Sanktionen gegen Russland:Europas Solidarität hängt an Gummi

Sanktionen gegen Russland: Von der Leyen lobte während der Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit Estlands bisherige Sanktionen der EU gegen Russland, während in Brüssel zähe Verhandlung über das nächste Paket stattfanden.

Von der Leyen lobte während der Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit Estlands bisherige Sanktionen der EU gegen Russland, während in Brüssel zähe Verhandlung über das nächste Paket stattfanden.

(Foto: Sergei Grits/AP)

Ursula von der Leyen findet am Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine große Worte. Das Ringen um ein neues Sanktionspaket gegen Putin in Brüssel hingegen ist eher kleinlich, bis es letztlich doch zu einer Einigung kommt.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Das Datum des russischen Überfalls auf die Ukraine fällt zusammen mit dem Unabhängigkeitstag von Estland. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nutzte diese Gelegenheit am Freitag, dem 24. Februar, um von Tallinn aus im Namen der Europäischen Union eine Botschaft an Wladimir Putin zu senden. "Statt die Europäische Union zu spalten, findet er uns vereint und entschlossen, der Ukraine beizustehen, solange es nötig ist", sagte sie. Besonders rühmte von der Leyen die Sanktionen, die die EU bislang gegen Russland verhängt hat. Sie würden die wirtschaftliche Basis Russlands zerstören.

Zur selben Zeit verhandelten Diplomaten aus den 27 Mitgliedsländern in Brüssel über das zehnte Sanktionspaket. Es sollte eigentlich an diesem Freitag in Kraft treten und ein Jahr nach Kriegsbeginn Ursula von der Leyens Worte mit Taten untermauern. Aber die Verhandlungen waren die Woche über ins Stocken geraten. Der Streitpunkt: Gummi.

Polen und Italien streiten um eine Ausnahmereglung

Das von der Kommission vorgeschlagene Paket sieht ein Importverbot für russischen Synthesekautschuk vor, der wie Naturkautschuk zum Beispiel für die Herstellung von Reifen verwendet wird. Der Wert der russischen Exporte wird für das Jahr 2021 auf 1,8 Milliarden Euro beziffert, 700 000 Euro kamen schätzungsweise aus Europa. Die Regierung Italiens, dessen Reifenproduzenten besonders abhängig von Importen aus Russland sind, verlangte eine Ausnahmeregelung, doch Polen verweigerte am Donnerstagabend die Zustimmung, denn in dieser Form sei das Importverbot wirkungslos. Andere Diplomaten vermuteten: Es geht Polen nur darum, die eigene Synthesekautschuk-Industrie zu fördern.

Am Freitagmorgen gab sich der polnische Vertreter so kompromisslos, dass sich die Diplomatenrunde in sehr schlechter Stimmung schnell wieder trennte. Verhandelt wurde danach auf Regierungsebene zwischen Warschau und Rom. Typisch EU, könnte man sagen, ein großer Basar. Die Verhandlungen zogen sich bis in den späten Freitagabend, bis man sich letztlich doch noch auf das Sanktionspaket einigen konnte - nach einem für die EU doch eher blamablen Ringen am Jahrestag des Kriegsbeginns.

Jenseits des Gummiparagrafen war das Paket bereits abgestimmt. Ausfuhrverbote im Wert von elf Milliarden Euro sollen der russischen Wirtschaft weitere wichtige Technologie und industrielle Güter entziehen. Es geht um Elektronik, Spezialfahrzeuge, Maschinenteile, Ersatzteile für Lkws und Triebwerke, Güter des Baugewerbes. Beschränkt wird den Plänen zufolge auch der Export von Bauteilen, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke genutzt werden können. Außerdem sollen mehr als hundert weitere Personen und Organisationen, die nach Meinung der EU Kriegspropaganda betreiben, mit Einreisesperren belegt, ihre Vermögen eingefroren werden.

Geeinigt haben sich die EU-Staaten darauf, gemeinsam verstärkt nach russischen Vermögen zu fahnden, die in Europa versteckt lagern und irgendwann für den Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden könnten. Ausführlich wurde darüber debattiert, wie sich die Umgehung von Sanktionen verhindern lässt. Russland kauft offenbar europäische Güter auf dem Umweg über Drittstaaten wie Kasachstan. Die EU will deshalb exportierende Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen, aber die Regeln dafür werden wohl erst in einem elften Sanktionspaket formuliert.

Russlands Wirtschaft hat die Sanktionen des Westens besser verkraftet als erwartet, auch Ölpreisembargo und Gaspreisdeckel konnten Putins Kriegsmaschinerie nicht stoppen. Vorrang hat deshalb jetzt die Militärhilfe für die Ukraine, auch darauf wies die Kommissionspräsidentin in Tallinn hin. Sie erwähnte Geschosse des Kalibers 155 Millimeter, das in fast alle Geschütze passt, die der Westen an die Ukraine liefert. Die ukrainische Armee braucht sie dringend, um sich in einem erbarmungslosen Stellungskrieg zu wehren. Von der Leyen versprach, die EU werde gemeinsam mit der Nato alles tun, um die Ukraine auf lange Sicht mit Waffen zu versorgen.

Der Weg zum Frieden führt über mehr Waffen, das ist die Logik, der sich die EU verschrieben hat. "Wir müssen der Ukraine weiterhin die Mittel geben, sich selbst zu verteidigen, bis Russland diesen Krieg beendet und die Ukraine verlässt", sagte die Kommissionspräsidentin. Wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der mit ihr nach Tallinn gereist war, gibt sie dem chinesischen "Friedensplan" kaum eine Chance. China habe bereits für Russland Partei ergriffen und sei deshalb kein glaubwürdiger Vermittler.

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