Europawahl:SPD und Union stehen unruhige Zeiten bevor

Europawahl - Berlin SPD

Europawahl: Der Niedergang der SPD um ihre Spitzenkandidatin Katarina Barley ist besonders gravierend.

(Foto: dpa)

Die Parteienlandschaft in Deutschland verändert sich rasant. Es gibt immer seltener große und kleine, dafür häufiger mehrere Parteien mittlerer Größe. Die Polarisierung weicht einer Diversifizierung.

Kommentar von Nico Fried, Berlin

Diese Ergebnisse sind hart für die CDU und noch härter für die SPD. Historische Einschnitte zeichnen sich ab: Um die Macht in Bremen ringen die Sozialdemokraten vielleicht noch. Aber aus der Europawahl geht die SPD zum ersten Mal in einer bundesweiten Wahl nur noch auf dem dritten Platz hervor. Die Sozialdemokraten schmieren ab - im Stadtstaat wie im Rest des Landes.

Knapp 40 Jahre nach Gründung der Grünen auch aus Protest gegen eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung steht der Ableger in ordentlicher Blüte, während der Stamm vor sich hin verkümmert. Was die Sache noch schlimmer macht: Die Grünen, obgleich selbst in die Jahre gekommen, haben die Jugend an ihrer Seite. Die SPD sieht nur noch alt aus.

Weitet man den Blick auf die Ergebnisse, dann zeigt sich, dass der Niedergang der traditionsreichsten deutschen Partei besonders gravierend, aber auch Teil einer grundsätzlichen Veränderung ist. Auch die CDU ist unterm Strich eine klare Verliererin, selbst wenn sie in Bremen den Bürgermeister stellen sollte. Sich mit dem Erfolg im Stadtstaat zu trösten hieße nur, eine klaffende Fleischwunde mit einem Hühneraugenpflaster zuzudecken. Das Ergebnis der Europawahl liegt für die CDU am unteren Rand der eigenen Erwartungen und eindeutig jenseits ihres Anspruchs als Volkspartei.

Es ändert sich etwas im Land. In Europa und Bremen, im Großen wie im Kleinen, verhält es sich wie beim Felgaufschwung am Schulreck. Schon die 30-Prozent-Marke stellt einst stolze Parteien vor immense Probleme: So richtig schwingt nur noch die CSU durch, manche hangeln ächzend herum, andere sacken hoffnungslos ab. CDU und SPD zusammen hätten in Bremen mit Ach und Krach vielleicht noch eine Mehrheit - im Bund, wenn man das Europa-Ergebnis hochrechnet, auch mit der CSU nicht mehr.

Die Parteienlandschaft ändert sich rasant, die Zeiten werden politisch unruhig werden

Die Ergebnisse bilden eine Parteienlandschaft ab, die sich nivelliert. Es gibt immer seltener große und kleine, dafür häufiger mehrere Parteien mittlerer Größe. In Bremen sieht es nach einer Dreier-Koalition aus, es wäre die derzeit sechste in den 16 Bundesländern. Und zumindest die Möglichkeit existiert, dass im Herbst nach den Wahlen im Osten fast die Hälfte aller Bundesländer von Zweckbündnissen aus drei Partnern regiert werden - in unterschiedlichster Zusammensetzung. Die Polarisierung im Parteiensystem weicht einer Diversifizierung. Der Wechsel zwischen Lagern wird ersetzt durch fast zufällige Koalitionen.

Die künftige Zusammensetzung des Europaparlaments spiegelt zumindest unter den großen Gruppierungen diese Tendenz wider. Ein erfreulicher Unterschied im nationalen Ergebnis zeichnete sich am Sonntag allerdings bei den Rechtspopulisten ab, ihr Zuwachs blieb deutlich begrenzt. Dass sich mehr Bürgerinnen und Bürger zur Stimmabgabe aufrafften, dürfte auch dem Bedürfnis geschuldet gewesen sein, ein Signal gegen Nationalpopulismus zu setzen. Der Wahlkampf hat bei allen Defiziten wenigstens das Bewusstsein für die Bedeutung der Europäischen Union geschärft.

Union und SPD stehen unruhige Zeiten bevor. Der Mobilisierungseffekt durch den gesamteuropäischen Spitzenkandidaten Manfred Weber hat nur für die CSU ähnliche Wirkung gezeigt, wie sie bei Frans Timmermans zu erleben war, der die Sozialdemokraten in den Niederlanden in die Höhe zog. In der CDU findet sich Annegret Kramp-Karrenbauer in einer ähnlichen Situation wie Angela Merkel 2001 nach ihren ersten Monaten als neue Parteivorsitzende. Vorwürfe der Führungsschwäche und der programmatischen Unschärfe drängen an die Oberfläche wie Luftblasen in einem sich allmählich erhitzenden Wassertopf. Die Kanzlerin sitzt einstweilen sicherer in ihrem Sattel als die CDU-Vorsitzende.

Den Sozialdemokraten ist schon seit Jahren in schwierigen Situationen wenig Besseres eingefallen, als ihre Vorsitzenden infrage zu stellen. Bewirkt hat das nie etwas. Beim Publikum wuchs lediglich das Unverständnis, und immer mehr Eitelkeiten wurden verletzt. Wer sich jetzt rächen will, demonstriert seinen Egoismus, setzt aber keine politische Energie frei. Vermutlich nimmt in der SPD die Debatte um die große Koalition wieder Fahrt auf. Es geht nicht mehr um Erneuerung, sondern um die Existenz. Das aber lag vor allem an der falschen Strategie, die Neuaufstellung der Partei als Gegensatz zur Regierungsarbeit im Bund zu inszenieren. Zu niemandem stehen Sozialdemokraten häufiger in Opposition als zu sich selbst - sogar in Wahlkampfzeiten, wie das Beispiel Kevin Kühnert gezeigt hat. Nur verloren wird gemeinsam. Immer wieder.

Zur SZ-Startseite

Europawahl
:Die CDU kämpft mit dem Trend

Upload-Filter, "Fridays for Future", Rezo und ein vermeintlicher Rechtsruck: Kramp-Karrenbauer gesteht Fehler ein. Eine CDU-interne Analyse verursacht neuen Unmut.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: