Prozess gehe es nicht um die Suche nach der Wahrheit, es gebe keine Unschuldsvermutung. Stattdessen würde der Prozess im geheimen geführt, keinerlei Beweise enthüllt. „Diese fingierte Anschuldigung der Spionage wird unweigerlich zu einer fingierten Verurteilung eines unschuldigen Mannes führen“, schrieb Tucker zu Prozessbeginn. Der Staatsanwalt forderte am Ende 18 Jahre Straflager.

US-Präsident Biden erinnert noch an einen zweiten Gefangenen

Erst zur Urteilsverkündung am Freitagnachmittag durften Reporter in den Saal. In sozialen Medien veröffentlichten sie kurze Videos von Evan Gershkovich im gläsernen Anklagekäfig, er hat die Hände in den Taschen, steht unruhig hinter dem Glas. Der Gerichtstermin in dieser Woche war eilig vorgezogen worden, die nächste Sitzung war eigentlich erst für Mitte August geplant gewesen. Laut russischen Medienberichten hatte die Verteidigung den früheren Termin beantragt. Warum plötzlich diese Eile?

Niemand hatte vor dem Prozess daran gezweifelt, dass Gershkovich verurteilt werden würde. Ein Urteil aber gilt auch als Voraussetzung für einen möglichen Gefangenenaustausch. Über den ist nicht nur in den amerikanischen Medien immer wieder spekuliert worden. Auch Wladimir Putin hatte diese Möglichkeit mehrfach angesprochen. Während eines Interviews im Februar deutete er an, Gershkovich könnte gegen einen Häftling ausgetauscht werden, dessen Namen Putin zwar nicht nannte, den man aber an Putins Beschreibung als Wadim Krasikow erkennen konnte. Der sitzt nur nicht in den USA, sondern in Deutschland wegen des sogenannten Tiergartenmordes im Gefängnis.

Zuletzt hat Russlands Außenminister Sergej Lawrow an diesem Mittwoch in New York über Evan Gershkovich gesprochen. Russland sitzt dort derzeit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor. Es gebe „unwiderlegbare Beweise“ für Gershkovichs Schuld, behauptete Lawrow, russische und US-amerikanische Geheimdienste seien wegen eines möglichen Austauschs in Kontakt. „Alle wissen sehr gut, dass dieses Thema nicht überstürzt werden sollte“, so Lawrow.

US-Präsident Joe Biden hatte sich im März zu dem Fall geäußert, als sich Gershkovichs Festnahme jährte: „Wir werden jeden Tag daran arbeiten, seine Freilassung zu erreichen“, schrieb er. Washington werde „Russlands abscheuliche Versuche, Amerikaner als Verhandlungsmasse zu nutzen“ weiterhin anprangern. Biden nannte neben Gershkovich einen weiteren inhaftierten Amerikaner namentlich: Paul Whelan. Der frühere US-Marine sitzt seit sechs Jahren im russischen Straflager, auch ihm wurde Spionage vorgeworfen. Alle Versuche, ihn freizubekommen, waren bisher vergebens.

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