Euroskeptiker in Großbritannien:Cameron jagt den Poltergeist

Nichts wie raus aus der EU! Das ist die politische Linie von britischen Euroskeptikern wie Nigel Farage. Dass Premier David Cameron eine Volksabstimmung darüber verspricht, ist für sie ein Triumph - und könnte gleichzeitig den Anfang ihres Abstiegs markieren.

Von Michael König

Nigel Farage vermisste die Brötchen mit Speck, sonst war er bester Laune. "Vergangene Woche hatten wir riesige Mengen hier", entschuldigte er sich bei den Journalisten und Kamerateams, die in sein Büro gekommen waren, um zu beobachten, wie der Vorsitzende der europakritischen Unabhängigkeitspartei UKIP eine Rede von David Cameron im Fernsehen verfolgt.

Dort, im Fernsehen, kündigte der Premierminister Großbritanniens an, seine Landsleute sollten nach der Wahl 2015, spätestens 2017 über den Austritt des Staates aus der EU abstimmen. Vorher wolle er versuchen, mit den übrigen Mitgliedsstaaten einen "besseren Deal" auszuhandeln, der den Briten mehr Rechte und weniger Pflichten garantiert.

Farage hatte daran sichtlich Spaß. Für Euroskeptiker wie ihn, die lieber heute als morgen aus der EU austreten möchten, war es ein Moment des Triumphes. Er feixte und spottete während Camerons Rede, ein Video des Schauspiels ist auf der Website des Guardian zu sehen.

Ein Austritt Großbritanniens, auch als "Brexit" bezeichnet, erscheint plötzlich zum Greifen nahe. "Der Geist ist jetzt aus der Flasche", jubelte der UKIP-Chef. Seine Partei sei 20 Jahre nach ihrer Gründung im Mainstream angekommen.

Die Zeiten, in denen Cameron die Politiker der UKIP als "Verrückte, Spinner und Rassisten" verunglimpfte, scheinen passé. Inzwischen ist die Partei für die Konservativen zu einem Schreckgespenst geworden, mit Farage als "Poltergeist" (Der Spiegel) an der Spitze. "Die Partei ist zu groß und zu beliebt, um als reine Protestpartei gelten zu können, aber auch zu chaotisch und unklar in ihren Zielen, um als Regierungspartei in Frage zu kommen", schreibt der Economist. Für Cameron sei das die "schlechtestmögliche Mischung."

In Umfragen liegt UKIP bei zehn bis 15 Prozent, zum Teil vor Camerons Koalitionspartner, den pro-europäischen Liberaldemokraten, die den Alleingang des Premierministers mit Stirnrunzeln verfolgen. Wo die UKIP antritt, müssen die Konservativen um Stimmen fürchten. Jüngst verloren die Tories ihr Mandat in Corby im Norden von London, weil die Euroskeptiker-Partei 14 Prozent der Stimmen erreichten. Das konservative Lager war damit gespalten, der Wahlsieg ging an die Sozialdemokraten von Labour.

"Charisma eines Putzlappens"

Ähnliches sagen Meinungsforscher auch für 2014 voraus, wenn das Europaparlament gewählt wird, wo UKIP schon seit 2004 vertreten ist. Und auch für die Unterhauswahlen 2015, wo die Partei bislang keine Rolle spielt. Die Nervosität bei den Tories ist so groß, dass einzelne Abgeordnete ein Wahlbündnis mit UKIP ins Gespräch brachten. Farage könne nach der Wahl mit einem Ministerposten belohnt werden, hieß es.

Die Karriere des 48-Jährigen, der schon seit 1999 im Europäischen Parlament sitzt, steht symbolhaft für den Aufstieg der Euroskeptiker in Großbritannien. Kaum ein britisches Problem, dessen Ursache er nicht in Brüssel verortet. Zwar stehen im Parteiprogramm auch andere Punkte, wie etwa ein vereinfachtes Steuerrecht, die Begrenzung der Einwanderung oder der Kampf gegen Rauchverbot und gleichgeschlechtliche Ehe - doch der wesentliche Inhalt ist der Kampf gegen die EU, mit Farage an vorderster Front.

Sein Show-Talent ist berüchtigt, bei Wahlkampfauftritten schmäht er Cameron und seinen Koalitionspartner Nick Clegg von den Liberaldemokraten gern als "impotente Schuljungen". Dem Präsidenten des Europäischen Rats, Herman Van Rompuy, hat Farage einmal das "Charisma eines Putzlappens" und das "Aussehen eines kleinen Bankangestellten" bescheinigt. Das entsprechende Video fand bei YouTube große Verbreitung. Inzwischen ist Farage in den Abendnachrichten der großen TV-Sender angekommen.

Der Stolz einer Inselnation

Dabei ist das vermeintliche Alleinstellungsmerkmal von UKIP bei näherem Hinsehen überhaupt keines. Europaskepsis ist ein fester Bestandteil der britischen Politik, sie findet sich in vielen Abstufungen in beinahe allen Parteien. Hoheitsrechte abgeben zu müssen, noch zudem an Institutionen jenseits des Ärmelkanals, ist vielen Briten ein Graus. "Wir haben den Charakter einer Inselnation", sagte Cameron in seiner Rede: "unabhängig, aufrecht, leidenschaftlich bei der Verteidigung unserer Souveränität."

STRASBOURG-EU-PARLIAMENT

EU-Kritiker Nigel Farage: "Unser Job hat erst begonnen"

(Foto: AFP)

Als das Vereinigte Königreich 1973 der Europäischen Gemeinschaft beitrat - übrigens unter konservativer Führung -, geschah das nicht "aus großem Enthusiasmus", wie etwa der Economist betont. "Sondern weil die Alternativen - eine Freihandelszone, der Commonwealth, die Verbindung zu Amerika oder ein Alleingang - noch weniger schmackhaft waren."

Es sei auch nicht die Aussicht auf wirtschaftliche Vorteile gewesen, die das Vereinigte Königreich zum Eintritt bewogen habe, sondern die Aussicht, durch Europa größeren außenpolitischen Einfluss zu bekommen. Hinzu kam eine gute Portion Trotz: Frankreich, einst Erzfeind der Briten, hatte sich lange gegen deren Beitritt gesträubt.

Bei einer Volksabstimmung 1975 sprachen sich 67 Prozent der Briten dafür aus, in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu bleiben, aus der später die Europäische Gemeinschaft und schließlich die Europäische Union hervorging. Ein ähnlich deutliches Ergebnis erscheint heute unwahrscheinlich.

"Unser Job hat erst begonnen"

Das liegt auch an Populisten wie Nigel Farage und der UKIP, die es gemäßigten Euroskeptikern schwer machen, differenziert mit dem Thema umzugehen. Dass Cameron in seiner Rede die EU zunächst als bürokratisches Monster darstellte (zu groß, zu schwerfällig, nicht demokratisch legitimiert), um dann anzukündigen, er werde mit "Herz und Seele" für den Verbleib Großbritanniens in der EU kämpfen, zeigt dies.

Die Konservativen feierten ihren Chef jedoch dafür. Sie hoffen, den Erfolg der UKIP mit der Aussicht auf ein Referendum eindämmen zu können. Journalisten wie Toby Young vom Telegraph geben ihnen recht: Cameron werde damit viele Protestwähler zurück ins Lager der Tories holen: "Euroskeptiker haben jetzt wieder gute Gründe, die Konservativen zu wählen."

Farage könnte seinen Zenith damit überschritten haben. Er selbst sieht das natürlich ganz anders: "Unser Job hat gerade erst begonnen", erklärte er nach der Cameron-Rede in vielen Interviews. Dann verschwand er in Richtung Mittagessen - auf der Suche nach einem Brötchen mit Speck.

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