Süddeutsche Zeitung

Varoufakis' Botschaft:"Schon morgen früh" könnte die EU sozial gerechter sein

  • Die transnationale linke Partei DiEM25 tritt in elf Ländern bei der Europawahl an. Bislang ist sie weitgehend unbekannt.
  • Ändern soll das Yanis Varoufakis. Der frühere griechische Finanzminister steht auf Platz eins der deutschen Liste.
  • Zum unkonventionellen Politik-Ansatz der Bewegung gehört auch, Ex-Baywatch-Darstellerin Pamela Anderson zur "Botschafterin" zu erklären.
  • In Brüssel saß sie mit Varoufakis auf der Bühne.

Von Matthias Kolb, Brüssel

An Selbstbewusstsein hat es Yanis Varoufakis noch nie gefehlt. Emmanuel Macron habe recht mit der Analyse, dass Europa "noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg so wichtig" und zugleich "noch nie in so großer Gefahr" gewesen sei, sagt der ehemalige griechische Finanzminister. Leider, so fährt er fort, präsentiere Frankreichs Präsident aber keine progressive Agenda, die den Bürgern das Gefühl gebe, die EU könne "eine Quelle für Lösungen" sein und nicht nur Probleme schaffen.

Diese Aufgabe kann, man ahnt es bereits, in den Augen von Yanis Varoufakis nur einer übernehmen: er selbst. Helfen soll ihm dabei die transnationale Partei DiEM25. Die neue "Bewegung für ein demokratisches Europa 2025" (Democracy in Europe Movement 2025) tritt in elf Ländern bei der Europawahl Ende Mai an und ist - anders als Emmanuel Macron - bisher so unbekannt, dass sie in Umfragen nicht auftaucht. Ändern soll dies Varoufakis, der auf Platz eins der deutschen Liste steht und als Bestsellerautor und Ikone der globalen Linken stets für Kontroversen sorgt - und für Aufmerksamkeit.

Damit diese auf andere DiEM-Kandidaten abfällt, eilt der 58-Jährige zwei Tage durch Brüssel. Am Montagabend präsentiert er vor 800 Besuchern im Kulturpalast Bozar das Wahlprogramm, das einen "europäischen Frühling" mit mehr Transparenz, Mitbestimmung und Demokratie verspricht und bis 2025 eine europäische Verfassung fordert, die von den Bürgern erarbeitet werden soll.

Unterstützung erhält er dabei von der Schauspielerin Pamela Anderson, die als Rettungsschwimmerin in "Baywatch" weltberühmt wurde. Varoufakis diskutiert zudem mit Studenten, erklärt am Thinktank Bruegel mit einem Financial Times-Kolumnisten, welche Prioritäten er als Chef der EU-Kommission setzen würde und gibt Pressekonferenzen.

Dort erläutert Varoufakis die Details seines europäischen "Green New Deal". Bis 2024 sollen in jedem Jahr 500 Milliarden Euro in Ökostrom, Infrastruktur und Innovationen investiert werden, um die Wirtschaft nachhaltiger zu machen. Neue Schulden brauche es dafür ebenso wenig wie neue Gesetze: "Die Europäische Investmentbank soll entsprechende Anleihen ausgeben, und die Europäische Zentralbank (EZB) würde ankündigen, dass sie diese Papiere im Ernstfall auf dem Sekundärmarkt aufkauft."

Europäischer Zusammenhalt dank Scheck von Mario Draghi

Steuererhöhungen lehnt der Grieche ab, da diese nur das ohnehin mickrige Wachstum in der Euro-Zone abwürgen würden. Hier spricht der Ex-Finanzminister, der eine klare Botschaft an die Wähler hat: Mit dem nötigen politischen Willen könnte die EU "schon morgen früh" sozial gerechter und klimafreundlicher werden.

Unter anderem mit den Gewinnen aus dem Anleihen-Kaufprogramm der EZB möchte DiEM jährlich 100 Milliarden Euro in einen Anti-Armut-Fonds für bedürftige Bürger stecken. "Stellt euch vor, dass Familien in Ostdeutschland oder Nordgriechenland jeden Monat einen Scheck bekommen, den Mario Draghi unterschreibt", ruft Varoufakis. So will er ein europäisches Gemeinschaftsgefühl auslösen, das noch nicht existiert.

Die Galionsfigur Varoufakis macht klar, dass DiEM25 mit ihren 100 000 Mitgliedern weit links steht. Die Ausrichtung des Wahlprogramms, das neben Aktivisten auch Experten verfasst haben, auf das Jahr 2025 spricht aber mehr für Pragmatismus als für weltfremde Träumereien.

Der Wahlkampfauftakt allein lässt wenig Rückschlüsse zu, ob sich DiEM25 bald von Mitgründer Varoufakis emanzipieren kann. Dessen Charisma ist unstrittig, und im Bozar wird er bejubelt, wenn er ein Ende der aktuellen EU-Politik fordert, die er als "Sozialismus für die Banken und Austerität für die Massen" beschreibt. Manche Mitstreiter beeindrucken kaum: Benoît Hamon wurde 2017 von Macron besiegt und erreichte als Präsidentschaftskandidat der Sozialisten nur sechs Prozent.

Keine Frage: Die Internationalität macht die Bewegung besonders und dass neben Varoufakis die Österreicherin Daniela Platsch und der kroatische Philosoph Srećko Horvat auf der deutschen Liste antreten, illustriert die DiEM-Überzeugung, dass Grenzen hinfällig sind - und Grenzzäune vor allem die Unsicherheit der Regierungen offenbaren. Zum unkonventionellen Politik-Ansatz gehört auch, Pamela Anderson zur "Botschafterin" zu erklären und auf die Bühne zu holen.

Die 51-jährige Kanadierin ist auf Twitter mit 1,5 Millionen Followern sogar etwas beliebter als Varoufakis und setzt ihre Bekanntheit nicht erst seit ihrem Umzug nach Europa ein für Klimaschutz, die Rechte von Tieren und alternative gesellschaftspolitische Initiativen. Sie fordert die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange und hat Sympathie für die Gelbwesten-Proteste in Frankreich erkennen lassen. Das Ziel von DiEM25, Politik wieder "sexy" zu machen, unterstütze sie gern, wenn so Armut und Fremdenfeindlichkeit vermindert würden, sagt sie.

Die erwartbare Kritik, dass ein ehemaliges Playboy-Model nur wenig politische Expertise haben könne, kontert Philosoph Horvat präventiv damit, dass Andersons Twitter-Angriffe auf Innenminister Matteo Salvini ("Die Entwicklungen in Italien erinnern mich an die 1930er-Jahre") dort für Schlagzeilen gesorgt hätten, wodurch ein ganz anderes Publikum erreicht wurde. Die frühere Karriere sei letztlich egal, findet Hrovat: Entscheidend sei, wer sich jetzt für die richtige Sache engagiere.

Varoufakis' Chancen stehen nicht schlecht

Das sieht Varoufakis ähnlich. Der ehemalige Professor hat nichts dagegen, wenn jemand die eigene Beliebtheit ausnutze, zumal sich so etwas nicht planen lasse. "Mich kennt man doch nur, weil mein Land wirtschaftlich total den Bach hinunter gegangen ist. Ansonsten wäre mein Name nur Studenten ein Begriff, die sich für obskure Wirtschaftsmodelle interessieren", kokettiert er.

Am 26. Mai entscheidet sich, ob der Grieche seine Kritik künftig als Europaabgeordneter vorbringen kann. Da es in Deutschland bei der Europawahl keine Sperrklausel gibt, reicht ein knappes Prozent für ein Mandat. Ein echter Erfolg wäre es für Varoufakis aber wohl nur, wenn auch andere DiEM-Bewerber gewählt werden.

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SZ vom 27.03.2019/gal
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