Süddeutsche Zeitung

Eurovision Song Contest in Aserbaidschan:Ein bisschen Sängerfrieden

Bald wird die europäische Musikbranche samt Fantross nach Aserbaidschan fliegen. Aber wer in Baku Schlager hören will, der muss auch die hässlichen Seiten des Regimes ertragen: Es gibt keine Medienfreiheit, politische Kritiker und Gegner werden gegängelt, von Demokratie kann keine Rede sein.

Frank Nienhuysen

Lange Zeit ist Berti Vogts ein sehr einsamer Fremdenverkehrsführer gewesen. Kommt doch mal nach Baku, warb der Fußball-Nationaltrainer von Aserbaidschan und schwärmte für die schöne Stadt am Kaspischen Meer. Aber es hörte kaum einer auf Vogts, außer dem ebenfalls deutschen Trainer Winnie Schäfer und Managern der Gas- und Ölindustrie.

Bald aber wird die europäische Musikbranche samt Fantross in den Kaukasusstaat fliegen. Der deutsche Schwarm gruppiert sich dabei um den jungen Sänger Roman Lob, der mit seinem Lied "Standing Still" jetzt als Vertreter der Bundesrepublik feststeht. Die allgemeine Euphorie ist im Vergleich zum Lena-Hype indes deutlich abgeschwächt, und wenig ausgeprägt wirkt sie auch mit Blick auf das Gastgeberland. Denn Aserbaidschan, das hat sich auch in der Musikszene herumgesprochen, ist nicht nur ein schönes Land, sondern auch ein autoritäres.

Anders als der Westen vor zwei Jahren den Vorsitz der OSZE in vollem Bewusstsein an das ebenfalls undemokratische Kasachstan übertrug, ist die Rolle des Ausrichters Aserbaidschan halb vom Himmel gefallen. Das aserbaidschanische Duo Ell&Nikki hat vor einem Jahr nun mal gewonnen, also ist Baku dran, so ist die Regel. Ein Problem ist das irgendwie trotzdem.

Die aserbaidschanische Führung will den Europäern natürlich ein glänzendes und offenes Land präsentieren, das ein solches Ereignis mühevoll ausrichten kann. Zugleich aber wird nun auch vieles ans Licht gezerrt, was bisher kaum jemanden in Europa interessiert hat, am wenigstens die Musikindustrie: Es gibt keine Medienfreiheit, politische Kritiker und Gegner werden gegängelt, von Demokratie kann keine Rede sein. Ja, und es werden auch Häuser niedergerissen und Tausende Menschen mussten ihre Wohnungen aufgeben, damit der Wettbewerb in einer bombastischen Halle stattfinden kann. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung wurde von einer aserbaidschanischen Zeitung sogar als "besoffen" bezeichnet, weil er die Freilassung politischer Gefangener forderte.

Ein Boykott des Sänger-Wettstreits hilft trotzdem wenig; wohl keinem Regimekritiker würde es danach besser gehen. Allerdings kann es auch nicht sein, dass ARD und die European Broadcasting Union immer weiter die Trennung von Musik und Politik beschwören. Sie sprechen von einer reinen Musikveranstaltung und lassen sie zur keim- und politikfreien Zone verkümmern. Musik ist aber nicht grundsätzlich apolitisch - siehe U2s "Sunday Bloody Sunday" oder Jimi Hendrix' "Star Spangled Banner".

Auch die Regierung in Baku wird die Sache nicht fein säuberlich trennen können - im Gegenteil will sie sich den Song Contest politisch zunutze machen. Da sollte der deutsche Sender wenigstens unverkrampft dagegenhalten: mit offener Kritik und mit ausführlichen Berichten über das geplante Gegenkonzert "Sing for Democracy".

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SZ vom 18.02.2012/beitz
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